Der beschlossene Krieg

von Martin Singe

US-Außenminister Colin Powell hat am 5.2.03 vor dem UN-Sicherheitsrat massive Verstöße gegen die UN-Resolution 1441 festgestellt und praktisch eine Kriegserklärung vorgetragen. Kurz zuvor hatte Bush in seiner Rede an die Nation das amerikanische Volk auf Krieg eingestimmt. In einer rethorisch geschickten Rede hat er vor allem die Chiffre der Befreiung benutzt, um Kriegsskeptiker auf seine Seite zu ziehen. Prompt stieg die Zahl der Kriegsbefürworter nach der Bush-Rede in den USA um 10%. Rhetorisch ebenfalls geschickt und von den Geheimdiensten systematisch vorbereitet die Powell-Rede vor der UNO. Allerdings die materiellen Beweise eher mager: Satellitenbilder, auf denen man nichts oder auch alles erkennen kann, und angeblich mitgeschnittene Dialoge zwischen irakischen Militärs über versteckte Waffen sollen die Weltöffentlichkeit auf die Gefährlichkeit des Iraks und damit auf Krieg einstimmen.

Warum wurden - wenn sie denn seriös sind - solche Informationen nicht direkt nach der Resolution 1441 den Inspekteuren mit auf den Weg gegeben? Aber die Arbeit der Inspekteure hat für die USA offensichtlich überhaupt keine Relevanz mehr, bzw. hatte sie eine solche von Anfang an nicht. Es geht nur darum, die Zeit bis zum Abschluss des militärischen Aufmarschs zu überbrücken, bzw. darum, die Zahl der Aktiven in der "Koalition der Willigen" zu vergrößern, um die Kriegslegitimation innerhalb der USA breiter abzusichern. Auch wenn nach dem Bericht der Chef-Inspekteure Blix und el Baradei Mitte Februar noch einmal eine Fristverlängerung von maximal vier bis sechs Wochen für weitere Inspektionen zugestanden werden würde, diente dies allemal nur der weiteren Optimierung der Vorbereitung der Angriffsmaßnahmen.

Zugleich soll diese Frist noch dazu genutzt werden, die Koalition zu verbreitern, also möglichst doch eine zweite Sicherheitsratsresolution durchzubringen, die die militärischen Konsequenzen eindeutiger als 1441 benennt. Die USA und Großbritannien arbeiten angeblich bereits an einer solchen Resolution. Dann wäre vor allem auch innenpolitisch für Bush & Co eine deutlich höhere Legitimation für den Krieg gegeben. In dieser Diskussion spielt die Veto-Macht Frankreich die wichtigste Rolle. Sobald sich abzeichnet, dass Frankreich kein Veto gegen eine neue Resolution einlegen würde, wird es eine solche geben. Aber die USA haben unmissverständlich klar gemacht, dass sie ihren Kriegsbeschluss davon nicht abhängig machen. Wenn möglich mit UN, wenn nötig im Alleingang bzw. mit "Willigen"-Koalitionen - das ist die generelle künftige Linie der verbliebenen Supermacht für weltweite Militäreinsätze.

Die Rolle der Bundesrepublik in der Kriegsfrage wird zunehmend irrelevanter. Zum einen wegen des ständigen Eiertanzes: Mal reicht 1441 schon für einen Krieg (Fischer), dann wohl doch wieder nicht. Erst gibt es ein Denkverbot über das Verhalten der Bundesrepublik bei der kommenden Sicherheitsratsabstimmung (Schröder), eine Woche später wird der verblüfften Öffentlichkeit ein eindeutiges Nein vorausgesagt (Schröder). Zum einen wird politisch Nein gesagt, andererseits werden alle Wünsche zur militärischen Unterstützung des Kriegsaufmarsches und der Kriegsführung klaglos unterstützt. Eine aktive Gegnerschaft zum Krieg ist nicht sichtbar: Warum z.B. arbeitet die "Koalition der Unwilligen" nicht eine eigene UN-Resolution aus, in der Voraussetzungen für kriegerisches Eingreifen so eng definiert werden, dass eine Kriegsablehnung als Konsequenz bliebe. Zumindest könnte so die politische Alternative klarer sichtbar werden, als wenn man sich nur noch zu von der Kriegskoalition vorformulierten Resolutionstexten verhalten kann.

Und die Friedensbewegung? Es ist schwer, angesichts der Lage der Dinge und der ernsthaften Analyse der Interessen, angesichts des mit Geheimdienstinfiltrationen und Bombardierungen in den Flugverbotszonen schon begonnenen Krieges, angesichts eines Militäraufmarsches der jetzigen Größenordnung noch Hoffnung zu haben. Demonstrationen bewirken keine Wunder, zumindest nicht sofort. Dennoch - so glaube ich - macht es Sinn, Protest zu zeigen, laut zu demonstrieren, Widerstand zu leisten. Es gibt immer und in allen demokratischen Staaten kritische Grenzen, an denen Regierungen sich nicht über sichtbare Mehrheiten hinwegsetzen können. Auch der Vietnam-Krieg wurde durch den innenpolitischen Druck der Proteste in den USA beendet. Vielleicht kann unser Protest jetzt dazu beitragen, das Nein der Bundesregierung eindeutiger und politisch klarer herauszufordern, selbst wenn dies den Krieg nicht mehr verhindern kann. Zudem wirken die vielen Demonstrationen und Antikriegsaktionen in Europa auf die US-amerikanische Gesellschaft in nicht zu unterschätzendem Maße ein.

Durch den Protest auf der Straße wird der kriegsablehnenden Haltung der großen Mehrheit der Bevölkerung sichtbarer und öffentlicher Ausdruck verliehen. Der Protest hat zugleich Auswirkungen auf das Gewissen der Beteiligten und an künftigen Kriegen potentiell Beteiligter. Wenn wir durch Aktionen beteilite Soldaten zum Nachdenken bewegen oder Einfluss auf die jungen Wehrpflichtigen in diesem Land nehmen, können Gewissensbewegungen in Gang gesetzt werden, die langfristig Auswirkungen haben werden. Auch wenn wir die Militärmaschinerie nicht stoppen werden, können wir wenigstens ein wenig Sand ins Getriebe werfen, damit der Krieg nicht reibungslos vonstatten geht.

Es ist möglich, dass der Krieg entgegen den Pentagon-Planungen ein langwieriger Kampf wird. Dann muss es darum gehen, durch breite Gegenmobilisierungen den Krieg so schnell wie möglich wieder zu beenden. Im Fall eines Ausbleibens des geplanten schnellen Sieges und im Falle höherer Opferzahlen auf Seiten der USA und Großbritanniens kann sich auch in diesen Ländern die ohnehin knappe Kriegsbefürwortung schnell in eine Ablehnung wandeln. In dieser Situation wäre weltweiter Protest um so wichtiger.

Zugleich muss die Friedensbewegung am Beispiel dieses Konfliktes/Krieges deutlich machen, dass eine Militärstrategie, die Krieg als Mittel der Prävention ansieht (offizielle neue US-Strategie), in unserer Gesellschaft nie durchsetzbar sein wird.

Also gilt: Seien wir Sand, nicht Öl im Getriebe dieser Welt. (Günter Eich)

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".