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Demilitarisierung der internationalen Politik
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Nach 1989 löste sich das Sowjetische Imperium auf und sein militärischer Ausdruck, der Warschauer Pakt, zerfiel. Auf einer gut besuchten kürzlichen Konferenz der 'Niederländischen Atlantischen Kommission' und der 'Assoziation für das Studium des Krieges' gab es einen doppelten Konsensus über die Position des niederländischen Militärs: Russland würde niemals mehr eine Drohung darstellen und wenn es dies trotzdem versuchen sollte, könnte der Westen schnell genug reagieren, um die notwendige bewaffnete Macht aufzubauen. Die einzige vorstellbare Aufgabe für das niederländische Militär liegt in UN-Peacekeeping- oder "Peace-Enforcement"-Operationen. Das Verteidigungsministerium könnte beinahe umbenannt werden in Ministerium für Internationale Sicherheit.
Was ist jetzt die Sicherheitslage? Es gibt zwei Ansätze, diese Frage zu beantworten: einen guten und einen schlechten. Der schlechte Ansatz ist, zu fragen: 'Welche Verteidigung brauchen wir jetzt?' Dies ist der Ansatz derjenigen, die für die Befriedigung des Bedarfs zuständig sind: Verteidigungs-Institutionen... wie Verteidigungsministerien, WEU und NATO werden Bedrohung dergestalt definieren, daß sie fortfahren können, die Mittel zur Verfügung zu stellen, dieser Bedrohung zu begegnen. Wenn Sie einen Straßenbauer bitten, Lösungen für "das" Mobilitätsproblem zu finden, wissen Sie, welche Art von Antwort Sie erwarten können. Man lasse niemals einen Verkäufer die eigenen Bedürfnisse definieren. Verteidigung und Sicherheit sind nicht dasselbe: Sicherheit ist das Ziel, militärische Verteidigung nur eines der Mittel.
Ein besserer Ansatz ist der von der Seite des Bedarfs: 'Bezüglich welcher Bedrohungen durch bewaffnete Kräfte müssen wir etwas tun? Daran schließt sich dann eine Reihe von Fragen an.
Die erste Frage lautet 'Wer sind wir?' Arbeiten wir aus der Perspektive der Niederlande oder Großbritanniens? Oder aus der Perspektive Europas, wie auch immer definiert? Oder aus der Perspektive der Vereinten Nationen? Die Niederlande sehen sich keiner militärischen Bedrohung gegenüber, weder von England noch von irgendeinem anderen Nachbarn. Die bewaffneten Bedrohungen der Europäischen Union sind ebenfalls sehr begrenzt, selbst wenn man die nächsten beiden Ausdehnungen der EU (...) mit berücksichtigt. Manche dieser Bedrohungen sind intern: historische Konflikte in Irland, Spanien, Türkei und zwischen Griechenland und Türkei. Die Konflikte in Westeuropa sind jetzt in einem Prozess des Rückgangs. Andere Konflikte nahebei könnten gefährlich werden: Die Konflikte im Balkan in und um Jugoslawien herum und bewaffnete Konflikte in der ehemaligen Sowjetunion. In Nachbarländern Europas sind bewaffnete Konflikte möglich, so im Irak und um ihn herum, in Syrien, Sudan, Algerien. Die UN sieht sich einer weit größeren Zahl von Konflikten gegenüber, die Mehrheit von ihnen innerstaatliche Konflikte und nicht zwischenstaatliche. ... Wir brauchen zwei Perspektiven: Als Mitglieder der EU und der UN. Ich werde mich hier auf die erstere beschränken.
Die zweite Frage ist: Welchen Bedrohungen sehen wir uns als EU- Mitglieder gegenüber, wobei Bedrohung konventionell als "das Risiko, daß eine konkurrierende staatliche oder nicht-staatliche Macht beabsichtigt, die Integrität eines Staates (oder eines entstehenden Staates) durch militärische Gewalt zu beschädigen" definiert wird. Dies schließt nicht-militärische Gefahren gewaltsamer Handlungen durch kriminelle Banden, die Drogen, Waffen oder Abfall verschieben und die Gefahren eines Handels mit nuklearen Materialien aus. Die meisten der erwähnten Konflikte stellen jetzt keine direkte Bedrohung dar, außer wenn sie Terrorismus innerhalb der EU durch Einwanderer stimulieren oder wenn die Konflikte sich ausweiten. Die EU sieht sich vor allem ökonomischen Kosten gegenüber - für humanitäre Interventionen mit militärischen Mitteln, für Nothilfe und für die Unterbringung von Flüchtlingen. ... Die dritte Frage lautet: Was genau ist der Charakter der Konflikte, von denen diese Bedrohungen ausgehen? Sind die Kriege im ehemaligen Jugoslawien einfach "ethnisch/nationalistisch"? Oder sind die Konfliktparteien frühere Kommunisten, die nur unter einer anderen Fahne ihre Macht bewahren wollen? Oder werden die Konflikte durch profit-orientierte Kriminelle betrieben, die schlicht ihre Nachbarn berauben und töten, wenn diese dem falschen Glauben anhängen?...Verbunden sind die Fragen: welches sind die Stärken und Schwächen der kriegführenden Gruppen? Wer leidet unter den Konflikten, welcher Einfluss könnte durch die Gruppen organisiert werden, die gegen die Kriege eintreten?
Dies führt zu der vierten Frage: Was kann die EU, die internationale Gemeinschaft tun, um die Konflikte einzugrenzen und zu helfen, sie zu lösen? In Paraphrasierung eines früheren britischen Parlamentsmitglieds könnte man sagen: "Es gibt keine internationale Gemeinschaft, es gibt nur individuelle Staaten". Schaut man sich das ehemaligen Jugoslawien an, hatte sie recht: Die Europäische Union hat viel Uneinigkeit gezeigt, die nationalen Regierungen handelten aus unterschiedlichen Perspektiven. Das heißt nicht, daß das Konzept der Gemeinschaft falsch ist. Aus der sozialistischen und sozial- demokratischen Tradition kann man nur aus der Perspektive der Entwicklung einer internationalen Gemeinschaft handeln. Das erfordert die Formulierung gemeinsamer Werte und Normen und für Einsatz durch PolitikerInnen und BürgerInnen, die sich öffentlich und praktisch mit diesen Werten identifizieren. Was muß jetzt getan werden?
Die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik muß durch die Mitglieder der Europäischen Union dem Maastricht Vertrag entsprechend entwickelt werden. Was die Sicherheitspolitik angeht, sollten die folgenden Schritte unternommen werden:
1. Die Konflikte, die den Ländern Europas Sicherheitsprobleme bereiten, sollten identifiziert und analysiert werden. Die Politiker sollten entscheiden, welchen Konflikten Aufmerksamkeit gewidmet werden muß.
2. Die Europäische Union sollte konkurrierende Forschungseinrichtungen unter Vertrag nehmen, die die Konflikte analysieren... Die Forschungseinrichtungen sollten keine akademische Arbeit tun, sondern politikorientiert arbeiten. Die Ergebnisse müssen für Politiker, die zu handeln haben, brauchbar sein. Daher sollte ein System offener Aufklärung entwickelt werden, das durch Regierungen und zivile Institutionen genutzt wird... Geheime Aufklärung und besonders militärische Aufklärung ist teuer, Qualitätskontolle schwierig und die Ergebnisse können nicht weit angewendet werden. Der Vorteil offener Aufklärungsarbeit ist, daß es eine gemeinsame Informationsbasis für Staat und Gesellschaft gibt, wo Grundfehler in Fakten und Auffassungen korrigiert werden können. ... Aufklärung sollte entmilitarisiert werden.
3. Nicht-militärische Mittel der Einflussnahme sollten entwickelt werden. Der Einsatz militärischer Mittel wird für lange Zeit ein Vorrecht der Einzelstaaten bleiben. Die EU kann sich auf nicht- militärische Mittel konzentrieren, um die internationale Sicherheit zu verbessern. In Hinblick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis...ist dies eine gute Sache: Eine Studie von UN-Operationen hat gezeigt, daß humanitäre Operationen mit militärischen Mitteln sind zehnmal so teuer als solche ohne, während die Resultate nicht besser sind.... Nichtmilitärische Mittel für die Verbesserung der Sicherheit durch Hilfe bei der Konfliktlösung müssen nicht auf konventionelle Mittel wie Diplomatie und wirtschaftlichen Druck beschränkt bleiben. Die USA finanzieren Radio Free Europe/Radio Liberty, das einen guten Job dabei getan hat, Osteuropäer darüber zu informieren, was in ihren Ländern vor sich geht.
... Die EU hat ein Jahr lang ein Radioschiff in der Adria finanziert, das durch ein exzellentes Team von JournalistInnen aus verschiedenen Teilen Ex-Jugoslawiens betrieben wurde. Diese gute Initiative litt darunter, daß die Sendungen nur an der Küste empfangen werden konnten. Daher stoppte die EU das Projekt. Gute private Initiativen wie das Radioschiff sollten moralische und finanzielle Regierungsunterstützung erhalten... In Konsultationen mit Personen, die aus Konfliktgebieten kommen (Einwanderern und Flüchtlingen), können weitere Mittel der Einflussnahme auf Konflikte entwickelt werden. Man denke an die Bemühungen um eine Dekolonialisierung Südafrikas. Demokratische Gruppen im ehemaligen Jugoslawien haben ein Netzwerk der Datenkommunikation (Email) entwickelt, das sehr gut funktioniert. ... Menschenrechtsverletzungen in Kroatien, Serbien und Kosovo werden schnell bekannt. Politiker können diese Information nutzen.
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Wenn mehr nicht-militärische Mittel für die Verbesserung der Sicherheit entwickelt werden - sowohl im Bereich der offenen Aufklärung und der Organisation neuer Typen von Einfluss und Druck, bedeutet dies offensichtlich, daß mehr Kapazitäten in den Außenministerien der Mitgliedsstaaten und in der EU selbst benötigt werden. Ihre Budgets sollten erhöht werden. Der Mittelpunkt von Sicherheitspolitik sollte in den Außenministerien und nicht in den Verteidigungsministerien liegen. Die letzteren steuern nur einen Typ von Mittel bei, um Sicherheit zu erhöhen - und ein teures Mittel dazu. Wie wichtig und notwendig militärische Mittel in der Vergangenheit gewesen oder in der Zukunft sein mögen, die neue Situation, in der große Bedrohungen fehlen bedeutet, daß sowohl durch Regierungen wie durch die Gesellschaft nichtmilitärische Mittel entwickelt werden müssen. Das beste Mittel der Sicherheit gegen bewaffneten Konflikt ist eine starke zivile Gesellschaft, die auf demokratischer Praxis beruht. ...
Dies ist der Text einer Rede, die Herbart Ruitenberg, ein Mitglied der sozialdemokratischen Partei in den Niederlanden, bei einer Konferenz am Rande des Treffens der Labour Party in Blackpool 1994 gehalten hat. Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer