Bundeswehr - von der Verteidigung zum Angriff

von Martin Singe
Nachstehender rein tabellarischer Überblick zur Entwicklung der Bundeswehr zu einer weltweit fähigen Eingriffs- und Angriffsarmee diente bei einer Veranstaltung zum Thema Bundeswehr als Hintergrundinformation für die TeilnehmerInnen, um die Entwicklungsstufen einfacher zeitlich zuordnen zu können. Für ähnliche Veranstaltungen mag sie Friedens-Forums-LeserInnen dienlich sein. Es geht in dieser Tabelle nicht um eine Gesamtentwicklung der Bundeswehr, sondern nur um die wichtigsten Daten der Veränderungen seit dem Umbruch 89/90 zu einer out-of-area-Einsatz-Armee.  
      1955: Beitritt der Bundesrepublik zur NATO; Wiederbewaffnung, Atomwaffenstationierung.
 
 
      1955-1959: Proteste gegen Wiederbewaffnung; Atombewaffnung.  
      1960er Jahre: Ostermarschbewegung
 
 
      1979-1983 NATO-Beschluss zu neuen Atomwaffen für Europa (Pershing II, Cruise Missiles). Größte Friedensdemonstrationen in Europa gegen die "Nachrüstung"; 1983: Stationierung.
 
 
      1987: INF-Vertrag zur Beseitigung der Mittelstreckenraketen.
 
 
      1989/1990: Ende Ost-West-Konflikt; Auflösung der Warschauer Vertrags Organisation.
 
 
      Februar 1991: Zweiter Golfkrieg; Die CDU-Regierung zahlt 18 Milliarden DM für den Krieg und bedauert, aus Verfassungsgründen nur scheckbuchmäßig mitkriegen zu dürfen.
 
 
      November 1991: Neue NATO-Strategie wird in Rom beschlossen: Neudefinition der Bedrohungen, weltweite Zuständigkeiten, Verfestigung Atomwaffen.
 
 
      1992: Verteidigungspolitische Richtlinien in Anlehnung an die neue NATO-Strategie.
 
 
      1991-1993: Diskussion um Grundgesetzänderung für weltweite Bundeswehreinsätze. Konsens ist bei allen Gesetzentwürfen als Voraussetzung eine 2/3-Mehrheit.
 
 
      1994: out-of-area-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes. Ende der Grundgesetzdebatte zum Bundeswehrauftrag. (Minderheitenvotum des BVerfG sieht NATO-Vertrag essentiell umdefiniert).
 
 
      1995: AWACS-Diskussion / Bosnien
 
 
      1997: Amsterdamer EU-Vertrag (macht sich die "Petersberg-Aufgaben" (incl. Friedenserzwingung) zueigen).
 
 
      Herbst 1998: Regierungswechsel: rot-grün übernimmt die Regierung.
 
 
      März - Juni 1999: Angriffskrieg gegen Jugoslawien ohne UN-Mandat; direkte Bundeswehrbeteiligung unter rot-grüner Regierung.
 
 
      April 1999: 50 Jahre NATO; Verkündung neuer Strategie (weltweite Einsätze); Möglichkeit der Selbstmandatierung (unabhängig von UN).
 
 
      1999: EU-Rat beschließt in Helsinki die Aufstellung einer EU-Eingreiftruppe mit 60.000 Mann bis 2003.
 
 
      1999: Beginn NATO-Osterweiterung (Beitritte Polen, Tschechien, Ungarn).
 
 
      11.9.2001: Terrorangriff gegen die Twin Towers in New York, Pentagon in Washington.
 
 
      September 2001: Beginn "Enduring Freedom". Krieg gegen Afghanistan / offizielle Begründung: Terrorismus. Erstmals beschlossener (bis heute andauernder) NATO-Verteidigungs-/Bündnisfall. Bundesrepublik und Bundeswehr befinden sich seit 2001 ununterbrochen im Krieg.
 
 
      2002: NATO-Gipfel Prag: Beschluss zur Aufstellung einer NRF (NATO Response Force) mit 21.000 Mann bis 2004.
 
 
      20.9.2002: NSS - National Security Strategy der USA: Präventivkriege ohne UN-Mandat als mögliche Option.
 
 
      20.3.2003-1.5.2003 Angriffskrieg der Koalition der Willigen gegen Irak unter US-Führung ohne UN-Mandat. Unterstützung durch Bundesregierung (Gewährung von Überflugrechten und Basennutzung; BW/Polizeischutz für US-Militäreinrichtungen; Fuchs und Flotte im Einsatzgebiet).
 
 
      29./30.4.2003: Vierer-"Pralinengipfel" in Brüssel: forcierte europäische Militarisierung.
 
 
      21. Mai 2003: Neue Verteidigungspolitische Richtlinien: Abschied vom Verteidigungsauftrag; Neudefinition der Bedrohungen, der Bundeswehraufgaben und -zuständigkeiten.
 
 
      Mai 2003: USA beginnt mit Planungen für Mini-Nukes und Robust Nuclear Earth Penetrator.
 
 
      20.6.2003: EU-Rat Thessaloniki: Solana-Papier "Entwurf für eine Europäische Sicherheitsstrategie".
 
 
      Juli 2003: Vorstellung der EU-Verfassung: mit Verpflichtung aller Staaten zu regelmäßiger Aufrüstung; Möglichkeit der "strukturierten Zusammenarbeit" der EU-Staaten mit "anspruchsvolleren" militärischen Fähigkeiten: Vorreiterrolle der EU-Starken ohne Konsensvoraussetzung in Gesamt-EU; Verbindliche Regelungen zu gegenseitigem militärischen Beistand bei Angriff oder Terror.
 
 
      Dezember 2003: vorläufiges Scheitern der EU-Verfassung an Abstimmungsprinzipien.
 
 
      Dezember 2003: Verabschiedung der ESS (Europ. Sicherheitsstrategie); inhaltlich wie Solana-Papier; als Antwort auf NSS der USA (20.9.02) verstanden.
 
 
      Anfang 2004: Strukturänderung Bundeswehr: 35.000 Eingreifkräfte; 140.000 Unterstützungskräfte; 70.000 Stabilisierungs-Kräfte.
 
 
      6. Februar 2004: NATO-Verteidigungsminister-Tagung: Vorbereitung NATO übernimmt Irak.
 
 
      25. März 2004: Bundestag: 1. Lesung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (Entsendegesetz) zu Bundeswehreinsätzen jenseits der Landesverteidigung (Niedrige Zustimmungsschwellen).
 
 
      25./26. März 2004: EU-Gipfel: Die EU-Verfassungsbestimmungen zu gegenseitigem militärischen Beistand bei Terrorangriffen werden vorab beschlossen.
 
 
      28./29.6.2004: NATO-Gipfel in Istanbul: eventuell Beschluss zu NATO-Einsatz im Irak (Bundeswehrbeteiligung auf niedrigem Niveau).
 
 
      Juni/Juli 2004 vermutlich Verabschiedung der EU-Verfassung (Stimmrechtsfragen sind mit Polen und Spanien - Regierungswechsel - geklärt); Beginn des Ratifizierungsprozesses.

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Hintergrund
Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".