Der Dreißigjährige Krieg in der Literatur

von Wolfgang Popp

Können wir aus der Geschichte lernen? Aus der Geschichte von Kriegen? Es scheint, wir können höchstens lernen, dass immer gleiche oder vergleichbare Konfliktstrukturen zu Kriegen führen. Aber auch dies ist ein wichtiges Ergebnis des Lernens aus der Geschichte. Es kann sensibel machen für die Beobachtung aktueller inner- und zwischengesellschaftlicher Konflikte, ihrer Verläufe und Bearbeitung, sensibel machen für die Beobachtung von Bruchstellen, an denen das Denken in Kategorien von Konfliktbearbeitung und Konfliktlösung umschlägt in ein Denken in Kategorien der Aggression, Konfrontation, des Krieges.

Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) ist eines der einschneidendsten und prägendsten Ereignisse der Barockzeit. Er wirkte entsprechend tief auf die Literatur dieser Zeit. Kein Autor, von Johann Jacob Grimmelshausen über Friedrich von Logau, Martin Opitz, Andreas Gryphius bis zu Paul Gerhard u.v.a., konnte und mochte sich der Auseinandersetzung mit diesem Krieg entziehen.

Aber auch Autoren der Folgezeit bis heute greifen diese Thematik immer wieder auf: so u.a. Friedrich Schiller mit der ersten historiographischen Abhandlung Geschichte des dreißigjährigen Krieges (1791) und dem Drama Wallenstein (1798), Annette von Droste-Hülshoff mit dem Reimepos Die Schlacht im Loener Bruch (1838), Wilhelm Raabe mit Höxter und Courvey, Conrad Ferdinand Meyer mit Gustav Adolfs Page (1882), Ricarda Huch mit Der große Krieg in Deutschland (1911), Alfred Döblin mit Wallenstein (1920). Bertolt Brecht mit Mutter Courage (1939) oder Günter Grass mit Das Treffen in Telgte (1979) und Georg Veit mit Zeit der Krammetsvögel (1997). Auffallend ist auch die Vielzahl von Jugendbüchern zu diesem Thema in der Zeit von 1967 bis 1997.

Für alle Texte zum Dreißigjährigen Krieg gilt in unterschiedlichen Varianten, dass sie exemplarisch stehen für die Darstellung von Gewaltformen, wie sie in unserer Zeit der Friedensforscher Johan Galtung definiert: Direkte Gewalt, die auf den einzelnen Menschen ausgeübt wird - als Verletzung, Tötung oder als Verachtung, Demütigung, Bestrafung. Strukturelle Gewalt, die eher indirekt wirkt: im Krieg etwa erzwungene Kriegsdienste, Besteuerung, Konfiszierung kriegsnotwendiger Materialien, Verhinderung der Feldbestellung und daraus resultierende Hungersnot, Zerstörung von Haus und Hof mit folgender Obdachlosigkeit und Verarmung. Kulturelle Gewalt, die aus den kulturellen Normen einer Gesellschaft kommt und direkte und strukturelle Gewalt legitimiert – im Krieg etwa: sich den gewaltförmigen Strukturen einer Armee zu unterwerfen, dem Befehl zu gehorchen, als Soldaten Feinde zu töten usw.

Galtung bezieht diese Gewaltformen auf grundlegende menschliche Bedürfnisse, die durch sie beeinträchtigt werden: Überlebensbedürfnisse (statt Tod); Bedürfnisse nach Wohlbefindlichkeit (statt Not, Elend, Krankheit); Identitätsbedürfnisse (statt Entfremdung); Freiheitsbedürfnisse (statt Unterdrückung, Haft, Vertreibung).

Die barocken Texte zum Dreißigjährigen Krieg thematisieren diese Grundbedürfnisse und ihre Zunichtemachung aus der unmittelbaren Betroffenheit der Autoren. Für die Autoren der Zeit vom 18. bis zum 20. Jahrhundert dagegen ist der Krieg stets Gegenstand der Geschichte, aus der nachfolgende Generationen lernen sollen. Wir sollen lernen: Krieg ist stets Zerstörung der Überlebensbedürfnisse, der Bedürfnisse nach Wohlbefindlichkeit, der Identitätsbedürfnisse und der Freiheitsbedürfnisse der einzelnen Individuen. In den Texten aus dem großen Krieg und über ihn artikuliert sich in vielfacher Weise die Klage über diese Zerstörung und – ganz bescheiden – die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit. Es lohnt sich durchaus, mal wieder in diesen alten Texten zu lesen!

 

Ausgewählte Literatur:
Wolfgang Popp, Hg.: Lesebuch I: Dreißigjähriger Krieg. Eine Textsammlung aus der Barockliteratur. Münster, LIT 1998

Wolfgang Popp,Hg.: Lesebuch II: Dreißigjähriger Krieg. Literarische Texte von 1791 bis 1998. Münster, LIT 1999

J.J.C.Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus, hg. von Alfred Kelletat, München, 1956

Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, IV Band, hrsg. von Gerhard Fricke, München 1958

Conrad Ferdinand Meyer. Sämtliche Werke, Bd. 11, hrsg. von Hans Zeller u.a., Stuttgart 1977

Ricarda Huch: Der große Krieg in Deutschland. Gesammelte Werke, Bd. 4, hrsg. von Wilhelm Emrich, Köln 1967

Alfred Döblin: Wallenstein. hg. von Walter Muschg, Olten 1965

Bertolt Brecht: Gesammelte Werke, Bd. 4, Stücke 4, Frankfurt/Main 1967

Günter Grass: Das Treffen in Telgte, Göttingen 1993

Georg Veit: Zeit der Krammetsvögel. München 1997

Jugendbücher

Eveline Hasler: Die Vogelmacherin. Die Geschichte von Hexenkindern. Zürich 1997

Tilman Röhrig: In dreihundert Jahren vielleicht. Würzburg 1996

Harald Parigger: Die Hexe von Zeil. München 1996

Max Kruse: Anna zu Pferde. München 1995

Ingeborg Bayer: Der Teufelskreis. Würzburg 1968

Inge Ott: Verrat! Feinde und Freunde um Wallenstein. Stuttgart 1993

Günther Bentele: Wolfsjahre. Stuttgart 1997

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Prof. em. Dr. Wolfgang Popp, Literaturwissenschaftler im Ruhestand, vertritt das Forschungs- und Lehrgebiet Friedenserziehung an der Universität Siegen.