Bundesrepublik ohne Armee- jetzt erst recht

von Christine Schweitzer

"Vor uns liegt die Chance, für uns und für zukünftige Generationen eine neue Weltordnung zu formen, in der die Herrschaft des Gesetzes und nicht die Herrschaft des Dschungels das Verhalten von Nationen leitet." (Präsident Bush in seiner Rede am Tag des Angriffs auf den Irak)

 

Diese "neue Weltordnung", von der Prä­sident Bush spricht, hat bekanntlich Ge­schichte. Schon Roosevelt nahm für die USA das Recht in Anspruch, eine "internationale Polizeigewalt" gegen­über den Nachbarn aus der sog. Dritten Welt auszuüben. Auch vor dem Golf­krieg schon führten westliche Länder, allen voran die USA, Kriege um militä­rische Vorherrschaft, um Rohstoffe und Märkte. Nur geschah dies - von unserer Warte aus - im Schatten des Ost-West-Konfliktes. Strategische Konzepte wie "AirlandBattle 2000" und "Low-Inten­sity Warfare" sagten Mitte der achtziger Jahre vorher, daß Konflikte "im Süden" zukünftig noch eine größere Bedeutung erlangen würden. Trotzdem hat hierzulande wohl kaum jemand damit gerech­net, daß so schnell und mit so viel Elan daran gegangen würde, ein Jahr nach Ende des Ost-West-Konfliktes mit der Unterstützung des ehemaligen Erzfein­des die "neue Weltordnung" zu schaf­fen.

Krieg und Frieden

Der Schock war groß, auch und beson­ders für die Friedensbewegung. Diese war gerade dabei gewesen, sich in ihrer überwiegenden Mehrheit hinter die For­derung nach einer BRD ohne Armee zu stellen. Bevor nach der Zukunft dieser Kampagne gefragt wird, muß daher analysiert werden, was eigentlich im Golfkrieg mit der Bewegung passiert ist.

Einen Anteil an dem Schock hatte si­cherlich, daß der Kontrast zwischen den Hoffnungen und Visionen des Jahres 1989/90, mit großen Schritten zu einer zivilen, nichtmilitärischen Gesellschaft bzw. Europas zu kommen und der Re­alität eines internationalen Krieges be­sonders groß war. Aber das alleine er­kl„rt nicht das kopflose, ausgewählte Bild, das zumindest Teile der alten Frie­densbewegung der achtziger Jahre vor und während des Krieges abgaben. Ent­scheidender sind da in meinen Augen drei weitere Faktoren: Zum einen mußte sich die alte Friedensbewegung nie mit der Frage auseinandersetzen, was zu tun wäre, wenn tatsächlich ein Land ein an­deres angreift. Diese Frage war für den Ost-West-Konflikt irrelevant gewesen, weil weitgehend Konsens darin bestand, daß die angebliche Gefahr durch den Warschauer Vertrag nur ein Feindbild darstellte und keine reale Bedrohung. Man/Frau war PazifistIn oder war es nicht; in der praktischen Arbeit der Kampagnen spielte es kaum eine Rolle. Daher konnten manche Nicht-Pazifi­stInnen selbst die Forderung nach der Abschaffung der Bundeswehr  unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des Ostblocks mit unterstützen, weil sie kei­nen Bedarf an einem Militär mehr sa­hen, und waren doch anfällig fr die Propaganda von einem gerechten Krieg gegen den Irak.

Den zweiten Faktor wrde ich mit der "antifaschistischen Tradition" um­schreiben, in der sich viele in der Frie­densbewegung stehen sehen. Zu dieser Tradition gehört nicht nur eine große Sensibilität gegenber der Israel-Pro­blematik, sondern auch die nachträgli­che Bejahung des Engagements der Al­liierten im Zweiten Weltkrieg, da dies als der einzige Weg zur Befreiung vom Faschismus angesehen wird. Die Gleichsetzung Husseins mit Hitlers wie die Bedrohung Israels ausgerechnet durch mit deutscher Hilfe produziertem Giftgas sind - gewiß nachvollziehbare - Gründe für manche, nicht nur die viel­diskutierten Intellektuellen Biermann und Enzensberger, gewesen, den Krieg gegen den Irak zu bejahen. In meinen Augen haben sie allerdings einige Dinge übersehen: Zum Beispiel, daß Israel al­ler Voraussicht nach nie angegriffen worden wäre, hätte man nach Ablauf des Ultimatums auf die "militärische Option" verzichtet; daß nach der Mei­nung anerkannter Wissenschaftler das Embargo gerade begann, Wirkung zu zeigen und gengt hätte, ein paar wei­tere Monate abzuwarten, bis der Irak gezwungen gewesen wäre, nachzuge­ben; daß es viele Möglichkeiten einer gewaltfreien Konfliktlösung gegeben h„tte (Mitterand-Initiative, Nahostkon­ferenz usw.); und welche unabschätzba­ren Risiken einer Konflikteskalation in dem gewählten Weg lagen.

Der dritte Faktor wirkte in anderer Weise als die beiden vorigen. Führten die ersten beiden zu Verunsicherung, welche Position gegenber dem Krieg eingenommen werden solle (bis zu sei­ner Befürwortung), diente der dritte als Katalysator fr die Anstrengungen, den Krieg in letzter Minute doch noch zu verhindern bzw. ihn zu stoppen. Ge­meint ist die Angst vor der Apokalypse, die die Menschen gegen die Mittelstrec­kenraketen mobilisierte und deren Schemata und Warnungen teilweise ge­rade zu stereotypenhaft auf den drohen­den Krieg im Golf übertragen wurden. Es soll hier nicht bestritten werden, daß solche Gefahren wie die beschriebenen - sowohl bezglich des Einsatzes atoma­rer Waffen wie der ökologischen Folgen - tatsächlich bestanden. Es darf auch nicht übersehen werden, daß das Aus­maß der menschlichen wie ökologischen Katastrophe für den Irak und Kuwait derzeit noch nicht absehbar sind. Aber: die ganz große Katastrophe ist halt nicht eingetreten und wie viele Menschen, die in den ersten Tagen des Krieges auf der Straße waren, teilen jetzt wohl die Auf­fassung der Politiker und Militärs, daß ein Krieg tatsächlich wieder führbar ist?

Krieg als Mittel der Politik?
Die Rechtfertigung von Krieg als Mittel der Politik scheint mir eines der größten Probleme zu sein, dem sich diejenigen stellen müssen, die so starrköpfig sind, an der Forderung nach der Abschaffung des Militärs festzuhalten. Ihr kann we­niger mit apokalyptischen Visionen be­gegnet werden als mit einigen kleinen Fragen. Solche Fragen könnten zum Beispiel lauten:

  • Gibt es wirklich "notwendige" und "unvermeidbare" Kriege? Aggressio­nen durch einzelne verbrecherische Regime sind vielleicht tatsächlich unvermeidbar. Aber gibt es nicht an­dere Wege, darauf zu antworten, durch gewaltfreien Widerstand, poli­tische Konfliktlösungen und dem ak­tiven Beitrag zu gerechten Strukturen der Weltwirtschaft anstelle der För­derung undemokratischer Regierun­gen aus eigennützigen wirtschaftli­chen Interessen heraus?
  • Wem nützt der entsprechende Krieg? Wer profitiert davon, wer leidet dar­unter? Diese Frage sollte nicht pau­schal beantwortet werden ("die USA", "der Irak"), sondern möglichst nach einzelnen Interessengruppen differenziert.
  • Ist Krieg tatsächlich noch mit dem vereinbar, was die meisten Menschen hierzulande als ihre ethische Prinzi­pien betrachten wurden? Ist es hin­nehmbar, daß Menschen in zwei Ka­tegorien aufgeteilt werden, in Solda­ten (= diejenigen, die im Krieg legal get”tet werden dürfen) und Zivilisten (deren Tötung als "kollaterale Schä­den" bezeichnet wird)?
  • Ist es nicht an der Zeit, die in der Menschenrechtscharta definierten Grundrechte ber Staatsraison und überlieferten Militarismus zu stellen? Zwingen sie nicht dazu, die Abschaf­fung des Militärs zu fordern statt Krieg unter bestimmten Umständen -etwa wenn durch die UNO verh„ngt - als legitim zu betrachten? Militär ist die Negation des Rechts auf Leben, selbst wenn sein Einsatz nicht - und diese Gefahr besteht ja ständig im Atomzeitalter  zur totalen Vernich­tung führt, sein Einsatz bedeutet die Berufung auf die Macht des Stärke­ren, er schafft Unfreiheit statt Freiheit zu garantieren, Militär zerstört die Umwelt nicht nur im Krieg, es ist das Mittel zur Unterdrückung demokrati­scher Bewegungen, trägt als patriar­chale Institution weltweit zur Unter­drückung der Frau bei und verursacht Hunger und Armut usw.

BoA- jetzt erst recht!
Das alles sind Grnde genug, an der Forderung nach der Abschaffung von Rüstung und Militär, speziell der deut­schen Rüstungsindustrie und der Bun­deswehr festzuhalten. Sicher sind die Voraussetzungen hierfür nach dem Golfkrieg schwieriger geworden. Es ist dürfte ein noch längerer Atem von nöten sein, als letztes Jahr abzusehen war. Vielleicht kann etwas Kraft aus der Er­innerung an das Jahr 1990 und seine Hoffnungen gesch”pft werden. Zugege­benermaßen war es eine Illusion zu glauben, daß das Ende des Ost-West-Konfliktes den Frieden bringen wrde. Aber diese Monate haben ermöglicht, zu sehen, was jenseits von Krieg und Mili­tarismus möglich sein, wie viel lebens­werter es ohne Angst, Haß und Feind­schaft zugehen könnte.

Die Schwierigkeiten, mit der Forderung nach der Abschaffung der Bundeswehr Geh”r zu finden, sollten nicht entmuti­gen. Im Gegenteil: Ich möchte sogar be­haupten, daß die sich jetzt abzeichnen­den drei Schwerpunkte der Weiterarbeit der Antikriegs-und Friedensbewegung nicht ohne die Forderung nach der Ab­schaffung der Bundeswehr erfolgver­sprechend verfolgt werden können.

  1. Keine Ausweitung der Einsatzmög­lichkeiten für die Bundeswehr
    Die Aussage "Ohne Uns" ist nur dann von national-chauvinistischen Beiklän­gen freizuhalten, wenn sie einhergeht mit der Forderung nach einer anderen Politik. Eben einer Politik der ökonomi­schen Selbstbeschränkung, des Hinwir­kens auf Konfliktlösungen ohne Gewalt und der prinzipiellen Absage an Gewalt als Mittel der Politik. Es geht ja nicht darum, daß andere (die USA zum Bei­spiel) in unserem Auftrag Krieg führen, sondern daß wir nicht wollen, daß ber­haupt jemand Krieg fhrt. Wir wollen keine Ausweitung der Einsatzmöglich­keiten der Bundeswehr, sondern im Ge­genteil ihre Abschaffung.
  2. Verbot von Rüstungsexporten
    Wie von den VertreterInnen dieser Kampagne selbst dargelegt wird, ist ein totales Verbot von Rüstungsexporten nur realisierbar bei gleichzeitiger Ein­stellung der Rüstungsproduktion und der Konversion der betroffenen Wirt­schaftszweige. Dies ist immer einer der zentralen Bestandteile der BoA-Kampa­gne gewesen.
  3. Abschaffung der Wehrpflicht
    Nicht nur die Anti-Wehrpflichtkampa­gne, sondern auch Politik und Militär diskutieren ber die Zukunft der Wehr­pflicht, auch wenn dies selten auf den Titelseiten der Zeitungen erscheint. Es scheint zumindest denkbar, daß mittel­fristig auf die Wehrpflicht zugunsten ei­ner Berufsarmee verzichtet und/oder eine allgemeine zivile Dienstpflicht mit der Wahlmöglichkeiten Militärdienst eingeführt wird. So wünschenswert in meinen Augen die Abschaffung des Zwanges, Kriegsdienst (mit oder ohne Waffen) zu leisten, ist, so wenig wün­schenswert sind die von den Politikern diskutierten Alternativen. Deshalb kann auch hier die Forderung nur lauten: Ab­schaffung der Wehrpflicht als erster Schritt zur Abschaffung der Bundes­wehr, kein Aufbau einer Berufsarmee (oder einer europäischen Interventions­truppe) und Schaffung von besser be­zahlten Arbeitsplätzen im Sozialwesen anstatt der Dienstpflicht.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.