C-Waffenverbot nicht verifizierbar?

von Volker Bahl

Im Herbst 1987 schien schon alles klar: man war sich sicher, daß der Vertrag über ein allgemeines Verbot der C-Waffen nach über einem Jahrzehnt der Verhandlungen in Genf unter Dach und Fach gebracht werden könnte. Jüngste Äußerungen des US-Verhandlungsleiters Max Kampelmann haben neue Zweifel am Zustandekommen Abkommens genährt.

Der Text des Vertrages lag so gut wie unterschriftsreif in den Schubladen. Alle Welt tönte davon - nicht zuletzt unser rühriger Außenminister - daß 1988 das Jahr der C-Waffen-Abrüstung werden würde.

Die UdSSR unter Gorbatschow hatte sich in der Frage der Verifikation (Kontrolle vor Ort) deutlich bewegt und sogar ihre C-Waffen-Bestände den Augen westlicher Journalisten zugänglich gemacht.  Die bis dahin schwierige Frage der Verifikation erschien damit endgültig gelöst. 

Mitglieder der Abrüstungskonferenz konnten bei ihrem Besuch auf dem Testgelände Schichansky (UdSSR) der Vernichtung einer Bombe mit dem schrecklichen Nervenkampfstoff Sarin beiwohnen. Danach ging die Reise zu einer Vorführung der besonders schwierigen Vernichtung von Altkampfstoffen aus den beiden Weltkriegen in Münster - einer Anlage der Bundeswehr. Von dort führte die Tournee die Abrüster zu der Kampfstoffverbrennungsanlage im größten amerikanischen C-Waffen-Depot in Tooele/Utah.

Weltweit schien somit auch die Technik bereit zu stehen, um die todbringenden Supergifte zu vernichten.

Hatte da nicht auch unser Bundeskanzler auf dem Weltwirtschaftsgipfel diese sogenannte "Tokioter Erklärung" dem US-Präsidenten Reagan abgerungen, daß die bisher in der Bundesrepublik gelagerten Giftgas-Bestände bis 1992 von den USA abgezogen würden? Freudestrahlend hatte daraufhin der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, Bernhard Vogel, da sein Land von dem Teufelszeug besonders betroffen ist, lauthals verkündet: "Rheinland-Pfalz ab 1992 chemiewaffenfreie Zone!" Der Alptraum eines Giftgaskrieges auf dem potentiellen Schlachtfeld Europa begann sich immer mehr in Nichts aufzulösen.

In der Folge davon begann man/frau sich schon auf die Frage zu stürzen, ob denn die Fässer in den: C-Waffen-Depots in der Bundesrepublik, wie z.B. in Fischbach/Pfalz überhaupt noch transportfähig wären. Berichte aus den USA, die Sachverständige wie HansGünter Brauch in dem V erfahren der Verfassungsbeschwerde des DGB gegen die C-Waffenlagerung vor dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hatten, belegten, daß die Behälter der Bestände soweit von der Korrosion: angegriffen waren, daß sie nicht mehr transportiert werden konnten.

Mußten also die Vernichtungsanlagen . bei den C-Waffen-Beständen vor Ort, z.B. in Fischbach, erst errichtet werden, um die Vernichtung vornehmen zu können? Würde das nicht längere Zeit in Anspruch nehmen, so daß der Termin bis 1992 schon gar nicht einzuhalten wäre? Jedenfalls schien aber die ganze Beseitigung aller C-Waffen nur noch eine Frage der Zeit und des Mitteleinsatzes.

In all diese, auf konkrete Abrüstungen gerichteten Hoffnungen platzte die Nachricht vom Dezember 1987 wie eine Bombe, daß die USA jetzt wirklich mit der Produktion von binären - d.h. aus zwei Komponenten bestehenden - Kampfstoffen begonnen habe.  Wieder einmal unter dem Vorwand, aufzurüsten, um schneller zur Abrüstung zu kommen. einer Entwicklung übrigens, der die Bundesregierung am 22. Mai 1986 im NAT0°Rat ausdrücklich zugestimmt hatte!

Warum mußte diese Produktionsaufnahme jede Abrüstungshoffnung in immer weitere Feme rücken lassen? Das ist diese verdammte Tatsache, daß in einer Ära der binären Kampfstoffe ein allgemeines C-Waffenverbot nicht mehr durchsetzbar ist, da eine Kontrolle nicht mehr gewährleistet werden kann. Prof. Dosch, engagierter Fachmann und Gegner der chemischen Waffen von der Initiative "Naturwissenschaftler für den Frieden", der auch den DGB-Landesbezirk RheinlandPfalz bei seinen Aktivitäten sachkundig beraten hat, schreibt dazu lapidar:
"Weil es im Prinzip nun einmal möglich ist, daß binäre C-Waffen - anders als bisher! - heimlich produziert werden und auch stationiert werden können, ist chemische Abrüstung auf das Empfindlichste verunsichert worden." Die amerikanischen Militärs aber wollen diese Waffen für Europa - diese tödliche Waffe ohne Lagerrisiko! Immer wieder haben sie das versichert! Nehmen sie damit auch willentlich in Kauf, daß ein C-Waffen-Verbot für immer hinfällig wird. Die Schleusen für diese "A-Waffen des kleinen Mannes" - der Giftgaseinsatz im Golfkrieg wäre dann nur ein kleiner Anfang! - würden damit so richtig geöffnet. Ihre weltweite Verbreitung und der Einsatz in Krisenregionen wäre nicht mehr zu verhindern. Würden Bilder wie von den Giftgastoten von Halabschah dann zur fast alltäglichen Erscheinung in unseren Medien?

Auch hier ist es wieder so, daß der Termin Dezember 1987 - also die Aufnahme der Produktion von binären CWaffen - diesen Dammbruch noch. nicht allein bewirkt. Technologie und Verfahren sind noch begrenzt eingesetzt. Dieser Prozeß könnte jetzt noch gestoppt und rückgängig gemacht wer-den. In späteren  Zeiten sind alle Chancen dahin!

Aber die Amerikaner wollen diese Entwicklung nicht aufhalten. Zu vernarrt scheinen sie in die militärischen Vorteile dieser Waffe, als daß sie so schnell von der Produktion der Binären ablassen wollen.

Dies hat der US- Verhandlungsleiter in Genf, Friedersdorf, schon 1988 zum Ausdruck gebracht, durch seine Feststellung, daß die sogenannte Tokioter Erklärung für die USA überhaupt nicht rechtsverbindlich sei - zumindest für die Zeit nach Reagan, da sie nur mündlich zwischen Kohl und Reagan vereinbart wurde. Damit zielte Friedersdorf auf den 2. Teil dieses Versprechens von Tokio, daß die neuen binären C-Waffen "in der Regel" nicht mehr in der Bundesrepublik stationiert würden. Wegen der extrem guten neuen Möglichkeit der heimlichen Stationierung war diese Zusage sowieso wenig wert. Friedersdorf hat also nur darauf aufmerksam gemacht, daß die USA auch gar nicht vorhaben, sich daran zu halten.

Und jetzt hat ein anderer, der US-Verhandlungsleiter Max Kampelmann, festgestellt, daß ein allgemeines C-Waffen-Verbot nicht verifizierbar ist - also nicht kontrolliert werden kann. Zunächst ist dies ein Schlag gegen den inzwischen erreichten Stand der Verhandlungen in Genf, der Rückfall in eine Blockadepolitik gegen den unterschriftsreifen Vertragstext. Und so wurde es auch allgemein aufgefaßt. Mit dieser Hinhaltetaktik können die Amerikaner nur Zeit gewinnen wollen, um mit ihrer frisch begonnenen Produktion der "Binaries" weiterzukommen. Damit aber - und das ist der "Hintersinn" dieser Feststellung - kommen wir einem Zustand tatsächlich immer näher, der eine Verifikation unmöglich macht!

Wollen das die Amerikaner? Können wir das stoppen, und zwar jetzt? Diese Fragen will sich der DGB-Landesbezirk Rheinland-Pfalz in seiner langen Tradition des Kampfes gegen die C-Waffen auf einem Fachkongreß in der Mainzer Universität vom 19.-20. November 1988 widmen. Der Stand der Genfer Verhandlungen soll öffentlich auf den Prüfstand gestellt werden. Dazu sind neben vielen Fachleuten die Genfer Verhandlungsleiter der UdSSR und der USA, sowie Außenminister Genscher geladen. Es soll öffentlich klar werden, wo jetzt der fertige Vertrag noch blockiert wird.
Kontakt: DGB-Landesbezirk Rheinland-Pfalz, Postfach 2109, 6500 Mainz
 

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