Schlechtes Geschäft:

Der Atomdeal zwischen den USA und Indien

von Oliver Meier

Die von den USA angestrebte Aufhebung der Nuklearsanktionen gegenüber Indien ist ein schwerer Rückschlag für die nukleare Abrüstung. Der Deal würde die Aufrüstung in Südasien fördern, Nuklearkontrollen schwächen und Abrüstungsbemühungen torpedieren. Noch aber kann das Vorhaben gestoppt werden. Dafür genügt ein Veto Deutschlands oder eines der anderen nuklearen Lieferländern gegen die geplante Aufweichung der nuklearen Exportkontrollen.

Gegen Indien bestehen seit mehr als 30 Jahren Lieferbeschränkungen im Nuklearbereich. Sie wurden in der Folge des ersten indischen Atomtests im Jahr 1974 verhängt. Nach den indischen und pakistanischen Atomtests 1998 haben sowohl die Vereinten Nationen als auch die EU die Bedeutung dieser Handelsbeschränkungen für die Nichtverbreitung und Abrüstung erneut betont. Indien wurde wiederholt aufgefordert, alle Atomwaffen abzurüsten und dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) beizutreten.

All dies soll nicht mehr gelten, wenn es nach dem Willen der USA geht. Die Bush-Administration will Indien als geostrategischen Partner in der Region und gegenüber China aufbauen. Die Nuklearsanktionen stehen diesem Ziel im Weg, auch weil sie milliardenschwere Rüstungsgeschäfte verhindern. Washington argumentiert nun, Indien sei ein verantwortungsvoller Atomstaat, dem der Umgang mit der Nukleartechnologie zugetraut werden könne.

Die Folgen des Atomdeals
Indien selbst ist über diesen amerikanischen Strategiewechsel hoch erfreut. Der Deal würde Delhi die lang ersehnte Anerkennung als Kernwaffenstaat bringen und die Tür zum internationalen Atommarkt öffnen.

Es geht Indien vor allem um dringend benötigte Uranimporte. Denn die eigenen Uranvorkommen reichen nicht aus, den wachsenden Eigenbedarf zu befriedigen. Auch wenn importiertes Uran nur zur Energiegewinnung genutzt werden dürfte, würde der Deal Indien trotzdem in die Lage versetzen, schneller aufzurüsten. Da Indien sich weiterhin weigert, die Produktion waffenfähigen Spaltmaterials einzustellen, würden Uranlieferungen durch die internationale Gemeinschaft indirekt dem indischen Atomwaffenprogramm zu Gute kommen, weil sie das Land in die Lage versetzen, die eigenen knappen Uranressourcen in Plutoniumproduktionsreaktoren einzusetzen. Indien könnte seine Sprengkopfproduktion so von gegenwärtig 10 auf ca. 40-50 Atomwaffen pro Jahr steigern.

Pakistan verfolgt diese Entwicklung aufmerksam und hat bereits angekündigt, seinerseits die Produktion von Waffenmaterial anzukurbeln, wenn der Deal durchgeht. So droht ein neuer Rüstungswettlauf in einer der ärmsten und gefährlichsten Regionen der Welt.

Die Folgen des Atomdeals reichen aber weit über Südasien hinaus. Nach wie vor lehnt die indische Regierung alle Rüstungskontrollabkommen ab. An der Frage, ob ein neuer indischer Atomtest eine Einstellung der Nuklearkooperation nach sich ziehen müsste, wären die Verhandlungen mit den USA fast gescheitert. Ergebnis: Indien konnte sich hier wie bei allen anderen Punkten durchsetzen. Die USA wären im Falle eines indischen Tests zwar durch die eigenen Gesetze gezwungen, keine Nukleartechnologie mehr nach Indien zu liefern, haben aber zugesagt, andere Staaten dazu zu bewegen, diese Lücke zu füllen. Stolz verkündet der indische Premierminister Manmohan Singh immer wieder, dass das Atomabkommen keinerlei Beschränkungen des indischen Atomwaffenprogramms zur Folge hätte. Indien will seinen Aufrüstungskurs ungehindert fortsetzen und das eigene Atomarsenal von geschätzten 40-50 Nuklearwaffen in den nächsten Jahren auf 300-400 Atombomben ausbauen.

Indien ist außerdem nicht bereit, alle Atomanlagen der Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) zu unterstellen. Nur einige ausgewählte Reaktoren, die zur Atomwaffenproduktion nicht benötigt werden, sollen den Inspektoren offen stehen. Solch lückenhafte Kontrollen sind aber reine Symbolik, denn in einem Staat, der bereits über Atomwaffen verfügt, können sie einen militärischen Missbrauch der Atomtechnologie naturgemäß nicht verhindern.

Das Ergebnis des Deals wäre eine Sonderrolle Indiens im nuklearen Nichtverbreitungsregime. Der NVV lässt den ungehinderten Austausch friedlicher Atomtechnologie nur zwischen Mitgliedern zu. Nichtkernwaffenstaaten, die den NVV unterzeichnet haben, müssen im Gegenzug umfassende internationale Kontrollen ihrer Atomanlagen akzeptieren, und NVV-Kernwaffenstaaten sind zur Abrüstung verpflichtet. Der Atomdeal würde es Indien ermöglichen, in der besten von beiden Welten zu leben: Indien dürfte weiter aufrüsten und erhält - obwohl es keine umfassenden Kontrollen akzeptiert - Zugang zur Kerntechnik.

Eine solche Bevorzugung eines außerhalb des NVV stehenden Staates wird Bemühungen, NVV-Mitglieder wie den Iran von einem freiwilligen Verzicht auf die Anreicherung von Uran zu überzeugen, zweifellos erschweren.

Zudem würde das Abkommen nukleare Ausfuhrkontrollen aushebeln. 1992 haben alle nuklearen Lieferländer vereinbart, zivile Atomtechnologie nur noch an Länder zu liefern, die alle ihre Anlagen der Kontrolle der IAEO unterstellen. So soll verhindert werden, dass weitere Nuklearmächte durch den Missbrauch ziviler Atomtechnik entstehen. Betroffen von diesen Sanktionen waren bisher vor allem Indien, Israel und Pakistan, die den NVV ablehnen und nur begrenzte Atomkontrollen akzeptieren.

Nun soll für Indien eine Ausnahme von diesen Regeln geschaffen werden. Die USA haben beantragt, dass die Gruppe der Nuklearen Lieferländer (Nuclear Suppliers Group, NSG) es künftig jedem der 45 Teilnehmerstaaten freistellt, Nukleartechnologie nach Indien zu liefern. Dann droht ein nuklearer Dammbruch. Denn China dürfte dann eine Ausnahmegenehmigung für die Lieferung von Nukleartechnologie an Pakistan beantragen, und auch in Israel wird überlegt, wie man als "verantwortungsvoller Atomstaat" in den Genuss solcher Vorrechte kommen könnte.

Wie weiter?
Noch aber ist nichts entschieden. Zwar hat der amerikanische Kongress unter dem Druck der Indien-Lobby grünes Licht für eine Ausnahme Indiens von den amerikanischen Ausfuhrgesetzen gegeben, und die Regierungen in Washington und Delhi haben sich auf die Rahmenbedingungen des Deals geeinigt. Bevor aber tatsächlich Nukleartechnologie geliefert werden kann, muss Indien Sicherungsabkommen mit der IAEO aushandeln, und alle nuklearen Lieferländer müssen einer Änderung der NSG-Ausfuhrregeln zustimmen. Denn die NSG kann Beschlüsse nur im Konsens fassen. Damit hat jeder der 45 Teilnehmerstaaten faktisch ein Veto.

In vielen der NSG-Staaten aber herrscht große Sorge wegen der Auswirkungen des Deals auf Nichtverbreitungsbemühungen und wegen der drohenden Rüstungsspirale in Asien. So auch in Deutschland. Im Bundestag wird das Abkommen lediglich von der CDU/CSU unterstützt, die im Falle einer Ablehnung des Abkommens Schaden für die deutsch-indischen Beziehungen befürchtet. In der SPD hingegen gibt es viele, die ein deutsches Nein in der NSG befürworten. Die Oppositionsparteien treten einhellig dafür ein, dass Deutschland in der NSG ein Veto einlegt oder eine Zustimmung an weitere Abrüstungsschritte Indiens knüpft.

Amerikanische Rüstungskontrollexperten und Abrüstungsorganisationen kritisieren den Deal schon lange, und auch international wächst der Protest. Abolition 2000, ein Netzwerk von über 2.000 Organisationen, die in mehr als 90 Staaten für eine atomwaffenfreie Welt eintreten, hat jüngst einen Brief an alle Regierungen geschickt, die in der NSG dem Abkommen zustimmen müssen, in dem sie aufgefordert wurden, ihr Veto einzulegen.

Und in Indien selbst? In Delhi selbst wird Premierminister Singh für das Abkommen sowohl von der Linken als auch von den Nationalisten kritisiert. Beide Seiten sehen das Abkommen als einen Ausverkauf nationaler Interessen und befürchten, dass Indien sich zu sehr von den USA abhängig macht. Die Forderung nach nuklearer Abrüstung wird hingegen vor allem von Seiten der indischen Friedensbewegung erhoben, die gerade in dieser Frage auf internationale Solidarität angewiesen ist.

Der Atomdeal zwischen Indien und den USA im Internet:

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Dr. Oliver Meier ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und Korrespondent der US Arms Control Association.