Frauen der Bürgerinitiative Gorleben statten dem AKW Philippsburg am 04.08.94 einen Besuch ab.

Castor

von Wolfgang Ehmke
Initiativen
Initiativen

Nein, es geht nicht um den Hasen und den Igel. Es geht um Atommüll und uns, unseren Widerstand gegen die Inbetriebnahme des Brennele­mentzwischenlagers in Gorleben. Und dennoch drängen sich die Bilder auf: wir sind "all dor". Vertrieben aus dem Hüttendorf, wenige Tage spä­ter wieder drin. Der Castor aber kam nicht. Aber er stand abfahrbereit in Philippsburg. 14 Mal hetzten die Igel den Hasen, bis er tot umfiel. Na denn...

Begehrtestes Blatt der letzten Wochen war in bestimmten Kreisen zweifellos die Elbe-Jeetzel-Zeitung aus dem han­noverschen Wendland. Allerdings nicht der redaktionelle Teil! Seit die Bürger­initiative Umweltschutz Lüchow-Dan­nenberg in der ersten Juniwoche per In­serat verkündete, "der Castor kommt", hagelt es seitenweise Anzeigen und Le­serbriefe, in denen das heiße Thema Atommüll thematisiert wird. Das Brenn­elementzwischenlager - es ist seit 1983 betriebsbereit - soll beschickt werden. Das ruft die Leute auf den Plan, denn in der wechselvollen Geschichte des anti­atomaren Protests im Wendland hat die­ses Lager Symbolcharakter. Es steht auf der politischen Habenseite. Seit 11 Jah­ren gucken die Betreiber der Brennele­mentlagergesellschaft (BLG) in die leere Halle und lassen sich die Miete von den Atomstromproduzenten für die Stellplätze zahlen. Zur Habenseite ge­hört auch, daß Ende der 70er und An­fang der 80er Jahre die Atomindustrie gleich zweimal mit ihrem Vorhaben scheiterte, eine Wiederaufarbeitungsan­lage in Gorleben zu errichten. Die Pro­teste waren zu massenhaft, die Formen des Protests entglitten der staatlichen Kontrolle: Trecker rollten, Zufahrts­wege ins Wendland wurden mit einer symbolischen Menschenkette "ver­sperrt", Baumaschinen brannten, Barri­kaden wurden errichtet.

Aber schon einmal gab es einen Tag X. Im Orwelljahr 1984 konnte trotz hefti­ger Proteste nicht verhindert werden, daß schwach- und mittelradioaktiver Abfall auf platten Reifen ins Fasslager Gorleben rumpelte.

"Wir stellen uns quer"

"Castor- bleib wo du bist!" - Ganze Dorfgemeinschaften, Partygäste, Ärzte und Apotheker, Biobauern, Schülerin­nen und Schüler und ihre Lehrer/innen bekennen unter voller Namensnennung, daß sie dabei sind. Geschäfte werden am "Tag X" geschlossen bleiben, Eltern wollen ihre Kinder nicht in die Schule schicken, die Kirchen bieten Andachten. Alle Pastor/innen des Kirchenkreises Dannenberg schlossen sich dem Protest und der Blockadedrohung an, was ihnen mittlerweile einen Rüffel der evangeli­schen Landeskirche eingebracht hat. Of­fen wird angekündigt, daß zur Verhin­derung der Castoreinlagerung so man­ches Mittel recht sei. Einen kleinen Vorgeschmack konnten die "bestimmten Kreise" - Kripo, Staatsschutz, Behörden - in den vergangenen Wochen schon gewinnen. Wiederholt wurden auf den prospektiven Atomtransportstrecken der Deutschen Bundesbahn Schwellen fachmännisch zersägt, Straßenschilder wurden geschwärzt, die Zufahrtswege Richtung Zwischenlager waren unpas­sierbar, Gülle und Schmierseife machten die Asphaltdecke zu einer glitschigen Strecke. Schüler/innen blockierten die Geschäftsstraße in Lüchow, Bauern ver­stellten mit Traktoren in Dannenberg die Hauptstraße.

Worum es geht? Auf 420 Stellplätzen sollen die tonnenschweren Stahlbehälter aufgestellt werden. Der Castor ist Transport- und Lagerbehälter für die hochaktiven abgebrannten Brennele­mente, je nach Type schwankt das Ge­wicht zwischen 60 und 120 Tonnen. Das radioaktive Inventar eines Behälters ent­spricht der Sprengkraft von 40 Hiroshi­mabomben. Bislang gab es vier Anläufe der Brennelementlagergesellschaft Gor­leben (BLG), die Halle "heißzufahren". Und jedes Mal scheiterte die Atomfirma an einem Mix aus Prozess plus Protest. Was soll ein externes Zwischenlager mitsamt den riskanten Transporten, fragt die Bürgerinitiative, lässt den Müll dort, wo er anfällt. Das Heißfahren der ober­irdischen Deponie mit einem Castor aus Philippsburg ist nur die Spitze des Eis­bergs. Im Herbst soll ein weiterer Castor aus Biblis fol­gen. Und die hochaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung im französi­schen Cap de la Hague oder dem briti­schen Sellafield sollen eben­falls in Gorleben gestapelt werden. Ins­gesamt werden bis zum Jahr 2003 rund 2.800 Behälter aus La Hague und wei­tere 650 Gebinde aus Sellafield nach Deutsch­land zurückgeführt. Sie sollen in Gorle­ben und Ahaus kompakt gelagert wer­den, mangels Endlager eben oberir­disch und dauerhaft bis zu 100 Jahren, auch wenn es Klaus Töpfer energisch be­streitet. Hinter dem Protest in Gorle­ben steht die überzeugende Logik, das un­gelöste und unlösbare Entsorgungsde­saster als Hebel für den Ausstieg aus der Atomkraft zu nutzen. Das weiß auch die niedersächsische Umweltministerin Mo­nika Griefahn zu würdigen. Als sie sich im Dannenberger "Schützenhaus" vor über 300 Menschen der Diskussion stellt, präzisiert sie, daß für die Auslage­rung der Brennelemente in Philippsburg gar keine Notwendigkeit besteht, da dort noch Lagerkapazitäten (bei einem Wei­terbetrieb) bis ins näch­ste Jahrtausend, bis zum Jahr 2011, vor­handen sind. Die Ministerin und das querständische Pu­blikum sind sich ei­nig, das ist ein "poli­tischer Castor".

Da aber hört die Einigkeit schon auf. Warum redet der Innenminister dann davon, daß ein Castor, werde er einmal auf den Weg gebracht, sein Ziel in Gorleben auch sicher erreichen wird? Stimmt es, daß Glogowski beim Bun­desinnenminister Kanther den BGS an­gefordert hat? Stimmt es, daß Unter­künfte für Polizeipferde gesucht wer­den? Stimmt es, daß Polizeieinheiten autonom in 30er Gruppen operieren sollen, um den Widerstand zu zerschla­gen? Hinter vorgehaltener Hand geben Mitarbeiter des Innen- und Umweltmi­nisteriums zu verstehen, man habe den Widerstand gegen den Castor schlicht unterschätzt. Zwischenrufer: "Wenn der Castor kommt, heißt Gerhard Schröder Ernst Albrecht ... und wird auch so be­handelt!" Albrecht hatte 1979 verkün­det, die Wiederaufarbeitunganlage in Gorleben sei technisch zwar machbar, politisch aber nicht durchsetzbar. Die Gorlebengegner haben eben ein elefan­töses Gedächtnis.

Aber um skeptisch und auf der Hut ge­genüber Gerhard Schröder zu sein, braucht man nur an das vergangene Jahr zu denken. Da plädierte er als Wortfüh­rer der Sozialdemokraten im Rahmen der Bonner Energiekonsensgespräche für die Zwischenlagerung als Entsor­gungsnachweis für die abgebrannten Brennelemente. Erst jetzt, last minute, arbeitet Hannover mit Hochdruck daran, den politischen Spielraum auszuloten und den Konflikt zu entschärfen - der Transport und damit das Problem soll bis zur Wiederaufnahme der Bonner Energiekonsensgespräche nach den Bundestagswahlen im Oktober verscho­ben werden, meint auf einmal auch Landesfürst Gerhard Schröder und sieht in der Ankündigung des Transports eine "politische Provokation". Monika Grie­fahn will und darf sich zwar nicht an den Protestaktionen vor Ort beteili­gen. Sie darf aber die Unterschrift unter die Transportgenehmigung verweigern, und damit wäre der schwarze Peter wie so oft schon bei Klaus Töpfer. Wird der dann von seinem Weisungsrecht Ge­brauch machen, oder wird er mit Ger­hard Schröder telefonieren und kun­geln?

Wir bleiben auf der Hut. Unsere Polit­lektionen haben wir in den 17 Jahren Widerstand gegen Gorleben gut gelernt: "Die Politiker bewegen sich nur, wenn wir uns bewegen. Jetzt erst recht", lautet die Parole.

Zwischenspiel

13. Juli. Die Herren des Morgengrauens kamen pünktlich um 4 Uhr. Acht Hun­dertschaften Bereitschaftspolizei rück­ten gegen die Barrikaden vor, die den Antransport hochaktiver abgebrannter Brennelemente aus Philippsburg nach Gorleben erschweren sollten. Stunden­lang dauerte am vergangenen Mittwoch die Räumung des Hüttendorfes "Castornix". Obwohl wir passiven Wi­derstand leisteten, wurden viele erken­nungsdienstlich behandelt und "des Platzes verwiesen". Einige wurden in die Polizeikaserne verfrachtet. Schon am Abend waren viele wieder da, sic­kerten in die verbotene Zone ein ... Ein generelles Versammlungsverbot im Ra­dius von 6 km rund um den Atomkom­plex in Gorleben, unbefristet bis zur Ankunft des Castorbehälters mit dem Atommüll sollte die aufmüpfigen Wen­den und ihre Unterstützer/innen aus nah und fern in Schach halten. Auf 20 Seiten war minutiös zusammengetragen, was es in den Wochen zuvor an "Sachbeschädigungen" und "Aufrufen" gegeben hatte. Dem "Widerstand", sprich der Bürgerinitiative bzw. den Bewohner/innen von Castornix, wurde als quasi ideelle Gesamtwiderstands­größe in pauschaler Gesamtverantwort­lichkeit alles in die Schuhe geschoben. Noch in der Tagesschau am frühen Morgen gab sich die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn ah­nungslos, vom Polizeieinsatz hatte sie nichts gewusst. Schließlich sei das nicht ihr Ressort. Der Amtskollege Glo­gowski, ebenfalls ein Sozialdemokrat, hatte groß aufgefahren: Polizeihunde und -pferde, Gefangenenbusse, den technischen Zug. Eine Landesregierung im Spagat, der sie zu zerreißen droht. Gerhard Schröder am nächsten Tag in der Landtagsdebatte sattelt noch drauf. In Anspielung an den Ausspruch seines christdemokratischen Vorgängers, der unter dem Eindruck des Massenprotests im Wendland gegen eine Plutoniumfa­brik (Wiederaufarbeitungsanlage) in Gorleben sagte, die sei technisch zwar machbar, politisch aber nicht durchsetz­bar, formuliert der Landesvater: "Der Staat darf vor Einzelinteressen nicht zu­rückschrecken, seien sie noch so mora­lisch."

Das Einzelinteresse definieren wir je­doch ganz anders. Es ist das Privatinter­esse der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) und ihrer Tochter, der Brenn­elementlagergesellschaft Gorleben (BLG), ein fragwürdiges und riskantes Unterfangen, nämlich hochaktiven Müll extern, in einer Halle, dauerhaft zu la­gern.

Der Räumung folgte nicht der Castor. Am Freitag nach der Räumung über­schlagen sich die Ereignisse. Im Ge­spräch mit der GNS argumentiert nun der Innenminister, er könne in den großen Ferien nicht ständig Hunderte von Polizisten für den "Tag X" in Be­reitschaft halten. Gerhard Schröder droht, seine Bereitschaft, mit der Stromwirtschaft im Herbst wieder zum Themas Atomkonsens zu verhandeln, schwinde bei einem Castortransport. Ja, er braucht eben noch ein bisschen Ver­handlungsmasse, der Gerhard ... und mittags ruft der Lüneburger Verwal­tungsrichter Bode bei der Anwältin der Bürgerinitiative an, das Demoverbot sei aufgehoben, die Bezirksregierung habe die Verfügung zurückgezogen. Am 16. Juli demonstrieren 2000 Menschen vor dem Zwischenlager.

Der Erfolg macht uns nicht besoffen. Ganz nüchtern erklären wir, aufgescho­ben ist nicht aufgehoben, und wir liegen weiter auf der Lauer. Sollte es nach den Ferien, Anfang September, erneut hei­ßen, "der Castor kommt", werden wir nur nicht mehr 6 Wochen, sondern nur sechs Stunden für den Alarm brauchen. So viele Menschen haben sich nämlich inzwischen in die Telefonkette aufneh­men lassen. Unter 05841/4684. Rufen Sie doch mal an! Am besten zwischen­durch, denn wer weiß, Überraschungen sind nie ausgeschlossen.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Wolfgang Ehmke ist Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. www.bi-luechow-dannenberg.de buero@bi-luechow-dannenberg.de.