Internationale Zivilgesellschaft in UN-Übergangsverwaltungen

Das Beispiel Kosovo

von Oliver Knabe

Die Arbeit internationaler Nichtregierungsorganisationen (INRO) im Kosovo erhält nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit, die diplomatischen oder gar militärischen Bemühungen zu Teil werden. Dies wurde zuletzt anlässlich der deutschen Berichterstattung zum 10. Jahrestag der NATO-Angriffe auf Jugoslawien deutlich. Nicht nur fehlt ein entsprechend schlagkräftiges Datum für eine Erinnerung an die zivilgesellschaftlichen Anstrengungen, auch geriet Befürwortern wie Gegnern des Militäreinsatzes die Frage nach den Bedürfnissen der Bevölkerung in den zehn Jahren nach dem Krieg fast völlig aus dem Blick.

Während im Kosovo neben der United Nations Interim Administration Mission (UNMIK) mit EULEX die größte zivile EU-Mission aller Zeiten mit 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Budget von 205 Mio. EUR für die ersten 16 Monate ihre Arbeit aufgenommen hat, sind neben den 14.000 KFOR-Soldaten auch heute noch etliche internationale NROs vor Ort. Ihre Aufgaben haben sich im vergangenen Jahrzehnt gewandelt. Während der heißen Phase des Konflikts waren vorrangig humanitäre und Nothilfeorganisationen im Kosovo und den umliegenden Ländern tätig. Hinzu kamen NROs, die sich um spezielle Zielgruppen kümmern wie Flüchtlinge, Kinder, Behinderte und andere kümmerten oder Sachkompetenz in Themen wie Bildung, Gesundheit, Traumatisierung oder Konfliktbearbeitung eingebrachten. Deren Mitarbeiter verfügen häufig über langjährige Landes- und Regionalkenntnis, während das Personal internationaler Regierungsorganisationen (IGO), Berater und vor allem Militärs in der Regel nur für einen kurzen Zeitraum von oft nur wenigen Monaten vor Ort bleiben. Auch besetzen – je nach Organisation und Projektzuschnitt – deutlich mehr einheimische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Führungspositionen als bei OSZE & Co. Es liegt daher in der Natur der Arbeit, dass NROs meist einen direkteren Zugang zur Bevölkerung haben als zwischenstaatliche Organisationen. Der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ der Bundesregierung hält dazu richtig fest: „Insbesondere die Flexibilität der NRO im Umgang mit Krisen und Konflikten macht sie zu wertvollen Partnern.“ Deshalb schätzen VertreterInnen internationaler Stellen häufig den Austausch mit ihren „KollegInnen“ aus der Zivilgesellschaft. Doch die Unterschiede bleiben. Übrigens nicht nur im Mandat und den politischen Zielen, sondern auch in der Bezahlung. Jobs bei NROs werden sehr unterschiedlich vergütet, immer jedoch weit unter dem Niveau von Stellen mit vergleichbarem Aufgabengebiet bei  Regierungsorganisationen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter internationaler NROs sollten diese Unterschiede aber nicht nur bemängeln. Die Glaubwürdigkeit des Engagements misst sich auch daran, ob man bereit ist, zu – auch nur annähernd – vergleichbaren Bedingungen wie die einheimischen Partner zu arbeiten. Doch ganz gleich, ob man oder frau in NROs oder IGOs tätig ist: viel hängt von den Einzelnen ab: Bemühen sie sich um Kontakte zur Bevölkerung? Zeigen sie ein Mindestmaß an Respekt, indem sie die lokale(n) Sprache(n) zumindest im Ansatz erlernen? Bringen sie Selbstbewusstsein UND kulturelle Sensibilität statt westlicher Hochnäsigkeit mit?

Das Forum Ziviler Friedensdienst ist als eine unter vielen INRO seit dem Jahr 2000 im Kosovo tätig. Von Beginn an haben wir uns gefragt, was die spezifischen Aufgaben und der Mehrwert einer internationalen NRO und ausländischer Friedensfachkräfte sein können. Entsprechend hat sich die Arbeit gewandelt: Von der anfänglichen Arbeit mit Traumatisierten hin zu Trainings für lokale Aktivisten, hin zur Beratung der Zivilgesellschaft in Prizren und Umgebung und bis hin zur organisatorischen und politischen Unterstützung bei der Netzwerkbildung unter den wichtigsten Friedens-NROs im Kosovo. Die langjährige Präsenz erfahrener einheimischer und internationaler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, über Moden des internationalen Krisenzirkus hinweg, sind heute ein entscheidender Faktor für das Vertrauen, dass dem ZFD-Team im Kosovo entgegengebracht wird. Derzeit unterstützt die Gruppe aus deutschen und kosovarischen Friedensfachkräften bestehende Initiativen zur Vergangenheitsaufarbeitung. Einen besonderen Stellenwert haben die Unterstützung der Koalition zur Schaffung einer von den Regierungen in der Region getragenen stattlichen Wahrheitskommission für das gesamte Jugoslawien (RECOM), sowie die Unterstützung von Vereinigungen der Angehörigen vermisster Personen.

Doch so gut auch der Zugang vieler INROs zu einheimischen Partnern und so tief das Wissen um die praktischen Probleme des Alltags der Klienten ist, so dürftig sind häufig die Kontakte zur lokalen Politik. Dabei gehört es zu den wichtigsten Aufgaben für internationale NROs, ihren einheimischen Partnern vor Ort und international mehr Gehör zu verschaffen. Projektpläne nicht nur mit den Partnern durchzusprechen, sondern auch lokalen Politikern und Amtsträgern vorzustellen und sie für ihre Arbeit zu gewinnen, sollte immer ein wesentlicher Teil der Mission sein. Denn typisch für die Zivilgesellschaft in UN-Übergangsverwaltungen ist, dass die Beziehungen der lokalen NRO zu ihren westlichen Gebern wesentlich besser und intensiver sind als zu den einheimischen Verantwortlichen in Staat und Politik. Von denen ist zwar nur selten finanzielle Unterstützung zu erwarten, langfristig sind sie aber entscheidend, um die strukturellen Veränderungen herbeizuführen, die in Nachkriegsländern von Nöten sind. forumZFD hat deshalb mit „Pro Peace“ einen Zusammenschluss kosovarischer Friedens-NROs ins Leben gerufen, die gemeinsam in der Lage sind, auch gegenüber größeren staatlichen und nichtstaatlichen Gebern Kritik zu üben und eigene Forderungen zu erheben.

Der Einfluss von INROs auf politische Debatte in den westlichen Heimatstaaten bleibt aber häufig gering. INROs gelingt es noch nicht im hinreichenden Maße, ihr Wissen um Ursachen von Konflikten, um die Folgen internationaler Politikentscheidungen und die Bedürfnisse vor Ort an Entscheiderinnen und Entscheider in Regierungen und Parlamenten zu bringen. Dabei mangelt es ihnen bisweilen an Zielstrebigkeit, häufig aber auch an Ressourcen. Wo es gelingt, zeigt die Erfahrung, dass PolitikerInnen mit Landeskenntnis, gleich welcher Couleur, wichtige Unterstützende zivilgesellschaftlicher Arbeit werden können.

Die internationale Zivilgesellschaft wird mit ihrem Personal und ihren Projekten in Gebieten unter UN-Verwaltung auf absehbare Zeit hinsichtlich ihrer Größe, ihrer Ausdifferenzierung und Spezialisierung weit hinter vergleichbaren zwischenstaatlichen und militärischen Missionen herhinken. Umso wichtiger ist es, dass sie sich um größeren Einfluss bemüht, damit der Slogan „Vorrang für Zivil“ mit Leben erfüllt wird. Ein praktisches Beispiel auf europäischer Ebene stellt die Aktion „Europe, vote for peace“ dar, an der auch zahlreiche deutsche Organisationen beteiligt sind. Die Kampagne erinnert an den Friedensauftrag der Europäischen Union und stellt drei konkrete Forderungen: 1) die Einrichtung einer „Peacebuilding“-Abteilung, die innerhalb der europäischen Strukturen speziell und ausschließlich zur zivilen Friedenspolitik arbeiten soll; 2) Die Institutionalisierung des Dialogs zwischen der EU und zivilgesellschaftlichen Organisationen, so dass regelmäßige Treffen aller relevanten Akteure im Bereich der Friedensförderung und Krisenprävention etwa zur EU-Politik im Kosovo stattfinden können und nicht zu letzt 3) der Aufbau eines europäischen Zivilen Friedensdienstes.

Um ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen sich aber auch internationale NROs immer wieder die Frage nach der Legitimität ihres Handelns stellen. Zu oft widersprechen INROs auch im Kosovo in ihrem alltäglichen Tun dem, was sie an anderer Stelle predigen: Zusammenarbeit über Grenzen hinweg, ohne das Schielen auf den eigenen Nutzen. Koordination in eigener Sache oder gar partnerschaftliche Zusammenarbeit fällt vielen schwer. Auch stehen internationale NROs in der Gefahr, durch ihren Zugang zu finanziellen Mitteln neue Abhängigkeiten zu schaffen. Transparenz in der Ressourcenvergabe, ein intensiver Dialog mit den Partnern über Förderschwerpunkte können hier Abhilfe schaffen.

Trotz aller Grenzen internationalen zivilgesellschaftlichen Handelns im Kosovo und anderen Ländern und Regionen unter UN-Verwaltung: die Leistungen und das Bemühen vieler einheimischer NRO und ihrer internationalen Partner leisten einen wesentlichen Beitrag zur friedlichen und gerechten Entwicklung dieser Gegenden und verdienen Beachtung – egal welcher Militäreinsatz seinen Jahrestag begeht.

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Oliver Knabe ist Mitglied des Vorstands von Forum Ziviler Friedensdienst e.V. und ehemaliger Regionalkoordinator für den westlichen Balkan.