C-Waffen-Abkommen: eine Illusion?

von Iver Lauermann

Selten konnte man in der Presse so viel über chemische Waffen lesen wie in den vergangenen Wochen. Die C-Waffen Konferenz in Paris und die amerikanischen Anschuldigungen gegen deutsche Chemiefirmen wegen der (inzwischen bewiesenen?) Lieferung von Rohstoffen und Bauteilen für eine angebliche libysche Chemiewaffenfabrik haben ein lange aus der Öffentlichkeit fast verschwundenes Thema wieder aktuell gemacht. Die Teilnehmer an der Konferenz in Paris haben eine Abschlußerklärung unterzeichnet, in der das weltweite Verbot chemischer Waffen gefordert wird.

Heißt das aber nun, daß die Abschaffung dieser Massenvernichtungsmittel wahrscheinlicher geworden ist? Aus den folgenden Gründen gibt es dafür leider wenig Hoffnung:

  • Die Aufnahme der Produktion binärer C-Waffen durch die USA Ende 1987 zur Modernisierung ih¬rer veralteten Bestände; dieses Programm wird auch weiterhin finanziert.
  • Das zunehmende Interesse von Staaten der Dritten Welt an billigen Massenvernichtungsmitteln, Beispiele sind der Irak, Syrien und vielleicht auch Libyen und Somalia. Diese Staaten betrachten C-Waffen als Ersatz für die für sie unerschwinglichen Atomwaffen, setzen sie aber auch gegen Rebellen oder unliebsame Minderheiten im eigenen Land ein, wohl wissend, daß gerade die Zivilbevölkerung den An¬griffen mit chemischen Waffen völlig schutzlos ausgesetzt ist (Irak, Somalia).
  • Zunehmende Bedenken der Chemieindustrie in den Industrieländern gegen Offenlegung der für die Verifikation nötigen Produktionszahlen und gegen eingehende Kontrollen ihrer Produktionsanlagen. Gleichzeitig fürchten die Entwicklungsländer die Einmischung der Industriestaaten in den Aufbau einer eigenen Chemieindustrie.

So ist denn die Pariser Erklärung auch lediglich eine Absichtserklärung, einen Vertrag zu schließen und hat keinerlei bindende Wirkung für die Unterzeichnerstaaten.
Nicht enthalten sind Sanktionen gegen Staaten, die C-Waffen einsetzen, nicht einmal Hilfsmaßnahmen für die Opfer solcher Einsätze. Wie nötig solche Maßnahmen wären, zeigen die An¬griffe der irakischen Streitkräfte. gegen kurdische Bergdörfer. Von den völlig schutzlosen Kurden sind wahrscheinlich 5000 durch Senfgas und das Nervengas Sarin umgebracht worden; Hilfsmaßnahmen oder eine internationale Verurteilung gibt es jedoch nicht.

Verifikation ist möglich
Das häufigste Argument, das immer wieder gegen ein Abkommen zur Abschaffung der C- Waffen angeführt wird, ist das der angeblichen Nichtverifizierbarkeit. Es wird argumentiert, aufgrund der einfachen Herstellbarkeit und der geringen zu produzierenden Mengen sei eine Fabrik, in der C- Waffen hergestellt werden, jederzeit zu verstecken bzw. als solche nicht zu erkennen.
In der Tat ist die Kontrolle der Nichtherstellung sicher fast unmöglich, kleine Mengen chemischer Waffen kann jedes Land unbemerkt herstellen. Um einen Krieg zu führen, braucht man aber schon einige tausend Tonnen, da die Gifte beim Einsatz über größere Gebiete verteilt würden, es geht der größte Teil "verloren". Die Produktion solcher Mengen würde aber aufgrund der benötigten Anlagen, der einzusetzenden Ausgangschemikalien und der einzuhaltenden Sicherheitsvorkehrungen nicht geheim bleiben können. So sind ja auch die Anlagen im Irak, in Syrien und vielleicht auch in Libyen den amerikanischen Geheimdiensten längst bekannt. Außerdem würde ein Unterzeichnerstaat einer Konvention Kontrollen seiner Chemieanlagen erlauben müssen, mit den Mitteln der modernen chemischen Analytik würde jeder Kampfstoff aufgespürt werden können. Staaten, die solche Kontrollen nicht mehr erlaubten, müßten dann durch internationale Sanktionen dazu gezwungen werden. Während der laufenden Genfer Verhandlungen sind Verifikationsmaßnahmen in fast allen Einzelheiten festgelegt worden, nach Meinung aller Fachleute ist eine ausreichende Verifikation möglich. Dies wissen auch die Amerikaner, die mit dem Argument der Nichtverifizierbarkeit zur Zeit die Genfer Verhandlungen blockieren. Dabei zeigen gerade die jüngsten Ereignisse um die Fabrik in Libyen, daß heute offenbar die Produktion größerer Mengen von Chemikalien und schon der Bau einer Anlage nicht mehr geheim gehalten werden kann.
Schwieriger wird die Verifikation zweifellos, wenn binäre chemische Waffen produziert werden sollen. Bei diesen Waffen werden die beiden Ausgangschemikalien getrennt hergestellt, gelagert und erst kurz vor dem Einsatz in die Waffe abgefüllt, erst nach dem Abschuß bildet sich im Geschoß das hochgiftige Nervengas. Die Ausgangschemikalien sind weit weniger giftig als konventionelle Nervenkampfstoffe, sie können daher in nor-malen Chemieanlagen hergestellt werden. Aber auch in diesem Fall könnte eine Kontrolle der benötigten Schlüsselchemikalien in Verbindung mit der Möglichkeit von Verdachtskontrollen die Verifikation ermöglichen. Bisher sind die USA aber das einzige Land, das binäre chemische Munition produziert, auch deshalb ist es wichtig, daß ein Abkommen möglichst bald in Kraft tritt.
Ein weiterer Grund ist die zu er¬wartende Entwicklung neuer, supertoxischer Gifte mit Hilfe der Gentechnologie, auch diese sind nur mit Hilfe einer umfassenden Konvention zu verhindern.

Chemische Abrüstung auch bei uns!
Auch bei uns lagern chemische Kampfstoffe: Nervenkampfstoffe der amerikanischen Truppen. Lagerungsort und Menge sind geheim, wahrscheinlich ist aber mindestens ein Lager bei Fischbach in Rheinland-Pfalz, die Menge liegt wahrscheinlich in der Größenordnung von 500-1000 t.
Diese Waffen sollen laut einer Zusage von Reagan bis 1992 vollständig abgezogen werden und, so unser Bundeskanzler, auch nicht durch die neuen Binärwaffen ersetzt werden.
Wie kann nun dieser Abzug vonstatten gehen?
In den USA, wo ebenfalls die in verschiedenen Lagern stationierten alten CW-Bestände bis 1997 vernichtet werden sollen, hat es eine sehr ausführliche öffentliche Diskussion über die genauen Bedingungen dieser Beseitigung gegeben. Als Ergebnis ist 1988 ein ausführliches Gutachten der Army zu diesem Thema erschienen. Ein wichtiger Diskussionspunkt ist darin die Frage, ob die Beseitigung direkt am Lagerort, oder in zentralen Vernichtungszentren durchgeführt werden soll. Es gibt in den USA acht Depots für chemische Waffen, für eine zentrale Vernichtung ließe sich ein Transport der teilweise überalterten und lecken Behälter also nicht vermeiden.
Es wurden detaillierte Daten über meteorologische Bedingungen, Bevölkerungsdichte, Gewässerverteilung, Trinkwasserreservoirs und Nationalparks auf den in Frage kommenden Transportstrecken gesammelt. Die Gefahr von Unfällen auf der Strecke und die mögliche Ausbreitung von Kampfstoffen von kleinen Leckagen bis zum größten anzunehmenden Unfall wurden analysiert.
Unter den verschiedenen Alternativen für die Vernichtung wurde die Verbrennung in speziellen Öfen direkt an den jetzigen Lagerorten als die insgesamt ungefährlichste eingeschätzt. Jeder Transport zu zentralen Verbrennungszentren wird als um den Faktor 3-4 gefährlicher angesehen, auch eine weitere Lagerung ist wesentlich riskanter.
Für die Bundesrepublik stellt sich ebenfalls die Frage nach der günstigsten Beseitigungsmethode, Vernichtung vor Ort oder Transport in die USA. Ein Transport würde, da der Luftweg wegen des großen Risikos nicht in Frage kommt, nur per Bahn oder LKW zu einem Nordseehafen erfolgen können. Da es sich bei den bei uns gelagerten Vorräten hauptsächlich um auf Munition gefüllte Nervenkampfstoffe handelt, ist die Gefahr bei einer Explosion oder einem Brand in einem dichtbesiedelten Gebiet wie dem Ruhrgebiet besonders hoch, hierbei wären laut Studie noch in einer Entfernung von 50 km vom Unfallort tödliche Konzentrationen an Kampfstoff zu befürchten. Der weitere Transport müßte dann auf dem Seeweg erfolgen, durch die verkehrsreichste Wasserstraße der Welt.
Auf jeden Fall ist die Aussage der Bundesregierung, die chemischen Waffen könnten gefahrlos transportiert werden, falsch. Auch bei uns muß die Diskussion über die Gefahren der Beseitigung der chemischen Waffen öffentlich geführt werden und die Entscheidungsbefugnis muß öffentlich tagenden parlamentarischen Gremien übertragen werden.

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