Für eine NATO-Delegitimierungskampagne zur politisch-strategischen Weiterarbeit nach „Strasbourg“

Das Militär entzaubern

von Renate Wanie
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Strasbourg ist history. Die NATO ist reality! Wie sieht die politisch-strategische Weiterarbeit der Friedensbewegung aus? Angeregt durch Diskussionen in einer Arbeitsgruppe der „Kooperation für den Frieden“ zur Weiterarbeit nach „Strasbourg“ und Gesprächen mit Uli Wohland aus dem Kampagnenteam der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden möchte ich erste Überlegungen für eine langfristig angelegte Kampagne zur Delegitimierung der NATO vorstellen.

Die NATO steht für weltweite militärische Absicherung und Durchsetzung westlich-kapitalistischer Wirtschafts-, Rohstoff- und Hegemonialinteressen. Basis ist ein neues Richtliniendokument, das 2010 verabschiedet werden soll. Geplant ist die Runderneuerung des Strategischen Konzeptes der NATO, das seit Anfang der 90er Jahre vom vorgeblichen Verteidigungs- zu einem Interventionsinstrument ausgebaut wurde, 1999 im Angriffskrieg gegen Jugoslawien zum Einsatz kam und seit 2001 in Afghanistan Praxis ist.

Die NATO ist eine Kriegsallianz und ein weltweit aktives Interventionsbündnis. Sie reklamiert das Recht, auch außerhalb des NATO-Gebietes zu intervenieren, unterläuft das internationale System der UNO, treibt die quantitative und qualitative Aufrüstung in den Mitgliedsstaaten voran und steht für die menschenverachtende Option des Ersteinsatzes von Atomwaffen. Die Ausgaben der NATO-Staaten betragen knapp 70% der globalen Rüstungsausgaben (2007). Die weltweiten Folgen, wie Abbau staatlicher Sozialleistungen, Privatisierungen, zunehmende Armut, sind unverkennbar. Das Instrument NATO trägt so zur Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit bei und blockiert positive gesellschaftliche Entwicklungen.

Kriegseinsätze - Realität deutscher Politik
Auch die Transformation der Bundeswehr zur Einsatzarmee verlangt einen enormen Bedarf an Militärmaterial, was sich 2009 in der Steigerung des Rüstungshaushalts um 1,6 Mrd. Euro auf 31,1 Mrd. Euro niederschlug. Im Weißbuch der Bundesregierung (2006) wird die Bundeswehr zum Instrument zur Durchsetzung außenpolitischer, wirtschaftlicher und weltanschaulicher Ziele erklärt. Damit fügt sich die Bundeswehr exakt ein in die Umstrukturierung der NATO.

Gleichzeitig findet eine Ausdehnung des Militärischen in gesellschaftliche Bereiche statt, z.B. bei der Privatisierung von Bewachungsdiensten. Eine Plakatkampagne der DHL (eine Deutsche Post-Tochter) will „den Soldatenberuf in der Gesellschaft  präsent machen“. Ein Symbol für die Normalisierung deutscher Militärgewalt ist auch das vom deutschen Verteidigungsminister Jung initiierte „Ehrenmal“ für die getöteten Soldaten der Bundeswehr in Berlin. Auf sog. Karriere-Treffs in Arbeitsagenturen, Schulen und auf öffentlichen Plätzen wirbt die Bundeswehr offensiv für Nachwuchs. Doch die Bundeswehr ist kein normaler Arbeitgeber. Verschleiert wird, dass Soldaten ausgebildet werden, um Krieg zu führen und zu töten. Die Militärallianz NATO militarisiert immer weitere Bereiche unseres Alltags. Sie blockiert und verhindert dadurch alternative Entwicklungspfade.

Ein anderes Verständnis von Frieden
Der Friedensbewegung dient ein umfassendes Verständnis von „Frieden schaffen“ als politische Grundlage. Das Konzept eines positiven Friedens (Galtung) ist eng verknüpft mit sozialer Gerechtigkeit, Integration, Kooperation und der Verwirklichung der Menschenrechte. Zugleich ist die Friedensbewegung nicht ohne Alternative zu der militärischen Aufrüstungs- und Interventionspolitik. Mit dem Konzept der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) drängt die Friedensbewegung kontinuierlich auf die Verwirklichung eines friedlichen Austrags aktueller Konflikte. In den Dossiers des Monitoring-Projektes der „Kooperation für den Frieden“ werden Situationsanalysen und konkrete Vorschläge zum zivilen Umgang mit akuten internationalen Krisen und Konflikten vorgestellt und angemahnt. Forderungen wie „Raus aus...“ sind nicht ausreichend, um einen grundlegenden Wandel öffentlich zu vermitteln. Hier sind konkrete Alternativen gefragt.

Dieses andere Politikverständnis überzeugend in die Öffentlichkeit zu tragen, ist für die Friedensbewegung die große Herausforderung. Zur Durchsetzung von ZKB gehört die kontinuierliche öffentliche Debatte und die Durchführung von Kampagnen. Hier sollen vorläufige Überlegungen für ein Kampagnenkonzept vorgestellt werden.

Kampagne mit langfristiger Handlungsperspektive
Die Friedensbewegung will Einfluss nehmen und in politische Prozesse eingreifen. Sie versucht falsche Entwicklungen zu behindern oder gar rückgängig zu machen. Das Fernziel ist die „Überwindung des Militärischen als Mittel der Politik“. Ein sehr weitreichendes Ziel! Dafür braucht die Friedensbewegung eine gemeinsame leitende, die Aktivitäten fokussierende, langfristige Handlungsperspektive, hierzu braucht sie Kampagnenfähigkeit.

Politisch sinnvoll ist eine Kampagne, die sich die Delegitimierung der Militärallianz NATO als übergeordnetes Ziel setzt. Die NATO produziert militärische Gewalt, bindet Ressourcen für die Erhaltung des Militärapparates und blockiert dadurch gesellschaftliche Entwicklungen. Mehrere begrenzte, erreichbare Teilziele, die an aktuellen Entwicklungen ansetzen, könnten der Bewegung die nötigen Erfolgserlebnisse schaffen. Die ZKB bleibt zentrales Paradigma als konkrete Alternative zur militärgestützten Politik.

Fünf thematische Schwerpunkte könnten eine Kampagne, beispielsweise über drei Jahre, politisch-strategisch bestimmen und das Jahr über an aktuellen Debatten, Entscheidungsterminen und Gedenktagen anknüpfen. Danach wird ausgewertet und eine Weiterarbeit neu entschieden.

  • Aufklärung ist vorrangiges Ziel, mit der Chance auf Verringerung der gesellschaftlichen Akzeptanz der NATO: Entzauberung von militärischen Aktionen (was hat die BW 1993 in Somalia bewirkt, was bewirkt sie heute in Afghanistan?), problematisieren von Sicherheit (die NATO lebt vom Unsicherheitsgefühl der Menschen), informieren über die kriegerische Interventionspolitik der NATO und den Mythos des Verteidigungsbündnisses, skandalisieren von Völkerrechtsverstößen der NATO.
  • Behinderung bzw. Beeinflussung aktueller militär-politischer Entscheidungen, z.B. bei der Mandatsverlängerung des Bundeswehreinsatzes  in Afghanistan, am Kap Horn oder für weitere Truppenentsendungen. Deutlicher Protest an Orten der Kriegsvorbereitung (Büchel, EUCOM).
  • Verweigerung von Kriegsdiensten und –steuer, Stärkung internationaler Kriegsdienstverweigerung und Unterstützung von Deserteuren (s. die Arbeit von Connection e.V.).
  • Blockierung von Rüstungsprojekten und –exporten: z.B. öffentlich machen (bloßstellen) von privaten Firmen, die Waffenzulieferer sind (z.B. mit Boykottandrohungen). 
  • Eintreten für das Konzept der zivilen Konfliktbearbeitung als konkreten Paradigmenwechsel, verbunden mit systematischer, offensiver Öffentlichkeitsarbeit und Forderungen an die Politik, den Aufbau von ZKB in die Praxis umzusetzen. Bewusstsein entwickeln in der Bevölkerung für vorhandene zivile Alternativen, das Militär entzaubern.

Was legitimiert die NATO? In breiten Kreisen der Bevölkerung wird die NATO noch immer als Verteidigungsbündnis gesehen. Eine Kampagne zur Delegitimierung der NATO würde bedeuten, die Kriegspolitik der NATO-Staaten politisch und institutionell kontinuierlich in Frage zu stellen und politisch anzugreifen. Damit einhergehenden Informationen über die zivilen Alternativen könnte dem großen Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung entgegen kommen.

Was ist eine Kampagne?
Kampagnen bestehen aus einer Reihe von Aktionen. Die Aktionen sollten inhaltlich aufeinander bezogen sein. Bei Druckkampagnen sind einzelne Aktionen eskalierend aufgebaut. Wichtig ist die zeitliche Befristung. Sonst besteht die Gefahr, dass das Engagement schwindet und die Kampagne im Sande verläuft. Durch Befristung entsteht Dynamik.

Für eine Kampagne zu dem komplexen Thema „Delegitimierung der NATO“ braucht die Friedensbewegung nicht nur den berühmten langen Atem, sie muss auch das Thema bearbeitbar, d.h. so konkret wie möglich und auch lokalisierbar machen. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, ob die Kampagne politisch sinnvoll ist. Grundlegend wichtig sind ebenso Betroffenheit, Lust, Energie und Ressourcen personeller wie auch finanzieller Art. Diese Klärung hilft, Überlastung und Frustrationen zu verringern oder gar zu vermeiden. Auch die Emotionalisierbarkeit ist wichtig, um die Unmenschlichkeit und Zerstörung durch die Kriegseinsätze der NATO eindrücklich vermitteln zu können. Bei der Klärung dieser Fragen wie auch bei der gemeinsamen Herausarbeitung des konkreten Kampagnenthemas, des Ziels, der Zielgruppe(n), des Slogans, der Forderungen (in maximale und erreichbare unterscheiden) wie auch bei der Entscheidungsfindung ist eine Kampagnenmoderation zur Unterstützung der Initiativgruppe hilfreich.

Bei der Planung einer Kampagne zur Delegitimierung der NATO sollte in zwei Kampagnenformen unterschieden werden: in eine Aufklärungs- und eine Druckkampagne. Die Druckkampagne hat einen klaren Gegner und läuft darauf hinaus, eine Entscheidung (z.B. eine Mandatsverlängerung des Bundeswehreinsatzes) oder einen Beschluss (z.B. auf der NPT-Konferenz 2010 in New York) zu beeinflussen. Dabei sollen eskalierende gewaltfreie Aktionen öffentlich Druck machen. Aufklärungskampagnen hingegen können bereits im Vorfeld oder auch begleitend organisiert werden. Sie klären thematisch auf, sind bewusstseinsbildend, können zugleich Alternativen zum kritisierten Zustand anbieten und dem Gegner möglicherweise einen Imageschaden zufügen.

Voraussetzung für alles ist, dass sich Organisationen aus einem breiten gesellschaftlichen Bündnis bereit erklären, Trägerinnen der Kampagne zu werden. So kommen Aktionen zustande, die auch umsetzbar sind!

Delegitimierung und Paradigmenwechsel
„Der Wandel von militärischer zu ziviler Konfliktbearbeitung wird nicht schnell zu erreichen sein.“ Die „ZKB generell durchzusetzen ist ein riesiges Menschheitsprojekt“, mahnt der Friedensforscher Andreas Buro. Der Paradigmenwechsel hin zu einer zivilen Bearbeitung politischer Konflikte ist überfällig, die Delegitimierung der NATO ist jetzt politisch notwendig. 2010 könnte national wie international mit einer strategisch gut geplanten Kampagne begonnen werden!

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