Das erste Irakische Forum der Gewaltfreiheit

Den Samen der Gewaltfreiheit pflanzen

von Judith Conrads

„Es geht darum, Hoffnung zu bauen! Die Geschichte des Iraks ist eine Geschichte von Krieg und Gewalt und damit der beste Beweis dafür, dass die bestehenden Probleme des Landes nicht mithilfe von Gewalt gelöst werden können.“ Damit fasst Laonf-Mitbegründer Zaid Al-Wardi wohl die zentralen Beweggründe zusammen, weshalb sich Ende 2009 über 150 Menschen versammelt hatten, um im Irak das Thema der Gewaltfreiheit zu diskutieren.

Vom 6. – 8. November fand das Erste Irakische Forum der Gewaltfreiheit in Erbil, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im kurdischen Norden des Landes, statt. Das irakische Netzwerk Laonf hatte zu dem Treffen eingeladen. Über hundert TeilnehmerInnen waren aus dem ganzen Land angereist, dazu kamen noch ein gutes Dutzend internationale VertreterInnen europäischer und US-amerikanischer Organisationen, um Erfahrungen und Erwartungen in Bezug auf die gewaltfreie Arbeit in Irak auszutauschen. Junge Künstler aus Bagdad, die in ihren Werken die alltäglichen Gewalterfahrungen verarbeiten, JournalistInnen, die sich für eine unabhängige Medienberichterstattung einsetzen,  Anwälte, Gewerkschafter, Frauenrechtlerinnen - sie alle eint der Wille, gewaltfreie Wege für einen Wandel hin zu einem demokratischen und friedlichen Irak zu finden.

Zwei Tage lang wurden Ansätze diskutiert und Strategien geplant, berichteten VertreterInnen der einzelnen Mitgliedsorganisationen über ihre Aktivitäten, Erfolge und Hürden. Der Begriff der Gewaltfreiheit war hierbei immer wieder das zentrale Element.

Je mehr die einzelnen Teilnehmenden von ihren mit ganz persönlichen Gewalterfahrungen verbundenen Biografien berichteten, desto mehr trat eine Gesellschaft zutage, die von dem Umstand der Gewalt als Normalitätserfahrung geprägt ist. Gewalt ist im Irak als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen und zur Konfliktlösung weitläufig anerkannt oder wird häufig gar mit Begriffen wie Ehre und Tapferkeit verbunden. Diktatur, Bürgerkrieg und die Präsenz ausländischer Truppen haben ihre Spuren hinterlassen. Einige Teilnehmende berichteten von einer regelrechten „Erleuchtung“, als sie durch Laonf von der Option der Gewaltfreiheit als Alternative zum gewaltfreien Widerstand erfuhren.

Eine Kultur des Friedens schaffen
Erst im historischen und gesellschaftlichen Kontext wird also deutlich, warum hier Gewaltfreiheit als ein der Gesellschaft und dem Miteinander grundlegendes Prinzip erst herausgearbeitet werden muss. Arbeiten im Sinne der Gewaltfreiheit bedeutet im Irak zunächst, das Bewusstsein für den Sinn eines expliziten Verzichts auf Gewalt und der Anwendung von gewaltlosen, konstruktiven Lösungsanätzen zu schaffen. Die gewaltfreie Arbeit ist hier weit mehr als nur eine Methode, sondern soll vielmehr identitätsstiftend wirken und die Gewaltfreiheit als Prinzip in der Gesellschaft verankern. Gewaltfreiheit wirkt dabei für Laonf als kleinster gemeinsamer Nenner, der die Netzwerkmitglieder trotz möglicher ethnischer, religiöser oder anderer Unterschiede eint. Einige Konfliktlinien verschwinden hinter diesem gemeinsamen Ziel, andere Aspekte, wie die Frage nach der Bedeutung der Religion für die Legitimation von Gewalt oder dem richtigen Zeitpunkt des Abzugs der US-Truppen, werden in den allgemeinen Diskussionen bewusst ausgeklammert, um die Bewegung und ihre Mitglieder durch die Suche nach diesbezüglichen einheitlichen Positionen nicht zu spalten.

Laonf
Das Netzwerk Laonf (arab. für ´keine Gewalt´) setzt sich aus über 150 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Individuen unterschiedlicher politischer Überzeugung und ethnischer Zugehörigkeit zusammen, die die Überzeugung teilen, dass die Gewaltfreiheit der einzige Weg zu einem unabhängigen, demokratischen und friedlichen Irak ist. Laonf wurde 2006 auf Betreiben von Al Mesalla, einer irakischen Organisation zur Stärkung der Zivilgesellschaft, gemeinsam mit anderen irakischen Nichtregierungsorganisationen (NROs) gegründet. Das erste Treffen fand - aus Sicherheitsgründen in Amman, Jordanien - in Form eines Trainings zu Gewaltfreiheit mit Teilnehmenden aus Irak, Libanon und Jordanien statt und wurde von der spanischen Organisation Nova und der italienischen Organisation „Un ponte per…“ durchgeführt. Durch Workshops und Trainings über den gewaltfreien Umgang mit Konflikten, die Durchführung und Verbreitung von Studien und anderen Publikationen zu Frieden und Gewaltfreiheit, Hilfsprojekte für Opfer von Gewalt und jährlichen großen Öffentlichkeitskampagnen wollen die Netzwerkmitglieder in der irakischen Gesellschaft für die Idee der Gewaltfreiheit werben und sensibilisieren.

Durch ihre Arbeit werden die Mitglieder des Netzwerkes nicht selten auch zur Zielscheibe von Kritik und Angriffen aus den verschiedensten Richtungen. Laonf-Gründungsmitglied Ismael Dawood: „Nimmt man heute im Irak das Wort Widerstand in den Mund, wird man gleich verdächtigt, für die Terroristen zu arbeiten. Spricht man von Gewaltfreiheit, wird einem vorgeworfen, die Besatzung zu unterstützen.“ Das hält die AktivistInnen jedoch nicht davon ab, sich weiter für einen demokratischen Irak ohne Gewalt einzusetzen.

Die Wochen der Gewaltfreiheit
Als zentrale Aktivität der Kampagnenarbeit findet seit 2006 jährlich eine „Woche der Gewaltfreiheit“ unter wechselndem Motto statt. Während dieser Woche veranstalten die verschiedenen Mitgliedsorganisationen des Netzwerkes landesweit kulturelle Aktivitäten wie Theatervorführungen und Sportwettkämpfe, verteilen Informationsmaterial über Gewaltfreiheit, sammeln Unterschriften und führen Demonstrationen oder symbolische Aktionen wie das Pflanzen von Olivenbäumen für den Frieden durch. Nach einer Unterbrechung im Jahr 2009 – hier fanden stattdessen Aktivitäten gegen Gewalt gegen Frauen anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März sowie das 1. Irakische Forum der Gewaltfreiheit statt – steht das Datum der 4. Woche der Gewaltfreiheit bereits fest: Rund um den Geburtstag des großen Vorbildes Gandhi am 2. Oktober werden die Laonf-Mitglieder in diesem Jahr wieder ihre Botschaft des Friedens verbreiten. Auf internationale Unterstützung und Solidaritätsbekundungen werden sie auch in diesem Jahr wieder zählen können.

Blick nach vorn
Unter den Vorschlägen für zukünftige Schwerpunkte und Aktivitäten, die auf dem November-Forum im Rahmen der strategischen Planungen für 2010 diskutiert wurden, ragte der der Gründung eines Institutes für Gewaltfreiheit in Irak heraus, welches wissenschaftliche Studien und Statistiken über Gewalt, ihre Formen und ihre Ursachen in Irak durchführen soll. Anklang fand auch die Forderung, NROs und EntscheidungsträgerInnen an einen Tisch zu holen und so auch von staatlicher Seite her Unterstützung einzufordern. Die Bedeutung der Medien, die mit einer unabhängigen Berichterstattung zu einer gewaltfreien Entwicklung beitragen könnten, wurde betont und war auch durch die hohe Präsenz von JournalistInnen auf dem Forum selbst deutlich erkennbar. Die Bandbreite der Forderungen gab die Vielschichtigkeit der Laonf-Mitglieder wider, die sich mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten auf den Ansatz der Gewaltfreiheit beziehen.

Die internationale Solidarität
Ein Wunsch, der immer wieder geäußert wurde, war der nach Capacity Training für die Netzwerkmitglieder. Aufgrund mangelnder Erfahrung und Tradition mit gewaltfreien Methoden und Ideen sahen die Teilnehmenden hier ein großes Defizit für ihre eigene Arbeitseffektivität. Hier kommt der internationalen Unterstützung eine bedeutende Rolle zu: Wie schon beim Training in Amman, so wurden Trainingsangebote von „erfahreneren“ internationalen Partnerorganisationen sehr begrüßt. Gerade aus erfolgreichen Beispielen anderer Länder und Erfahrungsberichten von PartnerInnen könne man Handlungsoptionen ableiten und in die eigene Arbeit einfließen lassen. Ein weiterer Appell an die internationale Unterstützungsgemeinschaft war der nach Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit: Es besteht der Wunsch, dass weltweit der Beitrag, den gewaltfreie Gruppen am Wiederaufbau des Landes haben, gezeigt wird, und dadurch ein anderes Bild als das des „gewaltsamen Irakers“ vermittelt wird.

Eine neue Hürde werden die Streiterinnen und Streiter für Gewaltfreiheit anlässlich der Parlamentswahlen im März nehmen müssen: Nicht nur die Tatsache, dass von den 275 irakischen Abgeordneten lediglich 141 für das den kommenden Wahlen zugrunde liegende neue Wahlgesetz stimmten, lässt die Laonf-Mitglieder wie auch andere an dessen allgemeiner Akzeptanz zweifeln und verstärkte Gewaltausbrüche im Anschluss an die Wahlen befürchten.

Dennoch: Ein zartes Pflänzchen der Gewaltfreiheit war in Erbil zu erkennen. Es zum Wachsen zu bringen liegt bei uns allen.

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Friedensbewegung international
Judith Conrads ist Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung e. V. und nahm 2009 am von LaOnf organisierten Ersten Irakischen Forum der Gewaltfreiheit in Erbil teil.