Internationales Konversionszentrum: Die Militärausgaben haben weltweit eine neue Rekordhöhe erreicht

Das neue Wettrüsten

von Hans Blix

Der Stillstand in den internationalen Abrüstungsverhandlungen ist schwerwiegend. Noch besorgniserregender sind jedoch die zunehmenden Indizien dafür, dass wir uns sogar rückwärts bewegen und in ein erneutes Wettrüsten abgleiten. In den letzten paar Jahren mehren sich die Anzeichen: Die US-Regierung strebt die Entwicklung einer neuen Standardkernwaffe an (Reliable Replacement Warhead - auf Deutsch: "Zuverlässiger Austauschsprengkopf") und hat ihren Haushaltsansatz für das Raketenabwehrprojekt 2007 auf elf Milliarden US-Dollar aufgestockt; China hat seine Streitkräfte modernisiert und einen seiner Wettersatelliten abgeschossen, womit es seine Fähigkeit zu Militäraktionen im Weltraum unter Beweis gestellt hat; Russland hat die routinemäßigen Langstreckenflüge nuklear bewaffneter Flugzeuge wieder aufgenommen; und Großbritannien hat beschlossen, sich die Option der Fortführung seines nuklearen U-Boot-Programms Trident offenzuhalten. Gleichzeitig hat Nordkorea einen zumindest teilweise erfolgreichen Atombombentest durchgeführt und damit jegliche Zweifel der internationalen Gemeinschaft an seiner Kernwaffenfähigkeit ausgeräumt; und der Iran arbeitet weiter am Aufbau seiner Kapazität zur Urananreicherung, die in Zukunft dazu genutzt werden könnte, waffenfähiges Material herzustellen, was diese ohnehin sehr fragile Region weiter destabilisieren würde.

Atomwaffen schrecken nicht ab
Der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) bleibt der wichtigste Eckpfeiler der internationalen Bemühungen um eine atomwaffenfreie Welt. In einem großartigen Versuch, die Welt von Atomwaffen zu befreien, verpflichteten sich die unterzeichnenden Nichtnuklearwaffenstaaten dazu, keine Kernwaffen zu beschaffen, während sich die damals fünf Nuklearmächte im Gegenzug dazu bereiterklärten, ohne Hintergedanken über die nukleare Abrüstung zu verhandeln.

Heute leidet der Vertrag allerdings unter einem Vertrauensdefizit. Die Staaten, die auf Nuklearwaffen verzichtet haben, monieren, dass die Vertragsparteien, die über Kernwaffen verfügen und die eigentlich einen Zeitplan für den schrittweisen Abbau ihrer Arsenale vorlegen sollten, de facto genau das Gegenteil tun - nämlich Zeitpläne für die Modernisierung ihrer Waffensysteme aufstellen.

Bestehen überhaupt Aussichten auf die dringend nötige Wiederaufnahme der Rüstungskontrolle und Abrüstung? Einige bedeutsame Anzeichen weisen darauf hin, dass wir uns möglicherweise auf eine neue Phase der Möglichkeiten zubewegen, die Hoffnung auf internationale Abrüstung und die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen bietet.

Mit einer neuen Führungsriege in Washington, Moskau und andernorts - einer neuen Generation internationaler Führungskräfte - öffnet sich das Fenster der Möglichkeiten wieder und wir haben die Chance, unsere Beziehungen neu zu gestalten und unsere Positionen zu überdenken.

Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder zur Beendigung von Gräueltaten in ethnischen Konflikten haben Kernwaffen keinerlei sinnvolle Funktion. Heute gibt es keine denkbare Einsatzmöglichkeit für Atomwaffen mehr, und der abschreckende Effekt verliert zunehmend an Wirkung. In Regionen, in denen die Abschreckung eine echte Grundlage für den Erhalt der Sicherheit sein könnte, sind andere Maßnahmen, wie z. B. die Einbindung in die Strukturen der internationalen Gemeinschaft, wahrscheinlich wirkungsvoller.

Am 1. Juni 2006 hat die Kommission für Massenvernichtungswaffen ihren Bericht Weapons of Terror: Freeing the World of Nuclear, Biological and Chemical Arms vorgelegt. Der Bericht ist auf die folgende unzweideutige Prämisse gegründet: "solange irgendein Staat (Massenvernichtungswaffen) - insbesondere Atomwaffen - besitzt, werden andere auch solche Waffen haben wollen. Solange sich irgendwelche Waffen dieser Art in den Arsenalen irgendeines Staates befinden, besteht das Risiko, dass sie eines Tages eingesetzt werden könnten, mit Absicht oder aus Versehen. Jeglicher Einsatz wäre eine Katastrophe."

Die Kommission hat alle Vertragsparteien des Nichtverbreitungsvertrages dringend aufgefordert, zu den ursprünglichen Abmachungen des Vertrages zurückzukehren.

Wie die Kommission betonte, gibt es nichts Wichtigeres als dafür zu sorgen, dass der Umfassende Kernwaffenteststoppvertrag (CTBT) in Kraft treten kann. Die noch ausstehende Ratifizierung durch neun der 44 sogenannten Annex-2-Staaten - Ägypten, China, Indien, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und die USA - verhindert dies bislang.

Regionale Lösungen suchen
Die zweitwichtigste Aufgabe besteht darin, zu einer Vereinbarung über einen überprüfbaren Vertrag zu kommen, der die Herstellung von spaltbarem Material für Waffenzwecke verbietet. In Verbindung mit der weiteren Reduzierung der vorhandenen Atomwaffen könnte ein nachprüfbares Verschließen der Quelle für waffenfähiges spaltbares Material dazu beitragen, den weltweiten Atombombenbestand zu verringern.

Des Weiteren könnten alle Nuklearwaffenstaaten Schritte unternehmen, um ihre strategischen atomaren Arsenale zu verkleinern. Die USA und Russland, die über die größte Zahl solcher Waffen verfügen, sollten dabei die Führung übernehmen.

Wenn die Abhängigkeit von Kernkraft wie erwartet zunimmt, ist auch der steigende Produktionsbedarf für gering angereichertes Uran und für die Entsorgung des abgebrannten Brennstoffs vorherzusehen. Dies muss in solcher Weise geschehen, dass das Risiko der Proliferation und des Abzweigens von Nuklearmaterial nicht zunimmt. Die Internationale Atomenergiebehörde, in der diese Themen derzeit diskutiert werden, ist das am besten geeignete Forum für diese Aufgabe. Die Herstellung von hoch angereichertem Uran sollte schrittweise beendet werden.

Es sollten regionale Ansätze verfolgt werden, besonders in Spannungsgebieten. Es wäre wünschenswert, die Staaten in Nahost (einschließlich des Iran und Israels) dazu zu bewegen, einer langfristigen Suspendierung der Produktion von hoch angereichertem Uran und Plutonium zuzustimmen, die durch internationale Zusagen über die Lieferung von Brennstoff für zivile Kernkraftwerke flankiert würde. Eine ähnliche Regelung ist für die koreanische Halbinsel vorgesehen.

Die wichtigsten Daten aus dem Bericht des Bonner Konversionszentrums
Zwischen 2001 und 2006 nahmen nach Angaben des BICC die weltweiten Militärausgaben real um etwa 30 Prozent zu. Für 2006 beliefen sie sich auf geschätzte 1,179 Billionen US-Dollar. Fast die Hälfte dieses Gesamtbetrags entfiel auf die Verteidigungsausgaben der USA, die sich auf insgesamt 528 Milliarden US-Dollar beliefen.

In der OECD lagen die Militärausgaben etwa neunmal so hoch wie die Ausgaben für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit. Während sich die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) 2006 auf 104 Milliarden US-Dollar belief, wendeten die 30 OECD-Mitgliedstaaten 891 Milliarden US-Dollar für die Verteidigung auf.

Neben den USA hatten 2006 die größten Militärhaushalte: Großbritannien (59 Milliarden US-Dollar), Frankreich (53 Milliarden US-Dollar), China (50 Milliarden US-Dollar) und Japan (44 Milliarden US-Dollar).

Abgesehen von den Vereinigten Staaten sind es große aufstrebende Schwellenländer mit rasch wachsenden Volkswirtschaften, wie z. B. China, Indien, Indonesien und Pakistan sowie Russland, in denen sich der aktuelle globale Trend zur Aufrüstung am deutlichsten zeigt.

Deutschlands Militärausgaben begannen 2006 wieder zu steigen - zunächst von 27,87 Milliarden Euro 2006 auf 28,4 Milliarden 2007. Das neue Haushaltsgesetz, das am 30. November 2007 vom Bundestag beschlossen wurde, sieht für das Jahr 2008 im "Einzelplan 14" einen Verteidigungsetat von 29,45 Milliarden Euro vor. Die schrittweise Erhöhung der deutschen Rüstungsausgaben soll offenbar auch in der künftigen Finanzplanung fortgesetzt werden und bis zum Jahr 2010 die 30-Milliarden-Marke überschreiten.

Der Export deutscher Rüstungsgüter ins Ausland hat 2006 beträchtlich zugenommen. Zwar war der Wert der Kriegswaffenausfuhren mit 1,3 Milliarden Euro gegenüber 1,6 Milliarden Euro in 2005 rückläufig. Der Wert der erteilten Einzel- und Sammelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter ist hingegen von 6,2 Milliarden Euro (2005) auf 7,7 Milliarden Euro (2006) gestiegen. Rüstungsexporte im Wert von 933 Millionen Euro gingen 2006 in Entwicklungsländer. Deutschland ist damit in der EU der größte, weltweit hinter den Vereinigten Staaten und Russland der drittgrößte Exporteur von Rüstungsgütern.

Der dokumentierte Text ist das gekürzte Vorwort zum Jahresbericht 2007/2008 des BICC. http://www.bicc.de

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