China und die Atomwaffen

von Martin Kalinowski

Das International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) hielt seine dritte internationale Tagung dieses Jahr vom 8. bis 10. September in Shanghai ab. Der lokale Gastgeber war Prof. Dingli Shen vom Center of American Studies der Fudan Universität. Die inhaltliche Vorbereitung und die Einladung der internationalen Gäste wurde von der Forschungsgruppe IANUS der TH Darmstadt durchgeführt, von wo aus INESAP im Jahre 1993 ins Leben gerufen worden war. Im vergangenen Jahr traf sich das Netzwerk in Götheborg, im kommenden Jahr ist Jordanien das Gastgeberland.

Die diesjährige INESAP Tagung war die erste internationale Konferenz in China, die sich speziell mit Kernwaffen und Trägersystemen befaßt hat. Die Begegnung von 30 internationalen Gästen mit 20 chinesischen Abrüstungsexperten ermöglichte ein besseres Verständnis für Abrüstungsoptionen, die von dem Reich der Mitte mitgetragen werden können. Immerhin ist China der einzige Kernwaffenstaat, der sich für die Aushandlung einer Kernwaffenkonvention ausspricht, mit dem alle Kernwaffen verboten und abgerüstet werden sollen. An einem Modellentwurf für eine solche Konvention haben Wissenschaftler von IANUS maßgeblich mitgewirkt und in China mit Experten aus 20 Ländern diskutiert.

Allerdings wird das Ziel der endgültigen Abschaffung von Kernwaffen von einigen chinesischen Experten weit in der Zukunft verortet. Demnach seien noch weitere 50 Jahre für den vollständigen Abrüstungsprozeß notwendig. Die meisten chinesischen Experten machten deutlich, daß China erst dann wesentliche Abrüstungsschritte unternehmen wird, wenn die beiden Länder mit den deutlich größten nuklearen Arsenalen mit ihrer Reduktion weit vorangeschritten sind. Die bedeutendste Maßnahme, zu der China sofort bereit ist und die China seit langer Zeit von den anderen Kernwaffenstaaten ohne den geringsten Erfolg einfordert, ist eine gemeinsame vertragliche Zusicherung, daß kein Land als erstes Kernwaffen einsetzen wird (No-First-Use Treaty). Den Umfassenden Teststoppvertrag (CTBT) hat China unterzeichnet, jedoch noch nicht ratifiziert. Zu bestimmten weiteren Schritten ist von chinesischer Seite wenig zu vernehmen.

Die offizielle chinesische Begründung für diese starke Zurückhaltung war auch auf der INESAP Tagung immer wieder zu hören. Demnach hat sich China in der Vergangenheit äußerste Zurückhaltung im eigenen Kernwaffenprogramm auferlegt. Ob der Umfang und die Qualität des chinesischen Kernwaffenarsenals nicht auch durch technische und ökonomische Randbedingungen begrenzt worden war, sei einmal dahingestellt. Tatsache ist, daß China ähnlich wie England und Frankreich nur rund 400 Kernwaffen im aktiven Arsenal unterhält und damit weit geringere Bestände hat als die USA und Rußland, die auch nach Realisierung von START II bis zum Jahre 2004 noch fast zehnmal so viele strategische Kernwaffen im aktiven Arsenal besitzen werden.

Einige chinesische Fachleute weisen darauf hin, daß das derzeitige chinesische Arsenal ein Minimum darstelle, das in keiner Weise durch Einzelmaßnahmen in einem schrittweisen Abrüstungsprozeß angetastet werden dürfe. Dies wird damit begründet, daß China für eine überzeugende nukleare Abschreckung über ein hinreichend großes Arsenal verfügen müsse, um die sogenannte Zweitschlagfähigkeit zu bewahren. So wird die Bedeutung der chinesischen Unterstützung für Verhandlungen zu einer Kernwaffenkonvention deutlich. China zeigt sich zum radikalen Schritt auf Null bereit und erwartet, daß er von allen Kernwaffenländern gleichzeitig getan wird.

Eine solche Position könnte es China schwer machen, in der Zukunft guten Willen zu demonstrieren und aktive Schritte zur vollständigen Abrüstung von Kernwaffen mitzutragen. Auf der INESAP Tagung wurde jedoch deutlich, daß auch China wichtige Schritte mittragen kann, wenn nämlich in Zukunft mehr Gewicht auf qualitative Abrüstung als Ergänzung zu quantitativen Reduktionen gelegt wird. Unter dem Begriff der qualitativen Abrüstung werden alle Maßnahmen zusammengefaßt, mit denen die Gefahr durch die vorhandenen Arsenale reduziert wird. Dazu gehört die Löschung von Zielkoordinaten in Computern und andere Maßnahmen zur Einschränkung der Alarmbereitschaft und der Möglichkeit bzw. Gefahr eines Einsatzes ohne Vorwarnung bzw. aus Versehen. Weitere technische Vorschläge betreffen die Trennung von Sprengköpfen und Trägersystemen, eine international überwachte Lagerung der Kernwaffen und die Nichtauffrischung von zerfallenem Tritium. Politische Maßnahmen der qualitativen Abrüstung liegen in der Schaffung und Ausdehnung von kernwaffenfreien Zonen und im Abzug von Kernwaffen aus verbündeten Nichtkernwaffenstaaten. Auch der chinesische Vorschlag zu einem Vertrag über den Nichtersteinsatz gehört in diese Kategorie.

Hinter qualitativer Abrüstung kann sich durchaus eine erfolgversprechende Abrüstungsstrategie verbergen, die gelegentlich als Marginalisierung von Kernwaffen bezeichnet wird. Wenn die reale Einsatzfähigkeit und die Legitimität von Kernwaffen stark eingeschränkt ist, werden Militärs und Politiker diesen Waffen nur noch derart wenig Gewicht beimessen können, daß sie sich davon überzeugen lassen, diese Waffen seien auch gänzlich verzichtbar und könnten abgeschafft werden.

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Martin Kalinowski ist Mitglied der Interdisziplinären Arbeitsgruppe IANUS am Institut für Kernphysik an der Uni Darmstadt, Schloßgartenstr. 9, 64289 Darmstadt, Tel. 06151/163016, Fax: 06151/166039.