Bundeswehr im Inneren:

CDU-Rechte reden den Notstand herbei

von Stefan Gose
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Der 'Asylkompromiss' war gerade im Mai 1993 mit der SPD geschlossen, beim Großen Lauschangriff zierte sich die FDP noch ein wenig, da legte Bundesinnen­minister Manfred Kanther nochmal kräftig nach: im Ok­tober sollte diesmal die 'internationale Mafia' und die 'Ausländerflut' für den innenpolitischen Notstand herhalten, damit die Bundeswehr als 'Hilfspolizei' dem Bundesgrenzschutz (BGS) an der Ostgrenze und auch der Polizei ein wenig behilflich sein könnte. Um die Weihnachtszeit stimmte auch CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble phanta­sievoll in diese Angstkampagne ein. Erst zu Jahresbeginn wurden die Falken in ihrem Vorhaben zurückgepfiffen, das Grundgesetz zu Gunsten Weimarer Reichs­wehr-Verhältnisse auszuhebeln.

'Rückkehr zur Normalität'

Nach den Weimarer Er­fahrungen mit Reichs­wehr und Freikorps so­wie der NS-Vermischung von Wehrmacht, SS, SA, Gestapo, Sipo und Polizei wurden die Exekutiv­kräfte im Grundgesetz (GG) nicht grundlos strikt getrennt. Wie Gustav Noskes Reichswehr einst Strei­kende, Demonstranten und Linke zusammenschoss, wurde ähnliches be­reits zu Kanzler Kiesingers Zeiten wie­der von Unionsabgeordneten gefordert. Erst nach langen Kämpfen wurde mit den Not­standsgesetzen seit 1968 der Einsatz der Bundes­wehr im Inne­ren möglich: "Zur Abwehr einer dro­henden Gefahr für den Bestand oder die frei­heitliche demokratische Grundordnung des Bun­des oder eines Landes kann die Bundesre­gie­rung, wenn die Voraus­setzungen des Artikels 91 Abs. 2 vor­liegen und die Po­lizeikräfte sowie der Bundesgrenz­schutz nicht ausreichen, Streit­kräfte zur Unter­stüt­zung der Poli­zei und des Bundes­grenz­schutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung orga­nisierter und militä­risch bewaffneter Auf­ständischer einsetzen. (...). Art. 87a Abs. 4 GG.

Scheinbar harmlos kam Innenminister Kanther vergangenen Oktober mit sei­nem Vorschlag daher, 465 Bundeswehr­soldaten zur Unterstützung des BGS an der polnischen und tschechischen Gren­ze abzukommandieren. Die Bun­deswehr hatte dem BGS bereits 34 Wärmebildge­räte zum Aufspüren ille­galer Grenzgän­ger geliehen, warum also nicht gleich Soldaten in BGS-Unifor­men stecken? Logistische Amtshilfe gab es schließlich bereits in Wackersdorf (Hubschrauber, Sanipanzer, Kasernen) und bei anderen Demonstrationen.

Falls es Zweifel am Notstand in diesem unseren Lande geben würde (den der Bundestag mit 2/3 Mehrheit erklären muß), schlug der für BGS und Polizei zuständige Ministerialdirektor im In­nen­ministerium (BMI), Horst Eisel, vor, die Soldaten als 'Privatpersonen' dem BGS helfen zu lassen. Die 'Zurverfügungstel­lung von Individuen' erfordere keine Notstandserklärung. Unterhalb des 'Ein­satz'-Begriffes, be­fand im September 1993 eine Arbeits­gruppe von BMI und BMVg, wäre die Verwendung von Sol­daten zu BGS-Diensten noch verfas­sungskonform.

Ganz in diesem Sinne erklärte Wolfgang Schäuble, es sei an der Zeit, die 'perfek­tionistischen Beschränkungen' aufzubre­chen, die die deutsche Verfas­sung dem Militär auferlege. Im 'Zeitalter welt­weiter Wanderungsbewegungen und in­ternationalem Terrorismus' seien die 'Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit' zunehmend verwischt, so daß es möglich sein müsse, 'auf die Bun­des­wehr als eine Art Sicherheitsreserve zu­rückzugreifen'.

Schäubles Fraktionsvize, Johannes Ger­ster, entdeckte eine 'Durchnetzung mit Kriminalität und organisierten Banden in der Bundesrepublik Deutschland'. Ex-Verteidigungsminister und Staatsrecht­ler Rupert Scholz dozierte, 'von auslän­dischen Staaten gelenkter Terrorismus sei ein Angriff auf die territoriale Inte­grität Deutschlands' und die 'Massenein­wanderung nehme keine Rücksicht auf Mittel der Friedfertigkeit', und damit handele es sich um einen kla­ren Fall der Verteidigung äußerer Si­cherheit. Eine Grundgesetzänderung, die Schäuble an­strebt, sei nicht notwendig. Auch für Kanzleramtsminister Friedrich Bohl wä­re 'wegen der veränderten Lage in Euro­pa' der Einsatz der Bundeswehr im Inne­ren sinnvoll.

Protest, der nicht genügt

Widerstand gegen solchen Rechts-Po­pu­lismus regte sich zuerst bei den Be­trof­fenen: Dieter Lutz, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, erklärte: 'Ei­nen solchen Unfug habe ich bisher nicht mal von den Republikanern ge­hört'. Auch Verteidigungsminister Rühe sieht sich mit der bisherigen Landesverteidi­gung und neuen out-of-area-Pla­nungen genügend ausgelastet. Dabei würde ihm eine zu befürchtende erneute Verfas­sungsklage nicht gerade helfen. Der Truppe habe Schäuble einen 'Bären­dienst' erwiesen. 'Es ist müßig und falsch, der Bundeswehr um jeden Preis neue Aufgaben, neue Legitimation zu verschaffen,' kommentierte Admiral a.D. Elmar Schmähling. 'Die Bundes­wehr ist kein innenpolitischer Schützen­verein,' warnte General a.D. Gerd Schmückle. 'Nur Diktaturen und Bür­ger­kriegsparteien setzen Streitkräfte im In­neren ein,' orakelte General a.D. Man­fred Opel (SPD).

Günter Graf (SPD) gab Kanther den Tip, erstmal die 5.000 unbesetzten Plan­stellen beim BGS aufzufüllen. Justizmi­nisterin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nannte Schäubles Pläne 'Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten'. FDP-Chef Kinkel lehnt Schäubles Vor­stoß ebenso ab wie Bündnis 90/Die Grünen. Die PDS beantragte wegen die­ser 'zutiefst reaktionären Politik (Andrea Lederer) eine Aktuelle Stunde im Bun­destag.

Bemerkenswert ruhig blieb es zur Schäuble-Initiative in den Reihen der Union. Zwar sollen einige CDU-Vor­standsmitglieder protestiert haben. Doch Kanzler Kohl griff Schäuble im Inter­es­se eines geschlossenen Parteibildes zu den Wahlen nur allgemein und ohne Na­mensnennung für 'Alleingänge' und 'Ei­gensinn' an.

Was steckt hinter Schäubles Plänen

Die Motive für die Kanther/Schäuble-Initiative scheinen klar:

- rechtspopulistischer Stimmenfang,

- Restauration des starken Staates zur Stützung des Sozialabbaus,

- Absicherung der Wohlstandsfestung Europa,

- Sinnstiftung für die Bundeswehr.

Bemerkenswert bleibt, daß dieser offen­kundig nicht durchsetzbare Brandsatz zu Wahlkampfzeiten von Wolfgang Schäuble kommt. 'Schäuble ist kein Möllemann' (Weltwoche). Die Schäub­le-Initiative ist mehr als ein Wahlmanö­ver, durch die sich der CDU-Fraktions­chef nach der soundsovielten verlorenen Landtagswahl doch noch als Kanzler­kandidat profilieren kann.

So wichtig der Protest von FDP bis PDS ist, so beängstigend bleibt das Schwei­gen in der CDU/CSU. Denn Schäuble hat ein Fass geöffnet, in dem durchaus schon konkrete Pläne schlummern. Be­reits Mitte November 1992 geisterten Pläne zur Bundeswehr-Grenzsicherung durch die Presse, nachdem das Innen­mi­nisterium erste Gespräche mit dem Ver­teidigungsministerium aufgenom­men hatte. CSU-Landesgruppenchef Bötsch forderte 1992 nach dem Lynch­anschlag von Rostock den Einsatz der Bundes­wehr.

In NATO-Manövern spielen 'Flücht­lingsströme' eine zunehmend wichtigere Rolle. Polen, die Tschechi­sche Repu­blik, Ungarn und Österreich haben Truppen an ihre Ostgrenzen ver­legt. Volker Rühe hat sich diese Koope­ration bereits im Burgenland vorführen lassen. Die Schweiz probt Manöver ge­gen ille­gale Einwanderer. Immer unge­nierter verweisen Unionsabgeordnete auf die enge Zusammenarbeit von Mili­tär und Polizei in Frankreich, Italien, den Nie­derlanden, Großbritannien oder den USA.

Wolfgang Schäuble ist kein Hazardeur - und er ist nicht alleine. Schäuble hat den Zeitgeist kalkuliert beim Namen ge­nannt. Augenblicklich hat der Kanzler die Diskussion lediglich aus wahltakti­schen Gründen erstickt. Doch dieses Spiel mit dem Feuer muß beendet wer­den, bevor es sich zum Flächenbrand ausweitet.

 

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Stefan Gose ist Redakteur der "antimilitarismus information" (ami).