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Bundeswehr im Inneren:
CDU-Rechte reden den Notstand herbei
vonDer 'Asylkompromiss' war gerade im Mai 1993 mit der SPD geschlossen, beim Großen Lauschangriff zierte sich die FDP noch ein wenig, da legte Bundesinnenminister Manfred Kanther nochmal kräftig nach: im Oktober sollte diesmal die 'internationale Mafia' und die 'Ausländerflut' für den innenpolitischen Notstand herhalten, damit die Bundeswehr als 'Hilfspolizei' dem Bundesgrenzschutz (BGS) an der Ostgrenze und auch der Polizei ein wenig behilflich sein könnte. Um die Weihnachtszeit stimmte auch CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble phantasievoll in diese Angstkampagne ein. Erst zu Jahresbeginn wurden die Falken in ihrem Vorhaben zurückgepfiffen, das Grundgesetz zu Gunsten Weimarer Reichswehr-Verhältnisse auszuhebeln.
'Rückkehr zur Normalität'
Nach den Weimarer Erfahrungen mit Reichswehr und Freikorps sowie der NS-Vermischung von Wehrmacht, SS, SA, Gestapo, Sipo und Polizei wurden die Exekutivkräfte im Grundgesetz (GG) nicht grundlos strikt getrennt. Wie Gustav Noskes Reichswehr einst Streikende, Demonstranten und Linke zusammenschoss, wurde ähnliches bereits zu Kanzler Kiesingers Zeiten wieder von Unionsabgeordneten gefordert. Erst nach langen Kämpfen wurde mit den Notstandsgesetzen seit 1968 der Einsatz der Bundeswehr im Inneren möglich: "Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. (...). Art. 87a Abs. 4 GG.
Scheinbar harmlos kam Innenminister Kanther vergangenen Oktober mit seinem Vorschlag daher, 465 Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung des BGS an der polnischen und tschechischen Grenze abzukommandieren. Die Bundeswehr hatte dem BGS bereits 34 Wärmebildgeräte zum Aufspüren illegaler Grenzgänger geliehen, warum also nicht gleich Soldaten in BGS-Uniformen stecken? Logistische Amtshilfe gab es schließlich bereits in Wackersdorf (Hubschrauber, Sanipanzer, Kasernen) und bei anderen Demonstrationen.
Falls es Zweifel am Notstand in diesem unseren Lande geben würde (den der Bundestag mit 2/3 Mehrheit erklären muß), schlug der für BGS und Polizei zuständige Ministerialdirektor im Innenministerium (BMI), Horst Eisel, vor, die Soldaten als 'Privatpersonen' dem BGS helfen zu lassen. Die 'Zurverfügungstellung von Individuen' erfordere keine Notstandserklärung. Unterhalb des 'Einsatz'-Begriffes, befand im September 1993 eine Arbeitsgruppe von BMI und BMVg, wäre die Verwendung von Soldaten zu BGS-Diensten noch verfassungskonform.
Ganz in diesem Sinne erklärte Wolfgang Schäuble, es sei an der Zeit, die 'perfektionistischen Beschränkungen' aufzubrechen, die die deutsche Verfassung dem Militär auferlege. Im 'Zeitalter weltweiter Wanderungsbewegungen und internationalem Terrorismus' seien die 'Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit' zunehmend verwischt, so daß es möglich sein müsse, 'auf die Bundeswehr als eine Art Sicherheitsreserve zurückzugreifen'.
Schäubles Fraktionsvize, Johannes Gerster, entdeckte eine 'Durchnetzung mit Kriminalität und organisierten Banden in der Bundesrepublik Deutschland'. Ex-Verteidigungsminister und Staatsrechtler Rupert Scholz dozierte, 'von ausländischen Staaten gelenkter Terrorismus sei ein Angriff auf die territoriale Integrität Deutschlands' und die 'Masseneinwanderung nehme keine Rücksicht auf Mittel der Friedfertigkeit', und damit handele es sich um einen klaren Fall der Verteidigung äußerer Sicherheit. Eine Grundgesetzänderung, die Schäuble anstrebt, sei nicht notwendig. Auch für Kanzleramtsminister Friedrich Bohl wäre 'wegen der veränderten Lage in Europa' der Einsatz der Bundeswehr im Inneren sinnvoll.
Protest, der nicht genügt
Widerstand gegen solchen Rechts-Populismus regte sich zuerst bei den Betroffenen: Dieter Lutz, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, erklärte: 'Einen solchen Unfug habe ich bisher nicht mal von den Republikanern gehört'. Auch Verteidigungsminister Rühe sieht sich mit der bisherigen Landesverteidigung und neuen out-of-area-Planungen genügend ausgelastet. Dabei würde ihm eine zu befürchtende erneute Verfassungsklage nicht gerade helfen. Der Truppe habe Schäuble einen 'Bärendienst' erwiesen. 'Es ist müßig und falsch, der Bundeswehr um jeden Preis neue Aufgaben, neue Legitimation zu verschaffen,' kommentierte Admiral a.D. Elmar Schmähling. 'Die Bundeswehr ist kein innenpolitischer Schützenverein,' warnte General a.D. Gerd Schmückle. 'Nur Diktaturen und Bürgerkriegsparteien setzen Streitkräfte im Inneren ein,' orakelte General a.D. Manfred Opel (SPD).
Günter Graf (SPD) gab Kanther den Tip, erstmal die 5.000 unbesetzten Planstellen beim BGS aufzufüllen. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nannte Schäubles Pläne 'Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten'. FDP-Chef Kinkel lehnt Schäubles Vorstoß ebenso ab wie Bündnis 90/Die Grünen. Die PDS beantragte wegen dieser 'zutiefst reaktionären Politik (Andrea Lederer) eine Aktuelle Stunde im Bundestag.
Bemerkenswert ruhig blieb es zur Schäuble-Initiative in den Reihen der Union. Zwar sollen einige CDU-Vorstandsmitglieder protestiert haben. Doch Kanzler Kohl griff Schäuble im Interesse eines geschlossenen Parteibildes zu den Wahlen nur allgemein und ohne Namensnennung für 'Alleingänge' und 'Eigensinn' an.
Was steckt hinter Schäubles Plänen
Die Motive für die Kanther/Schäuble-Initiative scheinen klar:
- rechtspopulistischer Stimmenfang,
- Restauration des starken Staates zur Stützung des Sozialabbaus,
- Absicherung der Wohlstandsfestung Europa,
- Sinnstiftung für die Bundeswehr.
Bemerkenswert bleibt, daß dieser offenkundig nicht durchsetzbare Brandsatz zu Wahlkampfzeiten von Wolfgang Schäuble kommt. 'Schäuble ist kein Möllemann' (Weltwoche). Die Schäuble-Initiative ist mehr als ein Wahlmanöver, durch die sich der CDU-Fraktionschef nach der soundsovielten verlorenen Landtagswahl doch noch als Kanzlerkandidat profilieren kann.
So wichtig der Protest von FDP bis PDS ist, so beängstigend bleibt das Schweigen in der CDU/CSU. Denn Schäuble hat ein Fass geöffnet, in dem durchaus schon konkrete Pläne schlummern. Bereits Mitte November 1992 geisterten Pläne zur Bundeswehr-Grenzsicherung durch die Presse, nachdem das Innenministerium erste Gespräche mit dem Verteidigungsministerium aufgenommen hatte. CSU-Landesgruppenchef Bötsch forderte 1992 nach dem Lynchanschlag von Rostock den Einsatz der Bundeswehr.
In NATO-Manövern spielen 'Flüchtlingsströme' eine zunehmend wichtigere Rolle. Polen, die Tschechische Republik, Ungarn und Österreich haben Truppen an ihre Ostgrenzen verlegt. Volker Rühe hat sich diese Kooperation bereits im Burgenland vorführen lassen. Die Schweiz probt Manöver gegen illegale Einwanderer. Immer ungenierter verweisen Unionsabgeordnete auf die enge Zusammenarbeit von Militär und Polizei in Frankreich, Italien, den Niederlanden, Großbritannien oder den USA.
Wolfgang Schäuble ist kein Hazardeur - und er ist nicht alleine. Schäuble hat den Zeitgeist kalkuliert beim Namen genannt. Augenblicklich hat der Kanzler die Diskussion lediglich aus wahltaktischen Gründen erstickt. Doch dieses Spiel mit dem Feuer muß beendet werden, bevor es sich zum Flächenbrand ausweitet.