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Das "neue Denken" konkretisieren
vonDie Bedrohungssituation weltweit und in Europa hat sich in den vergangenen zehn Jahren entscheidend verändert. 1979, als die neue Friedensbewegung sich zu organisieren begann, schien es in der Tat gerechtfertigt, alle Kräfte auf die Verhinderung der atomaren Nachrüstung, und damit auf die Überwindung des Abschreckungsdenkens zu konzentrieren. Die Bedrohung der Weltgesellschaft - und auch Europas - durch den Verfall der Weltwirtschaftsordnung, die in der ungerechten Verteilung der Ressourcen und entsprechender Verschuldung der Zweidrittelwelt (und Osteuropas) zum Ausdruck kommt, und die zunehmende Zerstörung der Umwelt zeichnete sich zwar bereits ab, wurde aber zunächst in der breiten Öffentlichkeit weniger zur Kenntnis genommen als die militärischen Bedrohungspotentiale. Dementsprechend fanden die abrüstungsorientierten Aktionen der Friedensbewegung großes Echo und mobilisierten Millionen BürgerInnen.
1989 sind die Prioritäten anders gesetzt. Die ökonomischen und ökologischen Bedrohungen sind ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Nicht nur Wissenschaftler, auch Politiker und vor allem einfache BürgerInnen begreifen die Gefahren, die von der weltweiten ungerechten Güterverteilung und von der zunehmenden Zerstörung der natürlichen Existenzgrundlagen (Wasser, Luft, Böden, Klima) ausgehen, Lebensqualität mindern und Millionen Menschen durch Hunger und Dürre töten. Hinzu kommt, daß Krieg im Norden, vor allem wegen der verwundbaren industriegesellschaftlichen Strukturen, nicht nur unwahrscheinlich, sondern unmöglich erscheint, eine Auffassung, die inzwischen sogar von Militärs in West und Ost geteilt wird. Michail Gorbatschow hat dies offenbar eher als die politisch Verantwortlichen im Westen erkannt. Zwar sind Rüstung und Militarisierung nach wie vor bedrohliche Erscheinungen, aber weniger weil sie kriegstreibend sind, sondern weil sie wertvolle Ressourcen vergeuden und binden, die wir gerade für die Abwehr der ökonomischen und ökologischen Gefahren dringend brauchen. Rüstung und Abschreckungsdenken sind zu Relikten einer Epoche der machtpolitischen und militärischen Konfrontation geworden, die inzwischen von der zwingenden Einsicht in weltweite Kooperation im Interesse des Überlebens aller abgelöst wurde. Daß an solchen Relikten noch festgehalten wird, ist nicht verwunderlich. Neues Denken braucht seine Zeit und es ist die dringende Aufgabe der Friedensbewegung als neuer sozialer Bewegung, das neue Denken weiter zu konkretisieren und noch stärker ins öffentliche Bewußtsein zu rücken und damit in politisches Handeln umzusetzen.
Die Friedensbewegung hat dies an der Basis längst erkannt, während der Koordinierungsausschuß den Eindruck erweckt, die Kampagnen der frühen achtziger Jahre wiederbeleben zu wollen. Obwohl die neue Lage im KA mehrfach andiskutiert wurde, ist es ihm nicht gelungen, Konsequenzen zu ziehen und eine dieser neuen Lage entsprechende Strategie auszuarbeiten. Dabei bietet sich eine solche Strategie fast wie selbstverständlich an:
- Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die neue Bedrohungslage;
- Selbstbeschränkung in den reicheren Industriegesellschaften zugunsten der ärmeren Entwicklungsgesellschaften in Ost und Süd, das heißt Schuldenerlaß, Hebung der Lebensqualität bei gleichzeitiger Schonung der Ressourcen durch Entwicklung und Einsatz modernster umweltgerechter Technologien;
- Unterstützung der Reformen in der Sowjetunion und in Osteuropa sowie der laufenden Abrüstungsverhandlungen;
- Kampagnen zur Beschränkung der Rüstungshaushalte bis hin zu umfassender Abrüstung und Entmilitarisierung sowie zum Stopp Rüstungsexporte, die nach wie vor das Kriegsgeschehen anheizen.
Der Koordinierungsausschuß muß sich zu diesem Zweck selbst erneuern und vor allem solche Gruppen hören und aufnehmen, die an der Basis längst in dem vorgenannten Sinne tätig werden, Netzwerke aufbauen und an einer wirklichen sachgerechten und nicht kopflastigen Koordinierung interessiert sind. Das sind in erster Linie die berufsorientierten Friedensinitiativen und andere Friedensinitiativen, die sich in Richtung Entwicklung und Ökologie als Aufgaben heutiger Friedensarbeit umorientiert haben. Wieder andere Gruppen verknüpfen ihre Friedensarbeit mit innenpolitischer Aufklärung gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus sowie mit Einsatz für Menschenrechte.
Die Vielfalt des Friedensbegriffes, der sich an der Basis der Friedensbewegung widerspiegelt, ist ohne Zweifel schwierig zu handhaben. Gerade deshalb wäre es eine Aufgabe des KA, die Basisaktionen aufzugreifen, zu bündeln und zu einer Strategie zu verknüpfen, die geeignet ist, Öffentlichkeit für notwendiges Handeln zu schaffen.