„Das Rüstungsexportverbot in Japan“

von Hartwig Hummel
Hintergrund
Hintergrund

I. Japan ist – soweit bekannt – das einzige westliche Industrieland, in dem Rüstungsexporte vollständig verboten sind. Dies ist umso erstaunlicher, als Japan nicht nur zu den führenden Exportnationen gehört, sondern inzwischen auch über das viertgrößte Militärbudget der Welt verfügt. Wie kam es zu diesem Rüstungsexportbann? Was kann die deutsche Friedensbewegung daraus lernen?

II. Grundlage des Rüstungsexportverbots ist die japanische Verfassung von 1947. Nach dem berühmte Friedensartikel 9 „… verzichtet das japanische Volk für immer auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung von Gewalt und Mittel, internationale Streitigkeiten zu regeln. Um diesen Endzweck des vorangegangenen Abschnitts zu erreichen, werden nie mehr Land-, See- und Luftstreitkräfte sowie weiteres Kriegspotential unterhalten werden.“

Um diese sehr weitreichende Verfassungsbestimmung gibt es bis heute andauernde politische Auseinandersetzungen. Einerseits stellten die seit 1948 ununterbrochen regierenden Konservativen unter Berufung auf das laut UN-Charta unveräußerliche Recht aller Nationen zur Selbstverteidigung trotzdem eine Armee, die „Selbstverteidigungsstreitkräfte“, auf. Japan schloß mit der USA ein Verteidigungsbündnis („Ampo“). Das Rüstungsproduktionsverbot wurde  aufgehoben und eine technologisch hochentwickelte Rüstungsindustrie aufgebaut. Japan schloß sich auch dem westlichen CoCom-Embargo an, das der Kontrolle strategischer Exporte in den Ostblock diente. Aus dieser-Zeit stammt auch das japanische Außenwirtschaftsgesetz, das er Regierung weitreichende Möglichkeiten für die Exportkontrolle einräumt. In den 50er Jahren fanden sogar in gewissem Umfang ganz legal Rüstungsexporte (Munition für den Koreakrieg, Schiffe und Altwaffen für asiatische und lateinamerikanische Länder) statt.

Andererseits konnten japanischen Friedensbewegungen zusammen mit den Oppositionsparteien in heftigen Auseinandersetzungen mit militärorientierten Regierungspolitikern weitreichende militärpolitische Restriktionen durchsetzen, wie zum Beispiel die drei nichtnuklearen Prinzipien {1967), durch die Japan offiziell als atomwaffenfrei erklärt wurde; die strikte Defensivbewaffnung der Streitkräfte, das Verbot der Entsendung der Streitkräfte ins Ausland oder die Begrenzung des Verteidigungshaushalts auf 1 % des Bruttosozialprodukts (1976, Ende der 80er Jahre zeitweise ausgesetzt).

Die heftigen Proteste gegen die zunehmende Militarisierung Japans im· Jahre 1960 („Ampo-Unruhen“') .und gegen die Rolle Japans als Nachschublieferant für die USA im Vietnamkrieg brachten auch in der Rüstungsexportpolitik eine Wende: 1967 verabschiedete die Regierung Sato die „Drei Grundsäue zum Rüstungsexport“. Demnach wurden japanische Rüstungsexporte an kommunistische Länder, an Spannungs-und Kriegsgebiete und an Länder unter einem UN-Embargo verboten. Die Kriegswaffenexporte hörten danach tatsächlich fast völlig auf.

Im Zuge der Wirtschaftskrise Mitte der 70er Jahre forderten einige Rüstungsfirmen lautstark, wenigstens den. Export „unbewaffneter“ Rüstungsgüter zuzulassen. Doch die Regierungspartei war durch den Lockheed-Skandal politisch sehr angeschlagen und mußte aufDruck der Rüstungskritiker 1976 die „Neuen Drei Grundsätze“ verkündet. Demnach wurden die Drei Grundsätze von 1967 bestätigt. Aber auch für alle dort nicht genannten Regionen wollte sich Japan zukünftig der Rüstungsexporte „enthalten“. Das faktische Rüstungsexportverbot wurde außerdem auf Rüstungsproduktionsanlagen ausgedehnt und eine Liste: der betroffenen Rüstungsgüter wurde veröffentlicht. 1981 kam es im Zuge des „Hotta Hagane“¬Skandals (japanische Zulieferungen für die südkoreanische Rüstungsindustrie) erneut zu heftigen·öffentlichen Protesten, und das Parlament beschloß einstimmig eine Resolution, in der die Neuen Drei Prinzipien bestätigt wurden.

Anfang der 80er Jähre begann die Debatte um Exporte von japanischen „dual use“- Technologien, also von High Technology, die sowohl militärisch wie auch zivil verwendet werden kann. Insbesondere die US-amerikanische Rüstungsindustrie interessierte dafür. Die Regierung Nakasone gab 1983 dem Drängen der USA nach und beschloß, den Export von Militärtechnologie·(nur) in die USA unter Einhaltung bestimmter Prozeduren zu erlauben. 1986 beschloß die Regierung Naksone außerdem, sich am SDI-Programm zu beteiligen. Obwohl dadurch das Rüstungsexportverbot etwas gelockert worden war, fanden tatsächlich nur wenige militärisch relevante Technologietransfers in die USA statt. Die japanische Großindustrie hatte nämlich kein Interesse daran, die US-Konkurrenz über vermeintlich Verteidigungszwecken dienende Technologietransfers mit der neuesten High-Tech aus Japan zu versorgen. Auch der Toshiba-Fall (1987) wurde mehr vor allem wegen der US-japanischen Technologiekonkurrenz zu einem Skandal. Immerhin verschärfte die Japanische Regierung in diesem Zusammenhang die Exportkontrollen noch mehr.

III. Es ist, auf den ersten Blick überraschend, warum. ausgerechnet in Japan ein Rüstungsexportverbot durchgesetzt werden konnte. Seit 1948 sind ununterbrochen die Konservativen an der Regierung, die USA hat starken Druck auf Japan ausgeübt, die Rüstungsexportrestriktionen zu lockern und die japanischen Rüstungsbetriebe gehören zur mächtigen japanischen Großindustrie. Der Hauptgrund für das Rüstungsexportverbot scheint die gegenseitige Stärkung von Friedensgesinnung und erfolgreicher ziviler Wirtschatlsentwicklung („Wirtschaftserfolg durch Niedrigrüstung“, „Wohlstandspazifismus“) zu sein. Die für Japan insgesamt nutzbringende Zurückhaltung beim Rüstungsexport hätte sich allerdings nicht von selbst durchgesetzt. Nur durch die beharrlichen Proteste der Friedensbewegung und der Oppositionsparteien und gegen den Widerstand von Rüstungs- und Militärinteressen konnte das Rüstungsexportverbot als politischer Grundsatz durchgesetzt werden. Anders als in Deutschland stand dabei nicht der Empfänger der Rüstungsexporte zur Debatte, sondern es wurde die Rüstung an sich in Frage gestellt.

Da Japan eine lange Tradition der administrativen Lenkung der Wirtschaft besitzt, konnte das Rüstungsexportverbot wirkungsvoll durchgesetzt werden. Die Rüstungsbetriebe selbst sind Teile der großen Konzerngruppen. Die Rüstungsproduktion macht sowohl gesamtwirtschaftlich als auch für die einzelnen Konzerngruppen nur einen geringen Prozentsatz aus. Die Konzerngruppen sind in der Lage, konzernintern zu diversifizieren und beispielsweise bei einem Rückgang der Rüstungsaufträge · Ressourcen konzernintern in zivile Produktionsbereiche umzusetzen. Die Regierung ihrerseits ist bereit, für die geringen Stückzahlen·in der japanischen Rüstungsproduktion hohe Preise für die Rüstungsgüter in Kauf zu nehmen. Der starke informelle Einfluß des Staates auf die Wirtschaft und die Bereitschaft der Konzerne, sich der staatlichen Gesamtstrategie unterzuordnen, machen detaillierte Rüstungsexportgesetze unnötig.

Unterstützt wurde das japanische Rüstungsexportverbot auch durch den besonderen Charakter der japanischen Außenpolitik. Das japanisch-amerikanische Militärbündnis ist auf die Verteidigung Japans beschränkt. In den Nachbarländern Japans herrscht immer noch ein Mißtrauen gegen jede Wiederbelebung eines japanischen Militarismus wie im Zweiten Weltkrieg vor. Sowohl zu den USA als auch zu den Schwellenländern Ost- und Südostasiens besteht ein wirtschaftliches Konkurrenzverhältnis. Der japanischen Regierung und·den japanischen Rüstungsbetrieben ist damit das Schlupfloch der Rüstungsexporte über Koproduktionen. und bündnispolitisch motivierte Lieferungen weitgehend verbaut.

IV. Aus dem Fall Japan kann die Kampagne gegen deutsche Rüstungsexporte meiner Meinung nach folgendes lernen:

1. Ein nationales Rüstungsexportverbot ist auch in einer exportorientierten Wirtschaftsnation möglich, wenn es politisch gewollt wird.

2. Ein nationales Rüstungsexportverbot entsteht nicht durch die Einsicht der Politiker und Unternehmer in die gesamtwirtschaftlichen oder außenpolitische Nützlichkeit, sondern muß politisch erkämpft werden. Hierfür scheint ein Bündnis von Friedensbewegung und zivil orientierten wirtschaftsliberalen Kreisen günstig zu sein.

3. Ein nationales Rüstungsexportverbot wird begünstigt durch die grundsätzlichen Infragestellung der nationalen Rüstung zumindest durch die Oppositionspartei(en).

4. Ein nationales Rüstungsexportverbot wird begünstigt durch die strikte Begrenzung militärischer Bündnisstrukturen auf die nationale Verteidigung und die Ablehnung einer regionalen (kollektive Sicherheit) oder weltpolitischen (Militärhilfe, UNO-Truppen) militärischen Rolle.

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Hartwig Hummel arbeit in dder Arbeitsgruppe Friedensforschung des Instituts für Politische Wissenschaft an der Universität Tübingen mit. Der Artikel stellt aber seine eigene Meinung dar.