Ein Mittel zur Entwicklung neuer Kernwaffen?

Computersimulationen

von Martin B. Kalinowski
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Hier wird die These aufgestellt, daß sich die Kernwaffenstaaten auf einen umfassenden Teststoppvertrag einigen konnten, weil sie Kernwaffen in Zukunft mit Computersimulationen und Laborexperimenten entwickelten und auf unterirdische Tests verzichten können. Diese Behauptung war sehr umstritten, doch jetzt gibt es erste ernstzunehmende Hinweise, daß sie wahr ist.

Ähnlich war es Anfang der 60er Jahre. Nachdem die Technologie des unterirdischen Testens entwickelt war, wurde 1963 der Partielle Teststoppvertrag abgeschlossen. Von 1994 bis 1996. hat die Konferenz für Abrüstung in Genf den Umfassenden Teststoppvertrag (Comprehensive Test Ban Treaty - CTBTI) ausgehandelt. Obwohl er mittlerweile von über 140 Staaten unterschrieben wurde und diese Staaten bereits konkrete Schritte zu seiner Umsetzung eingeleitet haben, steht in·Frage, ob dieser Vertrag jemals formal in Kraft tritt. Dafür würden die Unterschriften von Indien, Pakistan und Libyen benötigt, die den Vertrag in dieser Form ablehnen. Der Hauptkritikpunkt ist die eingangs genannte Behauptung.

Tatsächlich wollen die Kernwaffenstaaten ihre Kernwaffenforschung mit anderen Mitteln weiter betreiben. Seit Beginn der Verhandlungen sind sie dabei, mit gigantischem Aufwand Technologien weiterzuentwickeln und neue Forschungsanlagen zu bauen, mit denen die Funktion unterirdischen Testens weitgehend ersetzt werden soll. Zwar wird von ihnen zugestanden, daß die qualitative Weiterentwicklung von Kernwaffen·durch den CTBT eingeschränkt ist, aber sie haben sich vehement dagegen gesperrt, daß das Ziel der Beendigung von Kernwaffenentwicklung in die Präambel des Vertragstextes hineingeschrieben würde.

Über die USA ist über entsprechende Aktivitäten am meisten bekannt und zum Teil übertragbar auf andere Kernwaffenstaaten. Jährlich sollen 4 Milliarden US-Dollar für das sogenannte „Stockpile Stewartship and Management Program“ ausgegeben werden.
Offiziell ist das Ziel dieses Programms, die Sicherheit und Zuverlässigkeit des vorhandenen und nun alternden Arsenals zu gewährleisten. Mit den für Milliardensummen neu zu bauenden Großforschungsgeräten, subkritischen Experimenten im Testgelände von Nevada und mit den größten Parallelcomputern der Welt können aber auch neue Kernwaffen entwickelt werden.1

Daß dies auch passiert, ist ein offenes Geheimnis. Erstens bekommen die drei Kernwaffenlaboratorien eine Grundfinanzierung, die Mittel für neue Kernwaffenkonzepte wie Elektromagnetische Impulswaffen und Stealth-Radartarnung im Budgetplan ausweist. Zweitens werden Aufträge für neue Kernwaffentypen getarnt als Modifikationen alter Modelle. Diese Tarnung ist nicht nur notwendig, um weltweiter Kritik vorzubeugen, sondern schon deswegen, weil ein Beschluß des US-Kongresses die Entwicklung von neuen Kernwaffen verbietet. Dennoch gab es einen Auftrag, den alten Kernwaffentyp B-61 so zu modifizieren, daß er eine wählbare Sprengkraft bis hinunter in den Subkilotonnenbereich hat und daß er unterirdische Führungsbunker zerstören kann, indem er mehrere Meter Beton und Fels durchdringt, bevor er explodiert.

Die entscheidende und vielfach bezweifelte Frage ist, ob die Militärs bereit sein werden, neue Abnahmeprozeduren zu akzeptieren und·Kernwaffen in ihre Arsenale aufzunehmen, die nicht real getestet worden sind. Nach neuesten Meldungen aus den USA scheint dies der Fall zu sein. Unmittelbar vor Beginn der ersten Vorbereitungskonferenz für die Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages in New York gab das Energieministerium Anfang April bekannt, daß die genannte·Modifikation des Kernwaffentyps B-61 jetzt ins Arsenal aufgenommen werden soll, ohne jemals unterirdisch getestet worden zu sein. Weiterhin erklärte Victor Reis, Staatssekretär im Energieministerium, am 19. März vor dem Streitkräftekomitee des US-Senats, daß ein Ersatz für unterirdisches Testen erfolgreich für die Revalidierung des Sprengkopfes W-76für das Trident U-Boot angewendet worden sei.

Dieser Ersatz besteht nach seiner Aussage aus einer Kombination von Analysen, neuen experimentellen Daten, archivierten Test-und Herstellungsdaten und dem gemeinsamen Urteil von zwei Kernwaffenlaboratorien. Bei der Revalidierung würde neu geprüft, ob ein existierender Sprengkopf den militärischen Anforderungen genügt. Victor Reis betont, daß dieser Erfolg Vertrauen schöpfen läßt, daß zukünftige Aufgaben für das Kernwaffenarsenal auch ohne unterirdische Tests gelöst werden können.

Mit verstärkter Simulationstechnik wird auch eine Entwicklung ermöglicht, die vom Ziel einer kernwaffenfreien Welt her höchst unerwünscht ist. Am Ende der Ära des ingenieurtechnisch beeinflußten Vorgehens und des vergleichsweise primitiven Ausprobierens durch einzelne Tests wird nun eine Revolution eingeleitet, an deren Ende der Triumpf des theoretischen Durchdringens der Kernwaffenentwicklung stehen soll. Mit ihr soll einerseits die präzise Entwicklung und das parametrisierte Studieren vielfältigster Modifikationen von Kernwaffen in der virtuellen Realität möglich werden. Andererseits soll der systematisierte Erhalt des für Kernwaffen relevanten Wissens unabhängig vom Erfahrungswissen der in Rente gehenden Kernwaffenbauer und -tester erhalten bleiben.

Sicherlich stellt der Teststoppvertrag einen wichtigen Meilenstein für die Nichtverbreitung von Kernwaffen dar und er hat einen begrenzenden Effekt auf die Indienstnahme völlig neuer Kernwaffentypen. Er ist aber nur ein Schritt, dem weitere folgen müssen.

Von den Kernwaffenstaaten sollte gefordert werden, daß sie parallel zur Ratifizierung des CTBT eine Erklärung abgeben, daß sie auf die Neuentwicklung und Modernisierung von Kernwaffen verzichten und daß sie bereit sind, über einen Zeitplan für die nukleare Abrüstung zu verhandeln. Nach dem Anfang Juli 1996 bekanntgegebenen Gutachten des Weltgerichtshofes in Den Haag über die Völkerrechtswidrigkeit von Kernwaffen gibt es eine Verpflichtung, die Lücke im internationalen Recht zu schließen. Demnach ist eine Kernwaffenkonvention auszuhandeln, die die Biologische und Chemische Waffenkonvention ergänzt und alle Kernwaffen verbietet.

 

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Martin B. Kalinowski arbeitet bei der Interdisziplinaren Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TH Darmstadt (e-mail: ianus@hrzpub.th-darmstadt.de http://www.th-darn1stadt.de/ze/ianuslwelcome.htm)