Ein vergessener Konflikt -

Der Bürgerkrieg in Aceh Indonesien

von Paul Zeccola und Christoph Klotz

Über Ursachen und Entwicklung einer der ältesten Konflikte Südostasiens und über Möglichkeiten der zivilen Konfliktbearbeitung in Aceh berichten Paul Zeccola und Christoph Klotz

Die katastrophale Lage in Aceh hat bislang kaum internationale Aufmerksamkeit gefunden. Aceh ist ein vergessener Konfliktherd. Ganze 20 Mitarbeiter von NROs wie Ärzte ohne Grenzen, das IKRK, das UN-Sicherheitsbüro und das UN-Amt für Humanitäre Hilfe (UN-OCHA) arbeiten derzeit in Aceh, rund die Hälfte davon stellt Peace Brigades International (PBI). Die Karawane internationaler Hilfswerke hat den Weg nach Aceh noch nicht gefunden, eine Region abseits ausgetretener Pfade.

Seit Dezember 2000 sind Freiwillige der Peace Brigades International (PBI) in Aceh Indonesien tätig. Auf Anfrage organisiert PBI eine schützende Begleitung für Individuen, Organisationen und Gemeinden, die in einer Situation politischer Repression von Gewaltakten und Menschenrechtsverletzungen bedroht sind. Die internationale Präsenz kann lokalen Menschenrechtsverteidigern politische Handlungsräume eröffnen und direkte Gewaltübergriffe verhindern. Aktuell begleitet PBI sechs Organisationen in Aceh, darunter die Frauenorganisationen Flower Aceh und RPuk, die sich um ländliche Entwicklung und Hilfen für Vertriebene kümmern. Aber auch Angehörige von Opfergruppen wie das Reha-Zentrum für Trauma und Folteropfer RATA, sowie Rechtshilfe-Vereinigungen wie die Koalition für Menschenrechte in Aceh und die Stiftung für Rechtshilfe, deren Anwälte bei gewaltsamem Verschwinden ermitteln und Angehörige unterstützen. Seit Anfang 2003 ist PBI mit einem zweiten Team in Lhokseumawe anwesend, so dass Begleitungen auch in Zentral-Aceh möglich sind.

Ende 2002 kam Hoffnung auf. Der 26jährige bewaffnete Konflikt, einer der ältesten Konflikte in Südostasien überhaupt, könnte endlich friedlich beigelegt werden. Am 9. Dezember 2002 schlossen die indonesische Regierung und GAM auf Vermittlung des Henri Dunant Centers (HDC) mit Sitz in Genf ein Waffenstillstandsabkommen, welches die graduelle Demilitarisierung Acehs bis zu den Wahlen in 2004 vorsieht. Dem HDC kommt darin die Rolle der Überwachung zu. Gemischte Sicherheitsstrukturen beider Konfliktparteien unter Aufsicht eines thailändischen Generals wurden gebildet, eine internationale Beobachtermission mit europäischer, philippinischer und thailändischer Beteiligung wurde eingesetzt. Die Eröffnung eines inklusiven Dialoges mit der Zivilgesellschaft sollte dem neuen Aceh die Tür öffnen. Drei Monate lang beruhigte sich die Lage spürbar, bewaffnete Auseinandersetzungen unterblieben, Bewegungsfreiheit war weitgehend gegeben. Eine deutliche Besserung der Situation, hatte es doch vor dem Waffenstillstand noch 87 Morde pro Monat überwiegend an Zivilisten gegeben. Doch dann kam der Prozess ins Stocken: die bis Juli 2003 vorgesehene Demilitarisierung des bewaffneten Flügels der GAM fand nicht statt, ebensowenig die zugesagte Reduktion indonesischer Truppen in der Region. Die Gespräche mit der Zivilgesellschaft haben nie begonnen. Die Stimmung kippte um, es kam zu wachsenden Spannungen, verbunden mit Gewaltakten aller Art wie Überfällen, erneuten bewaffneten Auseinandersetzungen und Verhaftungen. Mehrfach wurden Büros der Beobachtermission angegriffen, die sich schließlich im April 2003 in die Provinzhauptstadt Banda Aceh zurückzog. Die Mission ist zwar offiziell nicht beendet, aber de facto unterbrochen.

Nachdem erneute Friedensverhandlungen Ende April in Tokio scheiterten, kündigte Jakarta an, das Problem nun militärisch lösen zu wollen. Da die Rebellen, einige tausend Guerillakämpfer, auch mit einer massiven Übermacht der Armee und einer Truppenstärke von 40.000 Soldaten nicht zu besiegen sind, kündigte die Regierung an, sie wolle keinen konventionellen Krieg, sondern einen "humanitären Krieg" führen, also low intensity warfare im klassischen Sinne - mit all seinen Folgen. Am 19. Mai wurde das Kriegsrecht über Aceh ausgerufen.

250 Schulen und öffentliche Einrichtungen wurden seitdem von Unbekannten niedergebrannt. Paramilitärische Verbände, deren Herkunft unklar ist, treten verstärkt in Erscheinung. Die Regierung richtete präventiv an 80 Orten Auffanglager ein und erklärte öffentlich, sie sei auf eine Zahl von 100.000 Flüchtlingen vorbereitet. Bereits in den ersten Tagen nach Beginn der Militäroffensive waren 15.000 Menschen auf der Flucht, allein in der Stadt Bireuen suchten rund 6.000 Flüchtlinge aus Angst vor Übergriffen Zuflucht. Zugleich wurde die gesamte humanitäre Hilfe unter die Autorität der indonesischen Behörden gestellt. Der Druck auf internationale Organisationen ist stark gewachsen. So besteht insgesamt unter den zivilen Organisationen eine große Unsicherheit, inwieweit unter einem Ausnahmezustand, welcher dem Militär weitgehende Befugnisse ziviler Behörden überträgt, die eigene Sicherheit und die Möglichkeit weiterzuarbeiten noch gegeben sind. Dazu gehört eine Verschärfung des Reglements für Ausländer, die nach Aceh einreisen bzw. in Aceh arbeiten wollen. Auch PBI hat bereits Restriktionen erfahren. Für die schützende Begleitung benötigt PBI nunmehr eine Sondergenehmigung durch das Militärkommando Aceh. Mehrere von PBI begleitete Organisationen mussten ihre Aktivitäten aufgrund der Unübersichtlichkeit der Lage einstellen. Überall sind Straßensperren und Kontrollpunkte eingerichtet. Andere Organisationen in Lhokseumawe haben beschlossen, ihre Büros nur noch für wenige Stunden zu öffnen, um rechtzeitig vor Dunkelheit zu Hause zu sein.

Raja Ismail, der Vize-Koordinator der Rechtshilfevereinigung PB-HAM (Pos bantuan Hukum dan Hak Asisi Mamnusia), wurde am 11. Mai in Ost-Aceh entführt und zwei Tage später ermordet aufgefunden. Ein weiterer PB-HAM-Mitarbeiter, Abdussalam Muhamad Deli, ist seitdem spurlos verschwunden. PBI hat daraufhin die Mitarbeiter von PB-HAM Langsa begleitet. Es kam zu weiteren Verhaftungen im Büro von PB-HAM im Beisein von PBI-Freiwilligen. PBI erhielt die Erlaubnis, die Verhafteten auf die Polizeistation zu begleiten. Dort wurden auch die PBI-Freiwilligen drei Stunden verhört, die verhafteten Mitarbeiter von PB-HAM kamen jedoch am nächsten Tag frei. Deutlich wird, die lokalen MenschenrechtsaktivistInnen und humanitären Helfer sind extrem gefährdet.

Ohne diese lokalen MenschenrechtsverteidigerInnen ist die Zivilbevölkerung schutzlos. PBI wird deshalb weiterhin versuchen, in Aceh und vor Ort in den Regionen einen Schutz für MenschenrechtsaktivistInnen zu organisieren, so lange dies möglich ist. Es ist jedoch zu befürchten, dass die Möglichkeiten internationaler Präsenz unter dem Kriegsrecht eingeschränkt werden, nicht nur für PBI, sondern auch für Journalisten oder humanitäre Organisationen in der Region. Ihr Rückzug aus Aceh könnte verheerende Folgen haben. Viele Analysten befürchten gar, dass Aceh von der internationalen Öffentlichkeit abgeschnitten werden soll. Eine Wiederholung der Ereignisse in Ost-Timor im Jahre 1999, als Gewaltakte erst dadurch möglich wurden, dass alle internationalen Beobachter abgezogen wurden, ist ein Szenario, das in Aceh unbedingt verhindert werden sollte.

Mehr Informationen über einen Freiwilligen-Einsatz mit PBI in Indonesien finden Sie unter www.pbi-deutschland.de

Spenden für das Indonesien-Projekt werden erbeten auf das Konto der PBI, Sparkasse Neuwied, Kontonr. 200 105, BLZ 574 50 120, Stichwort "Indonesien".
 

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Paul Zeccola war 2001-2002 Freiwilliger im PBI-Indonesien-Projekt und arbeitet heute im Projekt-Komitee mit. Christoph Klotz ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei PBI Deutscher Zweig e.V..