6x jährlich erscheint unsere Zeitschrift "FriedensForum" und informiert über Neuigkeiten aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeheft zu!
Ein Jahr nachdem ein Wiederaufnahmeverfahren wegen _ 240 - Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsge¬richts vom 10.01. 1995 auch in Bayern - beantragt wurde, ist noch nicht einmal das genaue Aktenzeichen von der Staatsanwaltschaft in Augsburg zu erfahren!
Der bayrische Rechtsstaat wie er leibt und lebet!
vonAm 11.01.19862 verteilten Werner Lifka, Christina Schelle-Müller und ich in Pullach im Isartal Flugblätter, in denen wir zu gewaltfreien Blockaden, der damals in Mutlangen stationierten Pershing-II-Atomraketen aufforderten. Die Mühlen des bayrischen Rechtsstaates liefen dagegen ganz schnell an. Noch am Tag der Flugblattverteilaktion erfolgten Festnahmen, Verhöre, erkennungsdienstliche Behandlungen sowie eine Hausdurchsuchung, Kurzum, wir wurden wie Schwerverbrecher behandelt.
Die von der Staatsanwaltschaft München angestrengten Gerichtsverfahren gegen uns wegen sog. "Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten" führten schon nach knapp über einem Jahr zu entsprechenden Urteilen (=Geldstrafen), in zwei Fällen sogar schon von der 3. Instanz, dem Bayerischen Obersten Landesgericht!
Durch das Urteil des Bundesverfassungsrichts (BVerfGG) vom 10.1.1995 wurde die bis dahin herrschende Rechtsauffassung, wonach o.g. Blockadeaktionen "verwerfliche Nötigung mit Gewalt" darstellen und folglich strafbar sind, verworfen. Freude in der Friedensbewegung - insbesondere in Bayern - über dieses höchstrichterliche Urteil aus Karlsruhe. Doch wir hätten es besser (oder schlechter?) wissen müssen: in Bayern gehen die Uhren eben anders!
Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern in denen rechtskräftig verurteilte Pazifisten teils auf ministerielle Weisung (z.B. Rheinland-Pfalz), teils auf eigenen Antrag hin (z.B. Baden-Württemberg) voll rehabiliert wurden bzw. noch werden (uns sind auch Fälle bekannt, wo die Justiz ganz ohne Antrag etc. rehabilitierend tätig wurde), verfolgen die bayrischen Staatsanwaltschaften eine demBVerfGG-Urteil entgegengesetzte Strategie.
In Bayern werden Urteile dieses Gerichtes ignoriert, man kann schon fast sagen bekämpft, wenn sie nicht im Sinne der Staatspartei CSU sind, so das
- Blockade-Urteil
- Soldaten/Mörder-Urteil
- Kruzifix-Urteil (hier wurde sogar vom CSU-Staat zu einer Grossdemonstration aufgerufen - wo doch sonst in Bayern Demonstrationen verpönt sind, Ausnahme natürlich auch, wenn es um Biergarten-Öffnungszeiten geht.)
Seit einem Jahr versuchen wir nun zu unserem Recht zu kommen und eine Aufhebung der gegen uns ergangenen Urteile zu erwirken. Dies ist rechtlich jedoch nur über die hierfür zuständige Staatsanwaltschaft, in diesen Fällen nämlich die bayrische, möglich. Aber die bayrische Staatsanwaltschaft will anscheinend auf Geheiß des bayrische Justizministers Leeb ("für mich existiert dieses BVerfGG-Urteil nicht", so in etwa die Aussage von Herrn Leeb) ein Exempel an uns statuieren.
Ja wo sam denn?!
Bestärkt wurde er durch ein zwischenzeitlich ergangenes Urteil des bekanntlich "rechtslastigen" Bundesgerichtshof (Urteil v. 20.7.95 NJW 1995, S. 2643 und "seines" Bayerischen Obersten Landesgerichtes (5 ST RR 122/95; 4 St RR 186/95).
Im Fall Werner Lifka, der bereits drei anderweitige Wiederaufnahmeverfahren im Land Baden-Württemberg erfolgreich und problemlos abschließen konnte, hat das Amtsgericht Fürstenfeldbruck auf Antrag seines Anwalts die Wiederaufnahme des Verfahrens zugelassen. Die Staatsanwaltschaft reagierte auf "bayrische Art" und legte sofort Beschwerde beim Landgericht München II ein, welche vor kurzem jedoch als unbegründet verworfen wurde.
Immerhin ein positiver Aspekt!
Dagegen musste aber kürzlich Christina Schelle-Müller ihr Verfahren aus Kostengründen ihrem bisherigen Rechtsanwalt entziehen. Glücklicherweise hat die Humanistische Union, sprich die Kanzlei Dr. Müller-Heidelberg das Verfahren übernommen. In ihrem Brief vom 8.7.1996 an diese Kanzlei schrieb sie u.a. ... "Die bayrische Justiz versucht auf schäbige Weise diese Verfahren auf die lange Bank zu schieben, die betroffenen Bürger werden schon aufgeben - aus finanziellen Gründen, oder weil sie resignieren. Dank Ihrer Hilfe passiert dies in meinem Fall jedoch nicht."
Auch in meinem Fall und in dem von Werner Lifka wird dies nicht passieren!
Eine überraschende Auskunft noch abschließend:
Vor einigen Monaten versuchte ich nun vom Bundesverfassungsgericht eine Auskunft darüber zu bekommen, ob es rechtens ist, daß Bayern Urteile des BVerfGG ignoriert. Am 8.9.95 erhielt ich nun eine mich doch sehr überraschende Auskunft: "... Danach binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden, in bestimmten Fällen des _ 31 Abs. 2 BVerfGG sogar mit Gesetzeskraft. Insoweit "überwacht" das Bundesverfassungsgericht diese Organe jedoch nicht "von Amts wegen". Insoweit wird vom BVerfG grundsätzlich auch keine gesonderte Regelung zur Vollstreckung (vgl. _ 35 BVerfGG) einer solchen Entscheidung getroffen ..."