Den Winter überleben

von Erica Fischer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Die Gastfamilien, die zum Teil seit Dezember mit wachsender Sorge auf "ihre" Flüchtlinge warten, hatten schon fast jede Hoffnung aufgegeben. Von den mehr als 2.000 bosnischen Menschen auf unserer Dringlich­keitsliste waren bis Ende Februar "erst" knapp 400 in der Bundesrepu­blik eingetroffen. Jetzt - Anfang März - ist es für viele endlich so weit: Mehrere von serbischen Roten Kreuz organisierte Konvois passieren die bosnisch-kroatische Grenze und mehr als 360 Flüchtlinge aus Bosanska Dubica treffen in der Bundesrepublik ein. (Seit Anfang des Jahres hat dagegen die Bundesregierung ca. 260 "Kontingent-Flücht­linge" aufgenommen!).

Die Flüchtlinge, die am 4. März in 4 Bussen und 20 Autos in Novska einge­troffen sind, kommen mit leeren Hän­den: Auf der kurzen Strecke von Dubica nach Gradiska wurden sie von serbi­schen Einheiten sechsmal gestoppt, ge­filzt und ausgeplündert.

Die mit einem Minimum an bürokrati­schem Aufwand organisierte und von Spenden finanzierte Initiative "Den Winter überleben" ist in den letzten Wochen für viele bosnische Muslime zum rettenden Strohhalm geworden. 2350 Flüchtlinge sind von uns erfaßt, wesentlich mehr haben sich an uns ge­wandt. Immer häufiger bitten uns in der BRD lebende ex-jugoslawische Staats­bürgerInnen verzweifelt um Hilfe bei der Rettung ihrer Verwandten. Ungefähr 400 Flüchtlinge haben seit Beginn der Initiative (10. Dezember 1992) bei Gast­familien in Deutschland Zuflucht ge­funden. Weitere 100 Menschen warten noch mit fertigen Papieren an verschie­denen Orten Bosniens auf eine Mög­lichkeit der Flucht.

Die meisten Muslime, die unsere Hilfe suchen, leben in der sogenannten "serbischen Republik" Bosnien-Herze­gowinas (Karadzic-Regime). In dieser Region, die für die hiesigen Medien ein blinder Fleck ist, befindet sich die Be­völkerung in größter Gefahr. Aus allen Städten und Dörfern erreichen uns Be­richte über Massaker. Nach der Beerdi­gung an der Front gefallener serbischer Soldaten kommt es zu "Vergeltungsak­tionen" (Faustregel: 1 gefallener Soldat = 10 ermordete Mus­lime). Für Muslime herrscht Ausgangs­sperre. Viele Men­schen hausen seit Mo­naten im Keller. Wenn sie aus der Hei­mat fliehen müs­sen, wird ihr gesamter Besitz auf Serben überschrieben.

Aufgrund des großen Engagements der Gastfamilien funktioniert die soziale Integration der Flüchtlinge in den mei­sten Fällen hervorragend. Die Bos­nierInnen besuchen Deutschkurse, man­che haben schon Arbeit gefunden, die Kinder gehen zur Schule. Für die deut­schen GastgeberInnen ist die unge­wohnte Anstrengung, sich über Sprach­barrieren hinweg mit den Menschen über ihre traumatischen Erlebnisse zu verständigen, eine Quelle menschlicher Bereicherung. Sie stellen Kontakt her zu sprachkundigen ex-jugoslawischen StaatsbürgerInnen an ihrem Wohnort und machen Erfahrungen mit Behör­denwillkür, die üblicherweise nur Aus­länderInnen "vorbehalten" ist. - Wir se­hen darin auch einen Beitrag zum Ab­bau rassistischer Vorurteile.

Kommunen und Länder bauen den Gast­familien zum Teil unüberwindliche Hürden beim Einladungsvorgang auf und bremsen damit die Hilfsbereit­schaft: So werden noch immer nicht in allen Bundesländern die Krankenkosten vom Sozialhilfeträger übernommen. Für die Gastfamilien, die dann nur auf be­grenzte Reisekrankenversicherungen zu­rückgreifen können, kommen damit un­absehbare Risiken im Fall einer Erkran­kung oder gar eines Krankenhausauf­enthalts zu. Außerdem werden in man­chen Kommunen Verpflichtungserklä­rungen für mehrere Jahre, die gesamte Kriegs- oder Aufenthaltsdauer verlangt. Aber auch hier lassen sich die Gastfa­milien nicht völlig abschrecken: Be­freundete Familien, Friedensgruppen und Kirchengemeinden schließen sich zusammen, um sich in die Verantwor­tung teilen.

Auch zum Austausch von Erfahrungen und praktischen Tips und um den Kon­takt ihrer Gäste untereinander zu er­möglichen treffen sich Gastfamilien in Regionalgruppen.

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Krisen und Kriege
Erica und Martin Fischer, in Köln lebende österreichische JournalistInnen, sind InitiatorInnen der Hilfsaktion "Den Winter überleben".