Mehr Licht in das Dunkel der Black Box Abschiebung

Das Abschiebungsreporting NRW

von Sebastian Rose
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In den Jahren seit 2014 sind zahlreiche Gesetzesverschärfungen umgesetzt worden, die Abschiebungen immer mehr erleichtern sollen. So ist es den Behörden mittlerweile gesetzlich verboten, Betroffenen den geplanten Abschiebungstermin mitzuteilen. Auch wurde die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten in den Jahren 2014 und 2015 um die sechs Westbalkanstaaten erweitert. Für Staatsangehörige dieser Staaten – darunter viele Rom:nja – ist es kaum noch möglich, Schutz in Deutschland zu finden. Sie werden rigoros abgeschoben.

Abschiebungen von erkrankten Menschen zu stoppen, ist mittlerweile kaum noch möglich. Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Vermutung normiert, dass einer Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese Vermutung ist in der Praxis aufgrund der hohen Anforderungen der Behörden und Gerichte von den Betroffenen kaum zu widerlegen. So werden selbst schwerst psychisch erkrankte, traumatisierte oder suizidale Menschen abgeschoben. Auch im Bereich der Abschiebehaft kam es zu gesetzlichen Verschärfungen. So wurde das sogenannte Ausreisegewahrsam eingeführt, eine weitere Haftart, die noch leichter anwendbar sein soll, rechtsstaatlich jedoch höchst bedenklich ist.

Mit Blick auf diese gesetzlichen und politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre ist das Projekt „Abschiebungsreporting NRW“ entstanden, das beim Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. angegliedert ist.

Schicksale, nicht Zahlen
Das Abschiebungsreporting NRW hat sich zum Ziel gesetzt, die immer rigider werdende Abschiebungspraxis, die auch Ausfluss der gesetzlichen Verschärfungen ist, am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen öffentlich zu dokumentieren. Das Projekt hat im August 2021 seine Arbeit aufgenommen. Menschenrechtlich gesehen ist aus unserer Perspektive jede Abschiebung eine zu viel. Die Dokumentation von Abschiebungen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen soll aber dazu dienen, einen Überblick über die Abschiebungspolitik speziell von NRW zu erhalten und die Praxis der Landesregierung zu benennen und sichtbar zu machen.

Auf Basis von gründlichen Recherchen dokumentieren wir ganz konkret einzelne Abschiebungen aus dem ganzen Bundesland. Aus dieser Recherchearbeit ergibt sich schon nach etwas mehr als einem Jahr Arbeit ein immer klareres Bild der Praxis. Das Kindeswohl etwa wird bei Abschiebungen viel zu oft außer Betracht gelassen, nicht selten werden Familien mit Kindern rigoros voneinander getrennt. Die Abschiebebehörden holen viele Familien nachts in ihren Unterkünften oder Wohnungen zur Abschiebung ab: ein traumatisches Erlebnis besonders für die Jüngsten.

Auch für die Durchsetzung von Abschiebungen von kranken Menschen nimmt der Staat sehr viel in Kauf. Im Juli 2022 haben wir die Abschiebung eines Mannes mit einer Suchtmittelerkrankung dokumentiert. Der Mann befand sich in einer Substitutionsbehandlung, bei der er auf die tägliche fachärztliche Abgabe eines Präparates dringend angewiesen war. Mit der Abschiebung brach diese Behandlung von heute auf morgen ab, der Mann kam in eine für ihn lebensgefährdende Situation. Einzig finanzielle Unterstützung von solidarischen Menschen aus Deutschland hat diesem Mann eine gesundheitliche Stabilisierung ermöglicht. Die Behörden hatten völlig außer Acht gelassen, dass die für den Mann erforderliche Behandlung in seinem Herkunftsland sogar gesetzlich verboten ist: dennoch war dies kein Grund für sie, die Abschiebung zu stoppen. (Wir benennen das Zielland dieser Abschiebung nicht, um den Mann zu schützen.)

Parteilich auf der Seite der Betroffenen
Unsere Dokumentationsarbeit gibt den Betroffenen eine Stimme und steht streng parteilich auf ihrer Seite. Und die Arbeit wirkt bereits. Zahlreiche Pressetexte berichten über unsere Arbeit. In einzelnen Fällen ist es gelungen, dass sich kommunale Stadträte oder Kreistage mit unserer Kritik auseinandersetzten und die Verwaltungspraxis kritisch hinterfragten. Denn: wir benennen die für Abschiebungen verantwortlichen Stellen jeweils sehr konkret.

Alle Reports haben wir auf der Projekt-Website www.abschiebungsreporting.de gebündelt. Dort kann auch ein Newsletter abonniert werden, der Einblicke in viele Aspekte von Abschiebungen gibt. Unseren Inhalten folgen lässt sich auch bei Twitter und Instagram. Das Projekt „Abschiebungsreporting NRW“ wird mit Mitteln der evangelischen Landeskirchen in NRW, der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe und seit Sommer 2022 auch des Fördervereines PRO ASYL e.V. gefördert.

 

Kontakt: Sebastian Rose | Abschiebungsreporting NRW | Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. | www.abschiebungsreporting.de | rose(at)abschiebungsreporting.de | Telefon: 0221 / 972 69 –32 | Twitter:@abschiebung_nrw | Instagram: abschiebungsreporting_nrw

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Sebastian Rose ist seit August 2021 Referent im Projekt Abschiebungsreporting NRW. Davor war er von Februar 2014 bis August 2021 Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., davon seit Februar 2017 Referent der Geschäftsführung.