Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt! " in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Bundeswehr - out of area
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Trotz nach wie vor bestehender restriktiver Bestimmungen im Grundgesetz, die einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Vertragsgebietes der NATO - "out-of-area" - untersagen, beginnt sich die deutsche Öffentlichkeit an Bilder deutscher Soldaten in Ländern der Dritten Welt zu gewöhnen. Unter dem Deckmantel "humanitärer Aktionen" - ein Begriff, der mittlerweile ohne militärische Komponente gar nicht mehr gedacht werden kann - leisten Bundeswehrsoldaten im Rahmen von UN-Peace-keeping ihren Beitrag zur "Wiederherstellung des Weltfriedens". Daß diese Aktionen bisher wenig erfolgreich waren - so herrscht in Kambodscha trotz unter UN-Schirmherrschaft stattgefundener Wahlen weiterhin Krieg, das Scheitern der UN-Mission in Somalia wird mittlerweile von keiner Seite mehr bestritten , die Situation in Bosnien ist trotz tatkräftiger Unterstützung der NATO weiterhin durch ein Andauern des Krieges gekennzeichnet - scheint die politisch Verantwortlichen wenig zu stören.
Steigende Zahlen von Kriegsdienstverweigerern, Unmutsäußerungen von Bundeswehrsoldaten und Offizieren über zukünftige "out-of-area"-Einsätze lassen es dringlich erscheinen, in und außerhalb der Truppe ideologische Überzeugungsarbeit zu leisten, um den Fortbestand der Bundeswehr mit "aktualisiertem Kampfauftrag" auch künftig gesellschaftlich legitimiert zu wissen. Daß die Bemühungen um diese "Aktualisierung" auch nicht vor Aufgaben im "Landesinnern" haltmachen, zeigt der Vorschlag des ehemaligen Innenministers und jetzigen Vorsitzenden der CDU/CSU Bundestagsfraktion Schäuble: er will die Bundeswehr künftig auch bei innenpolitischen Konflikten - beispielsweise zum Schutz des Weltwirtschaftsgipfels - einsetzen.
Während sämtliche bisherige Bundesregierungen das Grundgesetz so interpretierten, daß ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Vertragsgebiets der NATO verfassungswidrig sei, wird heute versucht, das Grundgesetz "neu zu interpretieren", wobei dem Bundesverfassungsgericht eine entscheidende Rolle zukommt. Um den noch bestehenden Restriktionen der Verfassung zu entkommen, werden von der Regierung Fakten am Rande der Legalität geschaffen.
Den Auftakt zu dieser "Faktenschaffung" bildete der 2. Golfkrieg:
- Unter dem Deckmantel "humanitärer Aktionen" waren Bundeswehrsoldaten im Rahmen von AWACS-Einsätzen an der Luftraumüberwachung und der Feuerleitplanung im Luftkrieg gegen den Irak beteiligt;
- Von Mai 1992 bis Ende 1993 waren 150 Bundeswehr-Sanitätssoldaten im Rahmen der UNTAC-Mission in Kambodscha eingesetzt.
- Im ehemaligen Jugoslawien beteiligt sich die Bundeswehr u.a. seit Juli 1992 an der Überwachung des Embargos durch Marineeinheiten in der Adria und seit Oktober 1992 an AWACS-Flügen zur Überwachung des Flugverbots über Bosnien-Herzegowina. Seit März 1993 haben die AWACS-Maschinen auch die Feuerleitfunktion für eine mögliche militärische Durchsetzung des Flugverbots. Dieser Schritt ging sogar der FDP zu weit, die - ebenso wie die SPD - Klage beim Bundesverfassungsgericht einlegte. Das Bundesverfassungsgericht lehnte den Antrag auf Erteilung einer einstweiligen Verfügung mit der Begründung ab, daß ein Ausstieg der Deutschen aus dem AWACS-Einsatz zu erheblichem außenpolitischen Schaden - d.h. Vertrauensverlust bezüglich der Bündnistreue - führen könnte. Damit unterstützte das Bundesverfasungsgericht die Regierung in ihrem Bemühen, das heikle Thema von Bundeswehreinsätzen "out-of-area" aus dem Parlament fernzuhalten und damit der demokratischen Diskussion zu entziehen.
- Der nächste Schritt bestand in der Entsendung von 1.700 Bundeswehr-Soldaten nach Somalia. Sowohl militärisch als auch "humanitär" wenig erfolgreich, kostete der Somalia-Einsatz der Bundeswehr weit über 300 Mio. DM, die staatliche Entwicklungshilfe für 1994 beträgt dagegen nur 30 Mio. DM.
Auch wenn immer noch nicht feststeht, ob eine Änderung oder "Neu-Interpretation" des Grundgesetzes per Bundesverfassungsgericht für zukünftige "out-of-area"-Einsätze notwendig ist, fest steht, daß die neue internationale militärische Rolle der Bundeswehr eine entscheidende Weichenstellung für eine zukünftige "europäische Sicherheitspolitik" darstellt. Seit dem Ende des Kalten Krieges zerbrechen sich "Vordenker" in NATO, WEU und EG die Köpfe über eine zukünftige gemeinsame europäische Verteidigungspolitik. Daß dabei ein ökonomisch so starkes und militärisch so hoch gerüstetes Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit der zahlenmäßig größten Armee in Westeuropa eine entscheidende Funktion zu übernehmen hat, dürfte offensichtlich sein. Ohne eine Änderung des Grundgesetzes bzw. seine "Neu-Interpretation" in der gerade für die zukünftige Ausgestaltung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik entscheidenden Phase wird der seit langem angestrebte Verständigungsprozess der europäischen Länder in dieser Frage kaum zu realisieren sein. Merkwürdig ist nur, daß kurz vor und nach der Vereinigung Deutschlands in sämtlichen europäischen Nachbarstaaten das Gespenst einer neuen militärischen Großmacht Deutschlands propagiert wurde. Nach militärisch erfolgreicher Beendigung des Golfkrieges durch die USA und ihre Verbündeten wird die Bundesrepublik gerade dazu gedrängt, ihre "Schlafmütze" gegen die "Pickelhaube" auszutauschen, um ihrer "gewachsenen internationalen Verantwortung" auch militärisch gerecht zu werden. Damit sehen sich einflussreiche politische Kräfte in unserem Land, die seit langem für eine "normale" internationale Rolle der Bundesrepublik plädieren, nach der Vereinigung Deutschlands aller Fesseln ledig, eine qualitativ neue Phase der militärischen und außenpolitischen Machtpolitik mit Unterstützung ihrer europäischen Verbündeten einzuleiten.
Diese "normale" internationale Rolle Deutschlands läßt die Diskussion über die Definition der Einsatzmöglichkeiten von Blauhelmen, die seit nunmehr vier Jahren von Teilen der SPD, aber auch der Grünen geführt wird und derzufolge Blauhelme lediglich für "friedenserhaltende" (peacekeeping), nicht jedoch für "friedenserzwingende" (peace enforcement) Maßnahmen eingesetzt werden dürften, als politisch überholt erscheinen. Aufgrund des Fehlens eines globalen Sicherheitskonzepts beginnt sich die Rolle von Blauhelmen, die übrigens bis heute nicht in der UN-Charta geregelt ist, zu verwischen. Dies hat auch der Generalinspekteur der Bundeswehr Naumann erkannt, der auf der Kommandeurstagung im Oktober vergangenen Jahres klarstellte, daß "klassische" Blauhelmeinsätze, also "peacekeeping", eher die Ausnahme bilden werden:
"Der Regelfall wird daher bei künftigen friedenserhaltenden Maßnahmen der UN das robuste Mandat sein müssen, das dosiert, begrenzt und stets politisch kontrolliert Gegengewalt auf der Grundlage des Kapitels VII der UN-Charta erlaubt und damit über die unzureichende Formel Selbstverteidigung hinausgeht." Im Übrigen findet sich diese Überlegung auch in der vom Generalsekretär der UNO, Boutros-Ghali verfassten "Agenda für den Frieden", in der die Schaffung von "Einheiten zur Erzwingung des Friedens", die schwerer bewaffnet sein müssten als die traditionellen Blauhelme und die speziell ausgebildet werden müßten, propagiert wird.
Daß es in der Tat nahezu unmöglich ist, zwischen "friedenserhaltenden" (peacekeeping) und "friedenserzwingenden" (peace enforcement) Maßnahmen zu unterscheiden, hat mittlerweile auch die US-Armee erkannt, die in ihrem neuesten "Field Manuel" 100-23, eine Art "Gebrauchsanweisung" für das Verhalten von Soldaten in Einsätzen, Verhaltensregeln für "Peaceoperations" aufstellt. Darin wird u.a. klargestellt, daß die Verhaltensregeln bei einigen "Peace enforcement" Einsätzen ebenso rigoros sein können, wie in herkömmlichen Kampfeinsätzen. Obwohl beispielsweise Krankenhäuser und Kirchen als geschützt gelten, können sie, falls der Gegner sie für feindliche Zwecke benutzt, ebenfalls Angriffsziele sein (JDW, 8.1.94, S.14).
Auf NATO-Ebene finden diese Überlegungen ihr Pendant in dem Anfang dieses Jahres vom NATO-Militärausschuss erarbeiteten Dokument "MC 327", das zukünftige "out-of-area"-Einsätze der NATO offiziell absegnet und zugleich festlegt, daß zukünftige militärische Eingriffe nicht auf klassische Blauhelm-Einsätze beschränkt sind, sondern auch Maßnahmen zur Verteidigung oder Wiederherstellung des Friedens umfassen können. Von daher verwendet die NATO den umfassenderen Begriff "peace support" (Friedensunterstützung).
Was die Bundeswehr angeht, so sollen die Krisen-Reaktions-Kräfte (KRK) - schnell einsetzbar und äußerst mobil - für internationale Einsätze bereitstehen. Laut Weißbuch 1994 sind sie "Teil der Streitkräfte, der für die Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen des Bündnisses sowie als Beitrag zu internationalen Friedensmissionen eingesetzt werden kann." (Weißbuch 1994, S.93). Sie sollen eine Stärke von ca. 50.000 Soldaten haben und in der Lage sein, "Operationen aller drei Teilstreitkräfte im Zusammenwirken mit den Bündnispartnern zu führen und dabei das gesamte Spektrum möglicher Einsätze abzudecken, von der modernen Guerilla-Krieg-Führung bis zum Einsatz gegen hochwertig ausgerüstete Streitkräfte." (S.95) Das zur Erfüllung solcher Einsätze "in ausgewählten Bereichen die Notwendigkeit von Spitzentechnologie besteht", versteht sich von selbst. Angesichts der Defizite, die derzeit noch in Führung und Ausrüstung der KRK bestehen, bestimme der "hohe Stellenwert" der Krisenreaktionsfähigkeit die "Hauptanforderung an die Ausrüstung der Bundeswehr" (103). Entsprechend vorrangig werden sie - aus allen drei Teilstreitkräften zusammengesetzt - in der Ausrüstungsplanung behandelt. Allein für Aufklärung und Führung der KRK sind bis zu einem Drittel aller Forschungs- und Technologieinvestitionen vorgesehen (106).
Angesichts der zunehmenden Militarisierung, die sich auch im Rahmen der UNO ausbreitet, wäre die Bundesregierung gut beraten, ihr politisches und ökonomisches Gewicht für die Unterstützung tatsächlich friedensschaffender Maßnahmen einzusetzen, wozu in erster Linie umfassende ökonomische und soziale Unterstützungsprogramme zählen. So können die seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes vielbeschworenen "Bedrohungen aus dem Süden" - hierzu zählen neben dem Erstarken fundamentalistischer Bewegungen insbesondere der ansteigende Migrationsdruck - sicherlich nicht mit militärischen Mitteln behoben werden. Eine tatsächlich präventive Sicherheitspolitik würde vielmehr den Aufbau gleichberechtigter Austauschbeziehungen zwischen Nord und Süd voraussetzen. Die in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung vom 26. November 1992 militärischer Macht zugewiesene Aufgabe der "Aufrechterhaltung des Freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung" entpuppt sich aus Sicht der Länder der Dritten Welt als reiner Imperialismus. Betrachtet man die Ursachen der meisten Kriege dieser Welt, die heute fast ausschließlich in Staaten der Dritten Welt stattfinden, so liegen sie genau in der Tatsache begründet, daß es eben keinen "Freien Welthandel" und keinen ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen gibt, von einer "gerechten Weltwirtschaftsordnung" ganz zu schweigen.