Das mediale Bild der Bundeswehr gegenüber Jugendlichen

Bundeswehr 2.0

von Maximilian HabererFriedemann Vogel

Wie der Spiegel im März 2013 berichtete, verschickte die Bundeswehr kurz zuvor ihr Werbe- und Rekrutierungsmaterial an zahlreiche Kinder und Jugendliche. Zweifellos beabsichtigt die Bundeswehr nicht, künftig schon Minderjährige in ihren Reihen zu sehen, und der Vorfall wurde „sehr bedauert“. Dass minderjährige Jugendliche aber durchaus zur Zielgruppe der zahlreichen Werbekampagnen gehören, ist spätestens seit dem in der Bravo und im Fernsehen beworbenen Team- und Funsport Event für Jugendliche BW-Olympix der Bundeswehr evident. Leider verhallte die mediale Empörung über derartige Werbemaßnahme bald wieder in der Kurzlebigkeit tagespolitischer Debatten. Eine grundlegende politische Auseinandersetzung des werbenden  Auftretens der Bundeswehr gegenüber unterschiedlichen Zielgruppen existiert bis dato nicht.

Vor diesem Hintergrund steht eine Pilotstudie am Institut für Medienkulturwissenschaft der Universität Freiburg unter Leitung des Medien- und Rechtslinguisten Friedemann Vogel. (1). Gegenstand der Studie ist die Internetseite www.treff.bundeswehr.de, die sog. „Jugendseite“ der Bundeswehr, deren Großteil mit Stand vom 04.12.2012 vollständig archiviert wurde. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage nach dem von der Bundeswehr vermittelten Selbstbild oder Image, das heißt: Mit welchen sprachlichen, bildhaften und multimedialen Zeichen bzw. diskursiven Strategien sucht die Bundeswehr spezifische Stereotype über Akteure, Orte, Sachverhalte, Objekte usw. bei jugendlichen Adressaten durchzusetzen? Im Folgenden werden wir die Ergebnisse dieser kleinen Untersuchung zusammenfassen und abschließend kurz kommentieren (2).

Besonderheiten der Sprache
Zunächst ist auffällig, dass sich die Website zahlreicher Ausdrücke aus der informellen Umgangs-, Jugend-, Medien- und Werbesprache (v.a. [vermeintliche] Anglizismen) bedient: etwa Verben (aufpimpen), Adjektive (cool) und Substantive (Musix, Sportcracks). Zusammen mit der dominanten informellen Anrede (du, eure) auf nahezu allen Seiten schafft dieser Stil eine gewisse emotionale Nähe, Vertrautheit und suggeriert eine ‘Kommunikation unter Gleichgesinnten’.

Einen ähnlichen Versuch, Nähe zu inszenieren, findet sich in dem dominanten Reportage-Stil zahlreicher Texte der Website (erklären, erzählen). Hierbei werden regelmäßig Verknüpfungen zu allgemeinen Wünschen und Träumen, die im Grunde jeder Jugendliche früher oder später mit sich trägt, hergestellt. Beispielsweise im Muster ‘ein Traum ist in Erfüllung gegangen’. Auch das Bedürfnis nach emotionaler Nähe, nach ‘Zugehörigkeit’, wird durch Schlüsselwörter wie Kamerad oder [erste/tolle/klasse] Kameradschaft bedient.

Schließlich findet sich ein großes Wortfeld rund um die Domäne ‘Ausbildung’ (Ausbildung, Mannschaftslaufbahn, Flugschüler, Offizierlaufbahn etc.), die – zusammen mit Attributen der ‘Abwechslung / Spannung’, ‘Berufsperspektive’, ‘finanzielle und soziale Sicherheit’ usw. – vor allem eine dominant werbende bzw.  appellierende Funktion realisieren.

Zu dieser Funktion passen Wörter und Themen wie Krieg und Tod oder töten nicht. Sucht man diese Ausdrücke mittels der Suchfunktion der Website, findet sich ein einziger Beleg für *tot*, in dem es sich um einen historischen Bericht handelt. Bei der Suche nach diesen Ausdrücken in dem der Studie zugrunde liegenden Korpus zeigen sich weitaus mehr, nämlich 83 Belege, zur Zeichenkette Krieg. Doch auch hier zeigt eine genauere Sichtung, dass es sich bei gut zwei Dritteln um ‘historische bzw. vergangene’ Kriege handelt. Das übrige Drittel verweist auf Gegenstände (Kriegsschiffe), auf einen ironisch-euphemistischen (Krieg der Sterne) oder metasprachlichen Zusammenhang (Stabilisierungseinsatz vs. Krieg in Afghanistan) oder konstituiert ‘hypothetische oder prinzipielle’ Sachverhalte.

Über die Wortebene hinaus finden sich zahlreiche Mehrworteinheiten, die noch eine andere stilistische Besonderheit der Website illustrieren, nämlich das Spiel mit Mehrdeutigkeit von einigen Wörtern bzw. Redewendungen und die implizite Verknüpfung von (ausschließlich positiv denotierten) umgangssprachlichen mit militärischen Bedeutungen, wie zum Beispiel: Das Spiel für Scharfschützen im Zusammenhang eines Fußball-Flashgame; Taxi bitte! in Verbindung mit einem Mannschaftstransportpanzer; oder  Die Zukunft im Visier zur Verknüpfung von ‘guter Berufs- bzw. Karriereperspektive’ und ‘militärischem Einsatz’.

Die Systematik dieser Verknüpfungen verweist auf eine besondere diskursive Strategie, nämlich den Versuch, spezifisch militärische Attribute wiederholt an Alltagssemantiken, also Wissen um ‘nicht-militärische Normalität’, zu koppeln oder in sie einzubetten.

Bundeswehr im Bild
In der Tradition Scholz’ und Felders (4) unterscheiden wir zwischen Ereignis- und Genrebildern. Ereignisbilder sind singulär denotierend, das heißt es sind Bilder, die auf nur ein konkretes Konzept (Wissen um ein spezifisches Ereignis, bestimmte Akteure o.ä.) verweisen. Genrebilder sind hingegen multipel denotiert, also Bilder, die prototypisch für ein bestimmtes Teilkonzept stehen.

Auf der untersuchten Website finden wir fast ausschließlich Genrebilder. Bereits der erste Eindruck vermittelt, dass fast sämtliche Genrebilder positiv konnotierte Konzepte aktivieren (‘Kraft’, ‘Harmonie’ etc.). Negative konnotierte Bilder, die etwa Gefahren oder Ängste evozieren könnten, sind nicht vertreten. Wir differenzieren dabei Gruppenbilder, Personenbilder, Fahrzeug- und Waffenbilder sowie auch Natur- und Landschaftsbilder; Bilder von Gebäuden, Orden oder Portraits seien hier vernachlässigt.

Eine zentrale Funktion der Bilder ist die der Ästhetisierung. Viele Bilder sind gestellt oder zumindest wohl komponiert, sowohl farblich als auch in der Bildaufteilung. Bei den Gruppenbildern ist dies an der ‘Eintracht’ und der regelmäßig dem goldenen Schnitt ähnlichen Bildaufteilung 2/3 zu 1/3 erkennbar. Wie die einheitliche Kleidung vermittelt auch die Gestik in den meisten Fällen eine ‘innere Geschlossenheit’, ‘Zugehörigkeit’ und ‘Zusammenhalt’. Auch wenn viele Personengruppen  aktiv und in voller Ausstattung abgelichtet werden, bleibt die konkrete Situation immer vage: Gezeigt werden sollen keine Bilder aus dem Einsatz, sondern (auch vermittelt über begleitenden Text) Übungen, zum Appell stehende oder marschierende Gruppen oder solche, die gerade Spaß an der Sache haben. Auch das gemeinschaftliche Verrichten von Arbeit ist ein sich wiederholendes Motiv.

Beispiel Fahrzeug- und Waffenbilder: Fahrzeug- und Waffenbilder spielen eine wichtige Rolle auf der „Jugendseite“. Bilder von Panzern, Flugzeugen oder Kampfschiffen übernehmen in vielen Berichten eine abstrakte illustrierende Funktion. Darüber hinaus bedienen sie – etwa im Downloadbereich, wo Poster und Schulstundenpläne mit Fahrzeug- und Waffenbildern gratis zum Herunterladen zur Verfügung stehen (Termine treffsicher wie die Artillerie planen)  – eine gewisse Technik-Affinität der Jugendlichen. Auch hier gilt besonders: ‘Gefahr’ oder ‘Ängste’ spielen keine Rolle, im Gegenteil. Die meisten Bilder von Fahrzeugen sind in einer gefahrlosen und häufig idyllischen Umgebung aufgenommen. So fliegen Kampfjets nicht etwa über zerstörte Krisengebiete, sondern bei meist gutem Wetter über tollen Landschaften oder weißen Wolken. Selbst wenn eine Schusshandlung abgebildet wird, so bleibt das Ziel stets unklar; der ‘Kraft und Macht’ evozierende Schussakt als Teil der Bildästhetik. Unterstützt wird diese Bildsemantik meist durch eine untersichtige Kameraperspektive, die die Fahrzeuge größer und somit auch imposanter wirken lässt. Im Kontext von erläuternden Begleittexten (in der Regel zu Übungen oder Ausbildungssettings) wird dem jugendlichen Rezipienten suggeriert, er könne jenseits von konkreten Gefahren diese mächtigen Maschinen bedienen und beherrschen und dabei abenteuerliche Natur aus außergewöhnlicher Perspektive erleben.

Ähnliches findet sich bei Waffenbildern: Die Waffe der im Vordergrund fokussierten Person wird durch gezielte Lupenfokussierung, untersichtige Perspektive und die kompositorische Bildausrichtung besonders hervorgehoben. Obwohl der im Vordergrund agierende Akteur auf etwas zu zielen scheint, handelt es sich offensichtlich nicht um eine konkrete “Kampfhandlung”: Das Ziel bleibt unbekannt, potentiell mimisch ausgedrückte Emotionen bleiben durch Sonnenbrillen und Kopfhaltung verdeckt. Kopf- und Körperhaltung des Soldaten im Hintergrund evozieren eine zwar ‚entspannte’ – aber sehr wohl ‚außergewöhnliche’ Situation. Diese Stimmung von gelassener und somit auch beeindruckender Maschinenbeherrschung (Handlungsmacht) findet sich in nahezu allen Maschinen- und Waffenbildern.

Fazit
Versucht man die verschiedenen Teilergebnisse der Studie zusammenzufassen, so lässt sich folgendes selbstinszenierte Image der Bundeswehr paraphrasieren: “Die Bundeswehr ist ein Ort, an dem sich junge, dynamische, ehrgeizige (deutsche oder mitteleuropäische) Männer und auch Frauen treffen, um in der Gemeinschaft Freude und sportlich-herausfordernde Abenteuer zu erleben, ihre Kinderträume zu realisieren, außergewöhnliche Dinge mit außeralltäglichen Maschinen und Waffen zu erlernen, fremde Kulturen und Länder zu bereisen, dabei perspektivisch finanziell abgesichert und Teil eines (nicht näher spezifizierten, aber) emotional besetzten Großen Ganzen zu sein.”

Als zentrale Attributionsfelder oder Aspekte eines intendierten Stereotyps lassen sich festhalten: Gemeinschaft (Teamgeist, Kameradschaft etc,), gute Aussichten (Karriereaussichten, Finanzielle Sicherheit), Leistungsprinzip (Sportlichkeit, Coolness, Wettkampf etc.), alltägliches Abenteuer, Spezialausrüstung (Maschinenbeherrschung etc.) und besondere Lernhorizonte (Ausbildung, Spezialistentum).

Die „Jugendseite“ der Bundeswehr antizipiert damit die Stereotype, Emotionen und die Bedürfnisse (Träume) von heutigen jungen Menschen und kanalisiert sie in einem idealisierten, losungsartig ausgegebenem Image mit der Message: “Komm’ zur Bundeswehr!” Zu den umspielten Bedürfnissen zählt insbesondere das Bedürfnis nach “solidarischem Füreinander-Dasein”, dem “abenteuerlichen, auch spielerischen Ausbrechen aus (schulischem) Alltag und implizit sozial beschränkten Berufs- und Lebensperspektiven (eine Chance haben)” sowie dem Bedürfnis nach “finanzieller, räumlicher usw. Sicherheit”. Diese Bedürfnisse werden vielfach aufgegriffen und in den Artikeln durch Wahl der sprachlichen Ausdrücke, Bilder und multimodalen Settings spielerisch (im Sinne einer Gamification) gespiegelt. Ziel dieses diskursiven Verfahrens scheint dabei zu allererst die Anwerbung von neuen Rekruten zu sein, was für die Bundeswehr seit Aussetzung der Wehrpflicht zu einer existentiellen Aufgabe geworden ist. Negative, ja zerstörerische Aspekte des militärischen Agierens bleiben fast gänzlich ausgeklammert oder werden von einer inszenierten Maschinen-Ästhetik überformt.

Diese bundespolitisch offensichtlich geduldete (wenn nicht gewollte) Ver- und Irreführung jugendlicher RezipientInnen – wir sprechen hier von einer Zielgruppe von Jugendlichen ab etwa 12 Jahren! – durch die Werbestrategien der Bundeswehr ist völlig inakzeptabel. Die Bundeswehr („B-Wehr“) ist, anders als viele SoldatInnen uns als Reaktion schrieben, eben keine zivile „F-Wehr“ (Feuerwehr) und schon gar Unternehmen, das ‘nun mal werben müsse’. Als öffentliche Institution generell und als Element außerdemokratischer Konzepte im Besonderen bedarf die öffentliche Selbstdarstellung der Bundeswehr einer gesellschaftlichen Kontrolle. Diese jedoch scheint derzeit weiter denn je, in Zeiten, in denen der moralische Zeigefinger lieber auf die Waffenfreizügigkeit der USA als auf eigene Waffenexporte verweist.

 

Anmerkungen
1 Vgl. auch zu den medialen Reaktionen auf die Studie: www.speechact.friedemann-vogel.de

2 Vgl. ausführlich: Vogel, Friedemann (eingereicht): "Die Zukunft im Visier". Zur medialen Selbstinszenierung der Bundeswehr gegenüber Jugendlichen. Eingereicht bei der Zeitschrift für Germanistische Linguistik. Manuskript auf Anfrage erhältlich.

3 Scholz, Oliver (2004): Was heißt es ein Bild zu verstehen? In: Klaus Sachs-Hombach und Klaus Rehkämper (Hg.): Bild-Bildwahrnehmung-Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. 2. Aufl. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag (Reihe Bildwissenschaft), S. 105-119;

4 Felder, Ekkehard (2007): Von der Sprachkrise zur Bilderkrise. Überlegungen zum Text-Bild-Verhältnis im Paradigma der pragma-semiotischen Textarbeit. In: Friedrich Müller (Hg.): Politik, [neue] Medien und die Sprache des Rechts. Berlin: Duncker & Humblot, S. 191-219

 

Der Beitrag ist erstmalig erschienen bei: Haberer, Maximilian & Vogel, Friedemann (2013): "Am liebsten gleich hier bleiben und Soldat sein!" In: Forum Wissenschaft 02/13. Er wurde von Redaktion in Absprache  mit den Autoren gekürzt.

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