Bundeswehr im Inneren

von Ulrich Sander

Es klingt wie der Name eines Insektizids oder eines Pestizids – Lükex 2010, das Länderübergreifende Krisenmanagement Exercise. Es fand jetzt die vierte Übung dieser Art in der Nachfolge der Wintex-Übungen aus den Tagen des Kalten Krieges statt. „Übung für Atom-Anschlag am Flughafen“ titelte der Kölner Stadtanzeiger am 4.1.2010 seinen Bericht. Zeitungsmund tut Wahrheit kund. Denn: „gegen“ hätte es wohl heißen müssen. Der weltweite Terror wird nicht nur in Afghanistan bekämpft, sondern auch bei uns zu Hause. Und zu Terroristen“ zählen deutsche Polito- und Bürokraten auch Demonstranten – Globalisierungsgegner und ähnliche. Afghanistan ist nicht der einzige Ort, an dem die Polizei als Hilfstruppe der Bundeswehr eine große Rolle spielen soll, sondern auch im Inland soll die Bundeswehr mit der Polizei zusammenwirken. Zwischen 1.000 und 1.500 Polizeibeamte und Soldaten probten in Köln aus diesem Grund gemeinsam den „Ernstfall”.

Mit den Zeitungsüberschriften ist es so eine Sache. Die, die es wirklich gibt und jene, die nie erschienen sind. Spätestens am 19. Februar 2005 hätte eine, die es nie gegeben hat, lauten können: „Von wegen – Reserve hat Ruh’: Einsatzalter auf 60 Jahre angehoben“. Am 17. Februar 2005 beschloss der Deutsche Bundestag – nachts und ohne Aussprache! – das „Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes“. Ein Vorgang, den die meisten Medien verschlafen haben. Kern des Gesetzes ist, das Alter, bis zu dem Reservisten zu Einsätzen – nicht nur zu Übungen – mobilisiert werden können, auf 60 Jahre anzuheben. Paragraph 6c des Paragraphenwerkes regelt den Einsatz von reaktivierten Soldatinnen und Soldaten im Inneren der Bundesrepublik Deutschland.(2)

Die zweite unterbliebene Schlagzeile wäre am 29. August 2009 fällig gewesen. Sie hätte lauten müssen: „Deutsche Regierung will mit Bundeswehr Streiks bekämpfen“. Am 28. August 2009 gab die Bundesregierung den „Linken” auf eine entsprechende Anfrage die Antwort, dass das Ministerium der Verteidigung nicht ausschließe, bei Demonstrationen Zivil-Militärische Zusammenarbeitskommandos (ZMZ-Kommandos) einzusetzen. Das Recht dazu liege bei den Landesbehörden. Selbst bei Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen und bei der Müllabfuhr könne der Militäreinsatz nicht ausgeschlossen werden – die Entscheidung darüber bleibe „dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten“.(3)

Die Bundestagsabgehordnete Ulla Jelpke (Die Linke) dazu: „Die Bundesregierung hält sich damit alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren offen. Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft ... auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus.“

„Militarisierung schreitet voran“
Diese Zeile hat es gegeben (Neues Deutschland am 31. Mai 2010). Berichtet wird in dem Artikel von Verträgen der Bundeswehr mit den Job Centern Arge und den Schulministerien der Länder. Die Abkommen verfolgen den Zweck, Schüler und Berufsanfänger aufs Militär einzustimmen, sie anzuwerben. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich im Umgang der Bundeswehr mit Hochschulen ab. Das Problem ist nur: Die Medien berichten kaum darüber, aber auch in der Friedensbewegung wird diese Entwicklung kaum thematisiert.

Dies ist fahrlässig, denn: Der globale Kapitalismus steuere „auf einen autoritären Ausweg“ zu, schreibt Conrad Schuhler.(3). Die Teilung der Weltbevölkerung in Menschen im Überfluss und solche in Not und Unsicherheit finde sich zunehmend in den „Wohlstandsgesellschaften“ selbst: Einerseits gute Arbeit, Mitgestaltung und Konsum für Wenige, andererseits von jedem Sinn entleerte Arbeiten, Kommandostrukturen und Existenzminimum für Viele. Die soziale Spaltung reiße weiter auf, die Zahl sogenannter Verlierer werde national und global zunehmen. Zäune um die Wohlstandsinseln zu errichten, werde nicht genügen. „Die wachsenden Massen der Armen und Hoffnungslosen“, so Schuhler, „müssen unter Kontrolle gehalten werden, und die Kontrollmaßnahmen werden um so mehr Zwang enthalten, je mehr das Einverständnis oder das bloße Stillhalten der Verlierer abnimmt. National müssen aus der Logik dieser Art von Kapitalherrschaft Elemente des Polizei- und Überwachungsstaates, international der immer totaleren militärischen Kontrolle erwachsen.“

Dass in Deutschland der Einsatz der Bundeswehr im Innern und das Verschmelzen aller Sicherheitssysteme – vor allem denen des Militärs und der Polizei – mit stetig wachsendem Nachdruck von den politischen und ökonomischen Eliten gefordert werde, beleuchtet diese Entwicklung.

Conrad Schuhler: „Solche und ähnliche Aufgaben nach innen und außen werden der Bundeswehr und der NATO nicht ausgehen. EU-Strategen sehen die Hauptlinien, die zu militärischen Konflikten führen, nicht mehr zwischen den Staaten, sondern zwischen den Klassen in den einzelnen Gesellschaften. Hier müsste ‚der Westen’ überall jederzeit militärisch eingreifen können, um in den betreffenden Ländern Ordnungen in seinem Sinne durchsetzen zu können.“

 

Anmerkungen
1) Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode, 17.2.09, Protokoll Seite 14757 bis 14761.

2) BT-Drucksache 16/13847 vom 26. August 2009

3) Conrad Schuhler in „Wirtschaftsdemokratie und Vergesellschaftung – Zu einer solidarischen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus“, isw Report Nr. 79, München 2010, Seite 16

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Ulrich Sander ist Bundessprecher der VVN-BdA.