Der mediale Marsch in die Kriegstüchtigkeit

Buchbesprechung: Medienmacht und Militarisierung

von Johannes Schillo
Schwerpunkt
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„Der Kampf um mediale Wahrheit und Deutungshoheit wird zunehmend komplizierter“, hieß es jüngst im Medien-Schwerpunkt des Friedens-Forums (3/24). Die neue Veröffentlichung „Medien.Macht.Meinung“ der Journalistin und Hochschuldozentin Renate Dillmann zielt genau auf dieses komplizierte Verhältnis, in dem sich die hiesige Öffentlichkeit befindet: Unter der Aufsicht einer freien Presse und eines staatsnahen Medienbetriebs, die bei allem Pluralismus eine erstaunliche Einsinnigkeit aufweisen, wird das Leitbild „Kriegstüchtigkeit“ dem Publikum vermittelt. Natürlich alles im Sinne einer Vierten Gewalt, die als Kontrollinstanz den anderen Gewalten zuarbeitet und abweichende Meinungen streng auf ihren Desinformationsgehalt hin überprüft.

Demgegenüber ist die Gegenöffentlichkeit, zu der auch die „Friedenszeitschriften“ mit ihren rund 15.000 vertriebenen Exemplaren gehören, auf eine Restgröße geschrumpft. Genauer gesagt, mittlerweile, mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem NATO-Sponsoring eines Stellvertreterkriegs, stellt sich im Westen genau das ein, was früher als Merkmal des totalitären Ostens galt, nämlich eine Kluft zwischen dem Kombinat staatstragender Leit- und Massenmedien auf der einen Seite und einem dissidenten Samisdat („Selbst-Verlag“, Begriff aus dem Russischen. Anm. d. Red.) auf der andern. Dort verschafft eine – größtenteils online betriebene – Alternativöffentlichkeit interessierten Menschen Zugang zu unterdrückten Nachrichten, sofern sie nicht gleich den Feindsender abhören.

Mit dem fundamentalen Problem der Informationsbeschaffung bzw. -auswahl beginnt auch der erste Teil von Dillmanns Studie, der einen „Crashkurs Medienkompetenz“ bietet. Er thematisiert die verschiedenen Verfahrensweisen, die in der heutigen Mediengesellschaft vorherrschen. Und diese erschöpfen sich gerade nicht darin, dass Informationen verschwiegen oder auf die jeweils angesagte Kriegspropaganda, also die Mitteilungen aus den Hauptquartieren, verkürzt werden. Dillmann präsentiert vielmehr detailliert die elaborierten Techniken von Selektion und „Wording“, von zielgerichtetem „Framing“ und der Einführung von „Geistersubjekten“ bis hin zur Dekontextualisierung oder Emotionalisierung von Sachverhalten und zum manipulativen Umgang mit Quellen bzw. Statistiken.

Im dritten Teil des Buchs wird diese Analyse nochmals an drei Fallbeispielen einer Kriegs- bzw. Vorkriegslage – Ukraine- und Gazakrieg sowie die Einstimmung der Bevölkerung auf das „Feindbild China“ – verdeutlicht und auf die aktuellen Frontbildungen der US-dominierten „regelbasierten“ Weltordnung bezogen. Dillmann zeigt hier, wie Kriegsgründe in Schuldfragen verwandelt werden und so das komplexe politische Geschehen im Geiste einer nationalen Moralisierung aufgearbeitet wird. Mit dem Effekt, dass letztlich die Antagonismen des modernen Staatenverkehrs, das konfliktreiche Wirken einer „imperialen Produktions- und Lebensweise“ (Ulrich Brand), aus dem Blickfeld geraten und stattdessen der ewige Kampf des Guten (d.h. wir) mit dem Bösen (also dem Feind) anrührend ins Bild gesetzt wird.

Deutsche Journalisten und Journalistinnen, so das Resümee zu den Fallstudien, „fragen sich und ihr Publikum besorgt, ob das Land denn auch kriegstüchtig ist, praktisch wie geistig. Sie jedenfalls sind bereit und haben ihre Arsenale gefüllt ... Das, was sie zum ‚Marsch in die Kriegstüchtigkeit‘ beitragen können, wollen und werden sie liefern und die dafür nötige ‚Debattenkultur‘ hinkriegen.“ Alles selbstverständlich für einen unwidersprechlich guten Zweck, „damit die Bundesrepublik dazu beitragen kann, dass (die Kriege) beendet werden.“ (Spiegel) Vorausgesetzt natürlich, dass die eigene Seite gewinnt!

Der Mittelteil der Publikation schließt mit seinen theoretischen Erörterungen die Analyse des journalistischen ‚Handwerkskastens‘ und die Bestandsaufnahme der aktuellen Lage zusammen. Die Autorin geht hier dem Emanzipationsprozess der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrem Ideal des freien Meinens und Veröffentlichens nach und ordnet dies in die Realität einer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft ein, in der den freien Einzelnen ein Recht auf ihre eigene Meinung garantiert wird: Dieses Recht benützen sie für ihr persönliches Fortkommen, als Sache der Durchsetzung gegen andere, so dass ein „instrumentelles Denken“ zur Selbstverständlichkeit wird. Die Autorin wendet sich damit auch gegen die verbreitete Vorstellung einer Manipulation, derzufolge eine klandestine Technik der Herrschenden den Menschen einen konträren Willensinhalt aufzwingt und so für allgemeine Fügsamkeit sorgt. Sie legt vielmehr Wert darauf, dass hier ein Dreiecksverhältnis von Politik, Presse und Publikum existiert: Mit dem Gemeinwesen verbunden fühlen sich moderne Konkurrenzsubjekte durch die Verpflichtung auf die nationale Moral – und diese Verpflichtung wird in Vorkriegszeiten so auf- und abgerufen, dass nur noch der nationale Blick auf die globalen Freund-Feind-Verhältnisse zählt.

Renate Dillmann (2024): Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit. Köln: PapyRossa, 240 Seiten, ISBN 978-3894388348, 17,90 €.

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Hintergrund
Johannes Schillo ist Sozialwissenschaftler und Journalist, lange Jahre als Redakteur in der außerschulischen Bildung tätig; letzte Veröffentlichung zusammen mit N. Wohlfahrt, „Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch“, siehe die Vorstellung im Friedensforum 5/23.