Selbstverständnis der Bundeswehr bei Kooperationsverträgen

Bundeswehr und Schule

von Ulrich Frey

Seit 1958 informieren Jugendoffiziere der Bundeswehr im Bildungsbereich über Sicher-heitspolitik und Streitkräfte. Aber erst 2008 wurde die erste Kooperationsvereinbarung mit dem Land Nordrhein-Westfalen (NRW) geschlossen. 2009 bat der damalige Verteidigungsminister Jung in einem Brief an die anderen Ministerpräsidenten und Kultusministerien darum, dem  Beispiel von NRW zu folgen, denn „es bedürfe einer aktiven Unterrichtung der Bürgerinnen und Bürger, um den Sinn bewaffneter Auslandseinsätze zu vermitteln“. (1) Mittlerweile hat die Bundeswehr in acht der sechzehn Bundesländer Kooperationsvereinbarungen mit den Kultus- und Bildungsministerien abgeschlossen. (2) Dieses systematische Vorgehen wirft kritische Fragen zur Bundeswehr als staatlich organisierter Bildungsträgerin und zur Aktion bzw. Reaktion von Bildungsträgern auch im Bereich der Zivilgesellschaft auf. Im deutschen historischen und aktuellen friedenspolitischen Kontext bedeutet die Tätigkeit der Bundeswehr als Inhaberin militärischer Gewalt in der Rolle einer Bildungsträgerin in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. In zivilgesellschaftlichen Gruppen und in Kirchen wird die Problematik der Kooperationsvereinbarungen pädagogisch, friedensethisch und friedenspolitisch  zunehmend kritisch diskutiert und beurteilt.

Legitimation der Bundeswehr
Ist die Bundeswehr verfassungsrechtlich und nach den Bildungsgesetzen der Bundesländer für politische Bildungsarbeit legitimiert? Art. 87a Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz bestimmt: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“. Der Bund  handelt im Rahmen seiner ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG zur „Ausführung der Bundesgesetze“ (Art. 83 ff. GG). Die Bundeswehr ist also kein Organ der Bundesrepublik Deutschland wie der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung als Ganzes, hat aber kraft der Organisationsvorschrift des Art. 87a GG Verfassungsrang. Die verfassungsrechtliche Kompetenz für die Bildung liegt bei den Ländern (Art. 70 GG). Weil dem Bund die Rechtsmaterie „Bundeswehr“ zugewiesen ist, darf er als Annex-Kompetenz auch die zur Vorbereitung und Durchführung notwendigen Fragen mitregeln, z.B. die der Bundeswehr-Hochschulen. Nach dem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zu „Bundeswehr im Schulunterricht“ (3) sind Informationen über die Bundeswehr im Pflichtteil des Schulunterrichts verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, weil „die Streitkräfte Teil des Staates und verfassungsrechtlich verankert sind. Die Leitung der Informationsveranstaltung müsste aber bei der Schule verbleiben. Je umstrittener in der Öffentlichkeit die Inhalte der Veranstaltung sind, desto eher muss die Schule auf die Ausgewogenheit achten. Eine gezielte Beeinflussung der Schüler in eine bestimmte Richtung ist verfassungsrechtlich unzulässig.“

Forderungen, die Kooperationsverträge aus verfassungsrechtlichen Gründen aufzukündigen, laufen deshalb verfassungsrechtlich ins Leere. Kampagnen gegen die Kooperationsvereinbarung wie für Nordrhein-Westfalen (Kölner Initiative: „Schule ohne Bundeswehr“, www.jungegew.de) oder für Baden-Württemberg („Schulfrei für die Bundeswehr“ (4), www.schulfrei-fuer-die-bundeswehr.de) fordern daher als politischen Akt die Aufhebung der Kooperationsverträge mit der bildungspolitischen Begründung, Militärs gehörten nicht in die Schule, die Bildungspolitik dürfe nicht militarisiert werden.

Welches sind die bildungspolitischen Grenzen der Bundeswehr in Schulen?
Die Jugendoffiziere dürfen nur auf Einladung der Schulen am Unterricht mitwirken. Der Beutelsbacher Konsens (1976) formuliert einen didaktischen Minimalkonsens über die Richtlinien der politischen und didaktischen Inhalte für die Lehrpläne politischer Bildung.  Ihm sind auch die Jugendoffiziere von Amts wegen verpflichtet. Der Beutelsbacher Konsens beinhaltet drei Grundsätze (5):

- „Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hin-dern.“ Für den schulischen Unterricht bedeutet dieses „Überwältigungsverbot“, junge Men-schen anzuregen, ihren Verstand und ihre Urteilskraft für eine eigene Meinung zu trainieren.

- „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.“ Zusammen mit dem Überwältigungsverbot bedeutet dieses Kontroversitätsgebot die Forderung, zur Vermeidung von Indoktrination unterschiedliche Standpunkte darzulegen und alternative Optionen zu erläutern.

- „Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.“ (Bindung an das Interesse der Schüle-rinnen und Schüler)

Jugendoffiziere dürfen ausdrücklich nicht für den Dienst in der Bundeswehr werben. Das ist Aufgabe der Wehrberater. (6) Wegen des engen sachlichen Zusammenhangs können die Jugendoffiziere in einen Rollen- und Zielkonflikt zwischen den Erwartungen ihres Auftraggebers und den Regeln des Beutelsbacher Konsenses geraten, wenn sie in kontroversen Punkten die aktuelle Sicherheitspolitik der Bundesregierung verteidigen. (7) Aus der vom BMVg beauftragten Jugendstudie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr ergibt sich, dass die Jugendoffiziere durch ihre Öffentlichkeitsarbeit indirekt eine wichtige Rolle bei der Nachwuchswerbung und -gewinnung spielen. Denn 24% der jungen Männer, die an einer beruflichen Tätigkeit bei der Bundeswehr interessiert sind, hatten Kontakt zu einem Jugendoffizier. (8) Die Werbehilfe ist beabsichtigt. Die formale Trennung von „Erläuterung“ der Aufgaben der Bundeswehr und der Werbung für den Dienst in ihr ist in der Wirkung zu diesen 24% nicht real.

Der Bericht der Jugendoffiziere selbst lässt an verschiedenen Stellen erkennen, dass die von den Kultusministerien verantworteten personellen (Zahl und Qualifizierung von Lehrperso-nal) und materiellen Ressourcen nicht ausreichen, dem Bedarf zur politischen Bildung im Be-reich Frieden und Sicherheit gerecht zu werden. Dieses Defizit gleicht die Bundeswehr mit ihren Angeboten im unmittelbaren Schulalltag, in der Aus- und Fortbildung und bei der Er-stellung von Materialien teilweise aus. Das BMVg ist aber nicht dafür zuständig, Defizite anderer Ministerien auf Landesebene zu kompensieren.

Die Auseinandersetzung um die Kooperationsverträge hat inzwischen die Bundesebene erreicht. Auf Anregung von Edelgard Bulmahn (SPD) stimmen gegenwärtig (Stand 5.4.2011) vier  Abgeordnete des Bundestages (außer Edelgard Bulmahn: Roderich Kiesewetter (CDU), Kerstin Müller (Grüne) und Joachim Spatz (FDP)) im neuen Unterausschuss “Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“ ein Schreiben an die Kultusministerkonferenz des Inhalts ab, analog zu den Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr sollten auch Vereinbarungen mit Nichtregierungsorganisationen bei Bereitstellung entsprechender Mittel abgeschlossen werden.

 

Anmerkungen
1) Norbert Müller (GEW NRW) in: Protokoll der Anhörung des Ausschusses  für Schule und Weiterbildung  des Landtages von NRW vom 12.1.2011 (APr. 15/92), S. 7

2) Nordrhein-Westfalen (29.10.2008),  Baden-Württemberg (4.12.2009), Rheinland-Pfalz (25.2.1010), Saarland (25.3.2010), Bayern (8.6.2010), Mecklenburg-Vorpommern (13.7.2010),  Hessen (4.11.2010), Sachsen (21.12.2010)

3) Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung „Bundeswehr im Schulunterricht“, Verfasser: Tilman Hoppe,  WD 3-09/10, 2010, S. 3, unter Bezug auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in NJW 1981, S. 1056, und Schmitt-Kammler, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Auflage 2009, Art. 7 Randnummer 18

4) Die Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr“ setzt sich aus landesweiten und bundesweiten antimilitaristischen, pazifistischen und gewerkschaftlichen Organisationen zusammen: DFG-VK Baden-Württemberg, Informationsstelle Militarisierung, Ohne Rüstung Leben, Pax Christi Rottenburg-Stuttgart, Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg.  Vgl. auch Veröffentlichungen der Informationsstelle Militarisierung (www.imi-online.de) die IMI-Studie „Die Eroberung der Schulen – Wie die Bundeswehr in Bildungsstätten wirbt“ Nr. 02/2010 vom 18.1.2010 oder das  „IMI-Fact-Sheet: Bundeswehr und Schulen“, Juni 2010

5) Irina Schumacher, Was ist der Beutelsbacher Konsens?, www.politische-bildung-bayern.net/content/view/106/44 (Zugriff 9.10.2009)

6) Im Jahre 2009 waren insgesamt 94 hauptamtliche Jugendoffiziere in der Bundesrepublik tätig bzw. Dienstposten vorhanden. Sie erreichten in 7.245 Einsätzen, insbesondere in der gymnasialen Sekundarstufe II  182.522 Personen, davon  ca. 160.000 Jugendliche. 16 Bezirksjugendoffiziere führten zu einer intensiveren Zusammenarbeit mit Landesschulbehörden, bis hin zu institutionalisierten Kooperationen mit den zuständigen Ministerien.  Methoden waren Vorträge, Diskussionen und Seminare. Die Simulation „Politik & Internationale Sicherheit“ (POL&IS) wurde 365 Mal vor 16.120 Teilnehmenden eingesetzt. 540 Besuche wurden bei der Truppe mit 17.924 Teilnehmenden arrangiert. Die Jugendoffiziere führten 448 Seminarfahrten u.a. nach Brüssel, Straßburg, Wien, Berlin und Stettin durch. Die Bundeswehr hält unter dem Titel „Frieden und Sicherheit“ Unterrichtsmaterialien vor. Spezielle Jugendmedien werden eingesetzt. Darüber hinaus bemühen sich die Jugendoffiziere um Kontakte zu Hochschulen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen und zu den Jugendorganisationen der Parteien. (Jahresbericht der Jugendoffiziere 2009, www.bmvg.de/fileserving/PortalFiles/ C1256EF40036B05B/W287A9 XG521INFODE/Jahresbericht Jugendoffiziere 2009_final.pdf).

Für die Nachwuchswerbung der Bundeswehr standen statt der ursprünglich im Regierungsentwurf 2010 für 2011 vorgesehenen 27 Millionen Euro nach den Kürzungen des Haushaltsausschusses nur noch 17 Millionen zur Verfügung. www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/ 2010/ 28977221_kw11_sp_hh_verteidigung/index.html (Zugriff 27.1.2011)

7) Die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1.7.2011 mit der Herabsetzung der Sollstärke der Bundeswehr um 55.000 von 240.000 auf 185.000 Soldaten und Soldatinnen wird die Bundeswehr zu verstärkten Werbeanstrengungen  zwingen,  weil neben 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten jährlich 7.500 bis 15.000 junge Männer und Frauen für einen freiwilligen Dienst mit einer Dauer von bis zu 23 Monaten gewonnen werden müssen.

8) Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, Berufswahl Jugendlicher und Interesse an einer Berufstätigkeit bei der Bundeswehr. Ergebnis der Jugendstudie 2006, Thomas Bulmahn, Forschungsbericht 81, November 2007, S. 49, Tabelle 11.

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Hintergrund
Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.