Bundeswehr - out of area

von Ulrike Borchardt
Schwerpunkt
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Trotz nach wie vor bestehender restriktiver Bestimmungen im Grund­gesetz, die einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Vertragsgebie­tes der NATO - "out-of-area" - untersagen, beginnt sich die deutsche Öf­fentlichkeit an Bilder deutscher Soldaten in Ländern der Dritten Welt zu gewöhnen. Unter dem Deckmantel "humanitärer Aktionen" - ein Begriff, der mittlerweile ohne militärische Komponente gar nicht mehr gedacht werden kann - leisten Bundeswehrsoldaten im Rahmen von UN-Peace-keeping ihren Beitrag zur "Wiederherstellung des Weltfriedens". Daß diese Aktionen bisher wenig erfolgreich waren - so herrscht in Kam­bodscha trotz unter UN-Schirmherrschaft stattgefundener Wahlen wei­terhin Krieg, das Scheitern der UN-Mission in Somalia wird mittlerweile von keiner Seite mehr bestritten , die Situation in Bosnien ist trotz tat­kräftiger Unterstützung der NATO weiterhin durch ein Andauern des Krieges gekennzeichnet - scheint die politisch Verantwortlichen wenig zu stören.

Steigende Zahlen von Kriegsdienstver­weigerern, Unmutsäußerungen von Bun­deswehrsoldaten und Offizieren über zukünftige "out-of-area"-Einsätze lassen es dringlich erscheinen, in und außerhalb der Truppe ideologische Überzeugungsarbeit zu leisten, um den Fortbestand der Bundeswehr mit "aktualisiertem Kampfauftrag" auch künftig gesellschaftlich legitimiert zu wissen. Daß die Bemühungen um diese "Aktualisierung" auch nicht vor Aufga­ben im "Landesinnern" haltmachen, zeigt der Vorschlag des ehemaligen In­nenministers und jetzigen Vorsitzenden der CDU/CSU Bundestagsfraktion Schäuble: er will die Bundeswehr künf­tig auch bei innenpolitischen Konflikten - beispielsweise zum Schutz des Welt­wirtschaftsgipfels - einsetzen.

Während sämtliche bisherige Bundesre­gierungen das Grundgesetz so interpre­tierten, daß ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Vertragsgebiets der NATO verfassungswidrig sei, wird heute versucht, das Grundgesetz "neu zu interpretieren", wobei dem Bundesver­fassungsgericht eine entscheidende Rolle zukommt. Um den noch beste­henden Restriktionen der Verfassung zu entkommen, werden von der Regierung Fakten am Rande der Legalität geschaf­fen.

Den Auftakt zu dieser "Fakten­schaf­fung" bildete der 2. Golf­krieg:

- Unter dem Deckmantel "humanitärer Aktionen" waren Bundeswehrsolda­ten im Rah­men von AWACS-Einsät­zen an der Luftraumüberwachung und der Feuerleitplanung im Luft­krieg gegen den Irak beteiligt;

- Von Mai 1992 bis Ende 1993 waren 150 Bundeswehr-Sanitätssoldaten im Rahmen der UN­TAC-Mission in Kambodscha eingesetzt.

- Im ehemaligen Jugoslawien beteiligt sich die Bundeswehr u.a. seit Juli 1992 an der Überwachung des Em­bargos durch Marineeinheiten in der Adria und seit Oktober 1992 an AWACS-Flügen zur Überwachung des Flugverbots über Bosnien-Herze­gowina. Seit März 1993 haben die AWACS-Maschinen auch die Feuer­leitfunktion für eine mögliche militä­rische Durchsetzung des Flugverbots. Dieser Schritt ging sogar der FDP zu weit, die - ebenso wie die SPD - Klage beim Bundesverfassungsge­richt einlegte. Das Bundesverfas­sungsgericht lehnte den Antrag auf Erteilung einer einstweiligen Verfü­gung mit der Begründung ab, daß ein Ausstieg der Deutschen aus dem AWACS-Einsatz zu erheblichem au­ßenpolitischen Schaden - d.h. Ver­trauensverlust bezüglich der Bünd­nistreue - führen könnte. Damit un­terstützte das Bundesverfasungsge­richt die Regierung in ihrem Bemü­hen, das heikle Thema von Bundes­wehreinsätzen "out-of-area" aus dem Parlament fernzuhalten und damit der demokratischen Diskussion zu ent­ziehen.

 

- Der nächste Schritt bestand in der Entsendung von 1.700 Bundeswehr-Soldaten nach Somalia. Sowohl mi­litärisch als auch "humanitär" wenig erfolgreich, kostete der Somalia-Ein­satz der Bundeswehr weit über 300 Mio. DM, die staatliche Entwick­lungshilfe für 1994 be­trägt dagegen nur 30 Mio. DM.

Auch wenn immer noch nicht feststeht, ob eine Änderung oder "Neu-Interpreta­tion" des Grundgesetzes per Bundesver­fassungsgericht für zukünftige "out-of-area"-Einsätze notwendig ist, fest steht, daß die neue internationale militärische Rolle der Bundeswehr eine entschei­dende Weichenstellung für eine zukünf­tige "europäische Sicherheitspolitik" darstellt. Seit dem Ende des Kalten Krieges zerbrechen sich "Vordenker" in NATO, WEU und EG die Köpfe über eine zukünftige gemeinsame europäi­sche Verteidigungspolitik. Daß dabei ein ökonomisch so starkes und militä­risch so hoch gerüstetes Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit der zahlenmäßig größten Armee in Westeu­ropa eine entscheidende Funktion zu übernehmen hat, dürfte offensichtlich sein. Ohne eine Änderung des Grundge­setzes bzw. seine "Neu-Interpretation" in der gerade für die zukünftige Ausge­staltung einer gemeinsamen europäi­schen Sicherheitspolitik entscheidenden Phase wird der seit langem angestrebte Verständigungsprozess der europäischen Länder in dieser Frage kaum zu realisie­ren sein. Merkwürdig ist nur, daß kurz vor und nach der Vereinigung Deutsch­lands in sämtlichen europäischen Nach­barstaaten das Gespenst einer neuen mi­litärischen Großmacht Deutschlands propagiert wurde. Nach militärisch er­folgreicher Beendigung des Golfkrieges durch die USA und ihre Verbündeten wird die Bundesrepublik gerade dazu gedrängt, ihre "Schlafmütze" gegen die "Pickelhaube" auszutauschen, um ihrer "gewachsenen internationalen Verant­wortung" auch militärisch gerecht zu werden. Damit sehen sich einflussreiche politische Kräfte in unserem Land, die seit langem für eine "normale" interna­tionale Rolle der Bundesrepublik plädie­ren, nach der Vereinigung Deutschlands aller Fesseln ledig, eine qualitativ neue Phase der militärischen und außenpoliti­schen Machtpolitik mit Unterstützung ihrer europäischen Verbündeten einzu­leiten.

Diese "normale" internationale Rolle Deutschlands läßt die Diskussion über die Definition der Einsatzmöglichkeiten von Blauhelmen, die seit nunmehr vier Jahren von Teilen der SPD, aber auch der Grünen geführt wird und derzufolge Blauhelme lediglich für "friedens­er­hal­tende" (peacekeeping), nicht jedoch für "friedenserzwingende" (peace enforce­ment) Maßnahmen einge­setzt werden dürften, als politisch über­holt erschei­nen. Aufgrund des Fehlens eines glo­balen Sicherheitskonzepts be­ginnt sich die Rolle von Blauhelmen, die übrigens bis heute nicht in der UN-Charta gere­gelt ist, zu verwischen. Dies hat auch der Generalinspekteur der Bundeswehr Naumann erkannt, der auf der Kom­mandeurstagung im Oktober vergange­nen Jahres klarstellte, daß "klassische" Blauhelmeinsätze, also "peacekeeping", eher die Ausnahme bil­den werden:

"Der Regelfall wird daher bei künftigen friedenserhaltenden Maßnahmen der UN das robuste Mandat sein müssen, das dosiert, begrenzt und stets politisch kontrolliert Ge­gengewalt auf der Grundlage des Kapitels VII der UN-Charta erlaubt und damit über die unzu­reichende Formel Selbstverteidigung hinausgeht." Im Übrigen findet sich diese Überlegung auch in der vom Ge­neralsekretär der UNO, Boutros-Ghali verfassten "Agenda für den Frieden", in der die Schaffung von "Einheiten zur Erzwin­gung des Friedens", die schwerer bewaffnet sein müssten als die traditio­nellen Blauhelme und die speziell aus­gebildet werden müßten, propagiert wird.

Daß es in der Tat nahezu unmöglich ist, zwischen "friedenserhaltenden" (peace­keeping) und "friedenserzwingenden" (peace enfor­cement) Maßnahmen zu unterscheiden, hat mittlerweile auch die US-Armee er­kannt, die in ihrem neue­sten "Field Ma­nuel" 100-23, eine Art "Gebrauchsanweisung" für das Verhal­ten von Soldaten in Einsätzen, Verhal­tensregeln für "Peaceoperations" auf­stellt. Darin wird u.a. klargestellt, daß die Verhal­tensregeln bei einigen "Peace enforcement" Einsätzen ebenso rigoros sein können, wie in herkömmli­chen Kampfeinsätzen. Obwohl bei­spielsweise Krankenhäuser und Kirchen als ge­schützt gelten, können sie, falls der Gegner sie für feindliche Zwecke be­nutzt, ebenfalls Angriffsziele sein (JDW, 8.1.94, S.14).

Auf NATO-Ebene finden diese Überle­gungen ihr Pendant in dem Anfang die­ses Jahres vom NATO-Militärausschuss erarbeiteten Dokument "MC 327", das zukünftige "out-of-area"-Einsätze der NATO offiziell absegnet und zugleich festlegt, daß zukünftige militärische Eingriffe nicht auf klassische Blauhelm-Einsätze beschränkt sind, sondern auch Maßnahmen zur Verteidigung oder Wiederherstellung des Friedens umfas­sen können. Von daher verwendet die NATO den umfassenderen Begriff "peace support" (Friedensunter­stüt­zung).

Was die Bundeswehr angeht, so sollen die Krisen-Reaktions-Kräfte (KRK) - schnell einsetzbar und äußerst mobil - für internationale Einsätze bereitstehen. Laut Weißbuch 1994 sind sie "Teil der Streitkräfte, der für die Konfliktverhü­tung und Krisenbewältigung im Rahmen des Bündnisses sowie als Beitrag zu in­ternationalen Friedensmissionen einge­setzt werden kann." (Weißbuch 1994, S.93). Sie sollen eine Stärke von ca. 50.000 Soldaten haben und in der Lage sein, "Operationen aller drei Teilstreit­kräfte im Zusammenwirken mit den Bündnispartnern zu führen und dabei das gesamte Spektrum möglicher Ein­sätze abzudecken, von der modernen Guerilla-Krieg-Führung bis zum Einsatz gegen hochwertig ausgerüstete Streit­kräfte." (S.95) Das zur Erfüllung sol­cher Einsätze "in ausgewählten Berei­chen die Notwendigkeit von Spitzen­technologie besteht", versteht sich von selbst. Angesichts der Defizite, die der­zeit noch in Führung und Ausrüstung der KRK bestehen, bestimme der "hohe Stellenwert" der Krisenreaktionsfähig­keit die "Hauptanforderung an die Aus­rüstung der Bundeswehr" (103). Ent­sprechend vorrangig werden sie - aus allen drei Teilstreitkräften zusammenge­setzt - in der Ausrüstungsplanung be­handelt. Allein für Aufklärung und Füh­rung der KRK sind bis zu einem Drittel aller Forschungs- und Technologieinve­stitionen vorgesehen (106).

Angesichts der zunehmenden Militari­sierung, die sich auch im Rahmen der UNO aus­breitet, wäre die Bundesregie­rung gut beraten, ihr politisches und ökonomisches Ge­wicht für die Unter­stützung tatsächlich friedensschaffender Maßnahmen einzusetzen, wozu in erster Linie umfassende ökonomische und so­ziale Unterstützungsprogramme zählen. So können die seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes vielbeschworenen "Bedrohungen aus dem Süden" - hierzu zählen neben dem Erstarken fundamen­talistischer Bewegungen insbesondere der ansteigende Migrationsdruck - si­cherlich nicht mit militärischen Mitteln behoben werden. Eine tatsächlich prä­ventive Sicherheitspolitik würde viel­mehr den Aufbau gleichberechtigter Austauschbeziehungen zwischen Nord und Süd voraussetzen. Die in den Ver­teidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung vom 26. November 1992 militärischer Macht zugewiesene Aufgabe der "Aufrechterhaltung des Freien Welthandels und des ungehin­derten Zugangs zu Märkten und Roh­stoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung" ent­puppt sich aus Sicht der Länder der Dritten Welt als reiner Imperialismus. Betrachtet man die Ursachen der mei­sten Kriege dieser Welt, die heute fast ausschließlich in Staaten der Dritten Welt stattfinden, so liegen sie genau in der Tatsache begründet, daß es eben keinen "Freien Welthandel" und keinen ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen gibt, von einer "gerechten Weltwirtschaftsordnung" ganz zu schweigen.

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Ulrike Borchardt arbeitet an der For­schungsstelle Kriege, Rüstung und Ent­wicklung der Universität Hamburg.