Hearing "BRD und Atomwaffen: Atomare Teilhabe oder Atomwaffenverzicht?"

BRD - Atomwaffen-Exportland Nr. 1

von Tay Eich

Als in der zuständigen Kommission der UNO und im Auswärtigen Amt die Vorbereitungen für die nach 1975, 1980 und 1985 vierte öberprüfungs­konferenz zum Atomwaffensperrvertrag vom 20. August bis 14. Septem­ber 1990 in Genf getroffen wurden, konnte niemand damit rechnen, daß diese Konferenz mitten in die heiße Zeit des Wiedervereinigungs-Wahl­kampfes fallen würde.

Aber auch ohne dies hätte die öber­prüfungskonferenz genug Gesprächs­stoff geboten: Im Januar 1988, als in Hanau die Atomfässer überliefen, mußte der hessische Ministerpräsident Wallmann auf eine Frage von Joschka Fischer einräumen, er könne nicht ausschließen, daß mit den Atomex­porten der Atomwaffensperrvertrag verletzt worden sei. Der daraufhin ein­gesetzte Hanau-Untersuchungsaus­schuß (ein Grüner Abschlußbericht wird gerade fertiggestellt) förderte eine solche Menge halb- bzw. illegaler Atom(export)geschäfte zutage, daß die BRD international zum Proliferati­onsland Nr. 1 avancierte (Proliferation = Weiterverbreitung). So wird der BRD in einer erst kürzlich veröffentlichten Studie der Washingtoner Car­negie-Friedensstiftung vorgeworfen, daß durch ihre Exporte Länder wie Pakistan, Indien, Argentinien und Bra­silien eigene Atomwaffen entwickeln konnten. Diese internationale Atom­waffen-Kooperation verhalf der BRD zu einem umfangreichen Know, wo­durch die Deutschen in puncto Atom­waffen-Technologie zu einer führen­den Macht geworden sind.

... und der atomare Status eines wie­dervereinigten Deutschlands?

Die aktuellen politischen Entwicklun­gen (Wiedervereinigung; sicherheits­politische Neuordnung Europas) stel­len die Frage des Verhältnisses zu den Atomwaffen zusätzlich von einer ande­ren Seite: Welchen "atomaren Status" wird ein wiedervereinigtes Deutsch­land in Zukunft haben? Zwar hat Kohl bei seinem aktuell vollzogenen Druchmarsch zur Wiedervereinigung vor allem die ökonomische Macht der BRD im Rücken. Doch in der Ver­gangenheit gab es stets ein Jammern, daß der "ökonomische Riese" BRD nur ein "atomarer Zwerg" sei, und von der Vorstellung, daß Deutschlands Weltmacht zumindest durch die Mit­verfügung über Atomwaffen unter­mauert werden müsse, hat sich die of­fizielle Sicherheitspolitik bis heute nie verabschiedet. In der Vergangenheit mußte die BRD der Weltkriegsver­gangenheit mit den widerstrebend ab­gegebenen - und unzulänglichen - Atomwaffenverzichten von 1954 (NATO-Beitritt) und 1974/5 (Ratifikation des Atomwaffensperr­vertrages) Tribut zollen. Außerdem nutzte die BRD die Atomwaffen-Drohung des NATO-Partners USA schon seit Jahrzehnten für druckvolle Welt­machtpolitik. 

Inzwischen haben Kohl und Genscher durch ihre machtvolles Auftreten im Laufe des letzten Jahres die Schatten der deutschen Kriegsvergangenheit hinter sich gelassen - der SPIEGEL titelte (30/90): "Der Krieg ist zu Ende." Gleichzeitig hat die NATO auf ihrer Frühjahrstagung 1990 den Atomwaffeneinsatz ganz weit nach hinten geschoben - eine Situation ähn­lich derer, die Helmut Schmidt 1977 veranlaßt hatte, die Stationierung der "Ankopplungswaffen" Pershing II und Cruise Missiles zu fordern. Nach herr­schender sicherheitspoltischer Logik ist somit wieder "Gefahr im Verzug", nach neuen Möglichkeiten atomarer Mitverfügung im europäischen Rah­men wird daher Ausschau gehalten. 

Auch 1990: Zweifel an der "Atom­waffen-Unschuld" der BRD sind ange­bracht

Im Herbst werden zwei Gesetze in 2. Lesung ins Parlament kommen, in de­ren Zusammenhang Zweifel an der "Atomwaffen-Unschuld aufkommen lassen: Zum Grünen Gesetzentwurf "Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz" haben die Regierungsparteien ihre Ablehnung erklärt. Die SPD hat zwar auf ihrem Programmparteitag im De­zember 1989 beschlossen: "Der Ver­zicht auf ABC-Waffen soll verfas­sungsrechtlich abgesichert werden." Realität ist aber noch ihr Gegenantrag zur Grünen Grundgesetz-Initiative, in dem eine verfassungsrechtliche Ver­ankerung nicht vorgesehen ist. Bei dem zweiten Gesetz, dem Ratifikati­onsgesetz der Zusatzprotokolle zur Genfer Konvention zum Kriegsvölker­recht von 1949, hat die Bundesregie­rung einen Zusatz eingebaut, der be­sagt, daß die völkerrechtliche échtung des Waffeneinsatzes nicht für den Atomwaffeneinsatz gelten soll. Frage: Warum hält sich die BRD völker­rechtlich die Möglichkeit eines Atom­waffeneinsatzes offen? Weitere Fak­ten, die Zweifel aufkommen lassen, ist die geplante Beteiligung der BRD-Luftwaffe an dem Jäger-Geschwader, welche mit atomaren Abstandswaffen (TASM) ausgerüstet werden sollen. Auch der jüngste Vorstoß von Kohl und Mitterrand zur Bildung einer "Europäischen Politischen Union" analog zur Wirtschafts- und Wäh­rungsunion wirft Fragen auf, denn der Atomwaffensperrvertrag sieht vor, daß eine solche Union mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik den Status eines seiner Mitgliedsstaaten, also z.B. den atomaren Status Frankreichs übernehmen kann, der dann auch für ein wiedervereinigtes Deutschland gälte.

Diese kurz angerissenen Problembe­reiche sollen auf der Wochenendver­anstaltung am 15./16. September in Bonn diskutiert werden. Dabei wird es auch um friedenspolitische Konse­quenzen gehen: Ist ein Wiederverei­nigtes Deutschland bereit, einen um­fassenden Verzicht auf Atom- und an­dere Massenvernichtungswaffen in der Verfassung festzuschreiben? In Dis­kussion mit VertreterInnen aller Par­teien soll sich dann auch zeigen, wie glaubwürdig der von Kohl gegenüber Gorbatschow erklärte ABC-Waffen-Verzicht (Punkt 8 der Gemeinsamen Erklärung) und die Programmaussage der SPD vom Dezember-Parteitag 1989 ist.



 

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