Zivile Konfliktbearbeitung

Das Einfache, das so schwierig ist

von Ueli Mäder

Zivile Konfliktbearbeitung versteht sich als Alternative zur militärischen Intervention. Sie stützt sich mit ihren Aktivitäten auf interne zivilgesellschaftliche, aber auch auf staatliche und internationale Einrichtungen. Zivile Konfliktbearbeitung will kriegerische Auseinandersetzungen vermeiden, Frieden schaffen, sichern und konsolidieren. Soweit ein Verständnis, das die zivile Konfliktbewältigung weder auf zivile Träger, noch auf die Innenpolitik reduziert, und derzeit an Bedeutung gewinnt. Auch, weil sich seit mindestens zwanzig Jahren politische und gesellschaftliche Korrektive zur Kriegsproduktion aufweichen.

Im Zentrum der zivilen Konfliktbearbeitung stehen „Formen des kontinuierlichen Umgangs mit gesellschaftlichen Konflikten“ (Weller 2007, 9). Dass das  Primat ziviler Konfliktbearbeitung im Völkerrecht verankert ist, stützt diesen Zugang. Er berücksichtigt die vielen innerstaatlichen Kriege und -gesellschaftlichen Gegensätze sowie die enge Verknüpfung der Staaten- und Gesellschaftswelt. Die komplexen Formationen verlangen differenzierte Analysen. Sie stellen auch hohe Anforderungen an die kommunikative Verständigung. Das macht die Auseinandersetzung interessant. Die „Förderung von Menschenrechten und partizipativer Demokratie“ (Paffenholz 2006, 16) strebt eine lebendige Zivilgesellschaft an. Das Einfache ist allerdings  schwierig zu verwirklichen.

Konfliktbereitschaft
Die Zivilgesellschaft (Mäder 2003, 366) zeichnet sich durch einen offenen Charakter und klar säkularisierte Grundlagen der Politik aus. Die Konfliktbereitschaft und Konfliktfähigkeit sind zentral. Sie manifestieren sich in gesellschaftlichen Protesten und  sozialen Bewegungen, die eine Autonomie gegenüber staatlichen Einrichtungen postulieren. Die Zivilgesellschaft hat verschiedene Stränge. Ältere Staatstheorien thematisierten die Frage der „civil society“ bereits im 17. Jahrhundert. John Locke leitete damals gesellschaftliche Institutionen und Integrationsformen aus den Bedürfnissen der Individuen ab. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. engagierte sich im ehemaligen Ostblock die Bürgerrechtsbewegungen dafür, die Zivilgesellschaft zu stärken. Soziale Bewegungen begannen sich während den siebziger Jahren auch in westlichen Industrieländern für den Schutz ziviler Einrichtungen einzusetzen. Heute beeinflusst die Frage nach dem Rückzug des Staates die Debatten über die Zivilgesellschaft. Die Reaktivierung des Zivilen soll gesellschaftliche Aufgaben neu verteilen, den sozialen Zusammenhalt festigen und Konflikte mit zivilen Mitteln bewältigen.

Die Zivilgesellschaft steht in einer langen Tradition der Solidarität. Sie geht zunächst von Einzelnen, Familien, sozialen Bewegungen, Genossenschaften, Gewerkschaften, politischen und kirchlichen Organisationen aus. Im Vordergrund stehen selbstorganisierte Aktivitäten außerhalb der Staats- und Marktsphäre. Die Unterscheidung von ziviler Gesellschaft und Staat gilt als Kennzeichen der Moderne. Anthony Giddens (1997,  187) kritisiert diese Trennung. Seiner Auffassung nach ist „die Zivilgesellschaft nie bloß eine Reihe von Einrichtungen außerhalb des Staates gewesen“. Der Staat ist kein Selbstzweck. Er umfasst zahlreiche gesellschaftliche Institutionen und nimmt - auch über die Unterstützung ziviler Einrichtungen - Funktionen wahr, die von öffentlichem Interesse sind. Die zivilgesellschaftlichen Einrichtungen sind ein wichtiges Instrument einer demokratischen Bewegung. Sie machen Probleme sichtbar, ziehen Mächtige zur Verantwortung und weiten die öffentliche Entscheidungsfindung aus.

Konfliktursachen
Konzepte der zivilen Konfliktbearbeitung reagieren auf das, was sich in der Welt tut; beispielsweise auf Armut und soziale Ungleichheiten. Armut erhöht die Gefahr gewalttätiger Konflikte. Der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nicht-Regierungsorganisationen (VENRO) setzte sich in seinem Bericht „Perspektive 2015“ mit der  „Armutsbekämpfung und Krisenintervention“ (Bonn 2003) auseinander. Das Fazit lautet: Armut führt zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Und umgekehrt. Acht der zehn Länder mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen waren in den letzten zwanzig Jahren von größeren Bürgerkriegen betroffen. Laut UNDP (2005) sinkt mit wachsendem Wohlstand die Gefahr gewaltsamer Konflikte. Bei einem Bruttosozialprodukt (BSP) unter 500 US-Dollar pro Kopf beträgt sie rund 15%, bei einem BSP über 5000 US-Dollar liegt sie unter 3%. Allerdings sind auch reiche Gebiete von (Bürger-)Kriegen betroffen. Die Abhängigkeit eines Landes von Rohstoffexporten ist ein zentraler Risikofaktor. Wichtig sind auch die Terms of Trade.

Der Welthandel ist stark zentrumsorientiert. Das relativiert die Globalisierung, die weite Bevölkerungskreise ausklammert. Der ungleiche Austausch beschert vielen Regionen erhebliche Verluste. Damit nimmt die soziale Ungleichheit weiter zu. Und die Konzentration des Kapitals feudalisiert die Besitzverhältnisse. Der Globalismus schwächt politische und gesellschaftliche Verbindlichkeiten und stärkt autoritäre, borniert nationalistische und provinzialistische Strömungen. Wenn wir dem wirtschaftlichen Machtmonopol kein politisches und zivilgesellschaftliches Korrektiv entgegen setzen, begeben wir uns laut dem im Juni 2009 verstorbenen Soziologen Ralf Dahrendorf  (TV DRS, Sternstunde, 17.12.05) in ein autoritäres 21. Jahrhundert. Die Globalität plädiert hingegen im Sinne einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung dafür, die Preise für Rohstoffe an jene für industriell gefertigte Güter anzupassen. Nach den Vereinten Nationen genügte den südlichen Kontinenten die Hälfte des Mehrerlöses, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Stabile Abnahmequoten und Preise könnten die Produktion auffächern und die einseitige Abhängigkeit von einzelnen Exportgütern mindern. Entwicklungspolitik bildet als Friedenspolitik ein Korrektiv zur wirtschaftlichen Konzentration. Sie stärkt die globale Zivilgesellschaft, die Non-Profitorganisationen und Nicht-Regierungsorganisationen koordiniert, mit Einrichtungen der Vereinten Nationen eng kooperiert und die zivile Konfliktbewältigung fördert.

Konfliktdynamik
Die Konfliktforschung setzt sich, über institutionelle Analysen hinaus, mit Prozessen der Machtkonzentration auseinander. Ältere Ansätze betonen strukturelle Ursachen. Neuere konzentrieren sich stärker darauf, Konfliktdynamiken zu dekonstruieren und die situative Konfliktdynamik zu erhellen. Was eine Zivilgesellschaft wirklich leisten kann, diskutieren Thania Paffenholz und Christop Spurk (2006, 16-17). Je intensiver sich eine Zivilgesellschaft an Friedensverhandlungen beteiligt, lautet eine Erkenntnis, desto stabiler ist das Friedensabkommen. Wichtig sind auch unterschiedliche Konfliktphasen. Sie erfordern spezifische Maßnahmen. Nach einem gewaltsamen Konflikt können das vor allem Schutz, Monitoring, Anwaltschaft und öffentliche Kommunikation sein. Die internationale Gemeinschaft soll dabei nicht einfach bekannte Organisationen, sondern gezielt lokale zivilgesellschaftliche Gruppen unterstützen. Dabei ist auch die Bereitschaft zur Selbstreflexion zu beachten.     

Ich stellte an einem Managerseminar vier Konfliktmodelle vor. Der Blitz symbolisiert das konfliktdynamische Modell, die Waage das harmonische, die Blume das organische, das Räderwerk das mechanische. Alle Manager favorisierten den Blitz und mokierten sich über Konsens beflissene Akteure. Die Waage lässt keine Dynamik, argumentierten sie. Bei der anschließenden Reflexion änderte sich der Tenor. Der Blitz zerstört viel, lautete ein Einwand. Er entfacht Feuer und entlädt sich erst nach einem Energiestau. Der Blitz ist weniger konfliktfreudig als sein Ruf. Mancher Blitztyp wünscht sich insgeheim mehr Ausgleich. Kritisch äußerten sich die Manager auch zur Blume. Das organische Wachstum gewährt viel Zeit und individuelle Eigenheit. Die arbeitsteilige Wirtschaft verlangt indes hohe Funktionalität. Rädchen sind austauschbar. Ihr Output lässt sich planen. Die Flexibilität ist jedoch in einem organischen Modell eher möglich. So haben alle Modelle ihre Vor- und Nachteile. Am Anfang eines Konfliktes begünstigt ein organischer Ansatz einen kreativen Umgang. Die Waage empfiehlt sich bei hoher Verletzlichkeit. In einer operativen Abschlussphase ist indes verlässliches Räderwerk gefragt. Und sind Positionen fest gezurrt, kann ein Gewitter sehr heilsam sein. Wichtig ist die Sensibilität für die Vorteile unterschiedlicher  Modelle.  Das gilt für die Mikro- und Makroebene. Zentral bleibt der strukturelle soziale Ausgleich. Er verbessert die Chancen  der zivilen Konfliktbearbeitung.

 

Literatur
Fischer Sabine, Astrid Sahm, Friedensforschung und Normativität: Positionen der jüngeren Generationen, in: Egbert Jahn, et al., Die Zukunft des Friedens, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, 49-73.

Giddens Anthony, Jenseits von Links und Rechts, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1997.

Hippler Jochen, Fröhlich Christiane, Johannsen Margret, Schoch Bruno, Heinemann-Grüder Andreas (Hg.), Friedensgutachten 2009, LIT-Verlag, Berlin 2009.

Imbusch Peter, Mäder Ueli, Nollert Michael (Hg.), Neue Kriege, Sonderausgabe der Schweizerischen Zeitschrift für Soziologie, Heft 2, Seismo Verlag, Zürich 2009.

Maeder Christoph, Mäder Ueli, Schilliger Sarah, Krieg (Hg.), Seismo Verlag, Zürich 2009.

Paffenholz Thania, Spurk Christoph, Frieden schaffen ohne Waffen: Der Beitrag der Zivilgesellschaft, UniPress 129, Bern 2006, 16-17.

Mäder Ueli, Globale soziale Ungleichheit versus Verteilungsgerechtigkeit. Zur Interdependenz von Armut und Krieg, in: Roithner Thomas, Globale Armutsbekämpfung – ein Trojanisches Pferd?, LIT-Verlag, Berlin 2009, 91-104.

Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), Perspektiven 2015, Armutsbekämpfung und Krisenintervention, Bonn 2003.

Weller Christoph (Hg.), Zivile Konfliktbearbeitung, Aktuelle Forschungsergebnisse, INEF-Report 85, Duisburg 2007.

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Schwerpunkt
Ueli Mäder, geb. 1951, ist hauptamtlicher Professor für Soziologie an der Universität Basel. Er lehrt auch an der Hochschule für Soziale Arbeit (FHNW) und leitet den gemeinsamen Nachdiplomstudiengang in Konfliktanalysen und Konfliktbewältigung (www.postgraduate-basel.ch). Seine Arbeitsschwerpunkte sind die soziale Ungleichheit und die Konfliktforschung.