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Zu Immanuel Kants 300. Geburtstag am 22. April 2024
Der Friedensdenker Immanuel Kant
vonDie Liste der Friedensdenker der Frühen Neuzeit (16.-18. Jahrhundert) beginnt mit Erasmus von Rotterdam und findet seinen krönenden Abschluss mit Kant. Durch diese Übersicht wird sehr deutlich, dass es auch zu den vielen Kriegen im Zeitalter des Barocks und der Aufklärung friedenspolitische Alternativen gab. Gerade der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) und der Siebenjährige Krieg (1756-1763) stehen für sehr viele Tote, Verstümmelungen und Vergewaltigungen sowie die massive Zerstörung von Dörfern und Städten.
1517 Erasmus von Rotterdam: Die Klage des Friedens
1533 Paracelsus: Der Krieg als Sünde, insbesondere der weltanschauliche Krieg
1539 Sebastian Franck: Das Kriegsbüchlein des Friedens
1623 Émeric Crucé: Der neue Kineas oder Abhandlung über die Gelegenheiten und Mittel, einen allgemeinen Frieden sowie die Freiheit des Handels auf dem ganzen Erdkreis zu begründen
1635 Maximilian Béthune Duc de Sully: Memoiren
1661 Declaration from the Harmless and Innocent People of God called Quakers
1667 Johann Amos Comenius: Angelus Pacis
1693 William Penn: Ein Essay zum gegenwärtigen und zukünftigen Frieden von Europa durch Schaffung eines europäischen Reichstags, Parlaments oder Staatenhauses
1710 John Bellers: Einige Gründe für einen europäischen Staat
1713 Abbé de Saint Pierre: Der Traktat vom ewigen Frieden
1756 Jean-Jacques Rousseau: Jugement sur la paix perpétuelle
1769 Voltaire: Über einen dauerhaften Frieden
1786-89 Jeremy Bentham: Grundsätze für ein künftiges Völkerrecht und einen dauerhaften Frieden
1793 Johannn Gottfried Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität
1795 Immanuel Kant: Zum Ewigen Frieden
Am 5. April 1795 schlossen Preußen und Frankreich den Frieden von Basel, in dem Preußen auf linksrheinische Gebiete verzichtete und aus dem ersten Koalitionskrieg monarchistischer Mächte gegen das revolutionäre Frankreich ausschied. Ein direkter Bezug zu Kants Friedensschrift, die nur wenige Wochen später entstand und vom Verleger sofort zum Druck angenommen wurde, lässt sich nicht nachweisen. Es handelt sich bei dem Werk um eine Spätschrift des Königsberger Philosophen.
„Zum Ewigen Frieden“
Das Wort „ewig“ enthält keinen Hinweis auf die Jenseitigkeit oder Innerlichkeit, sondern eine allumfassende Qualität im Diesseits. Kants Friedensbegriff ist zutiefst politisch und somit ein fester Bestandteil einer Rechts- und Staatstheorie. Der Philosoph strukturiert seine Friedensschrift so, wie es den Friedensverträgen seiner Zeit entsprach, nämlich: sechs Präliminarartikel, drei Definitivartikel und einen zweiteiligen Anhang. In der zweiten Auflage von 1796 fügte der Friedensdenker mit feiner Ironie noch einen Geheimartikel an, der gerade eine Geheimhaltung untersagt und eine öffentliche Diskussion „über die allgemeinen Maximen der Kriegsführung und Friedensstiftung“ fordert. Dies ist auch eine Anspielung auf den Frieden von Basel, wonach Preußen in einem geheimen Zusatzprotokoll eine Entschädigung bei einem endgültigen Friedensschluss für den Verlust der linksrheinischen Gebiete erhalten sollte.
„Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören“
Die sechs Präliminarartikel verbieten den nur bedingten Friedensschluss, die Vernichtung der Souveränität eines Staates, die militärische Aufrüstung, die Staatsverschuldung durch das Führen von Kriegen, die gewaltsame Intervention sowie Kriege, die das Vertrauen in einen Frieden blockieren. Diese Artikel beziehen sich auf eklatante Rechtsverletzungen und sind immer noch sehr aktuell. Zu einem Scheinfrieden zählt für Kant auch, dass ein anderer Staat „durch Erbung, Tausch oder Schenkung erworben werden“ könne. Hier zielt Kants Kritik auf die gängige Heiratspolitik der Monarchien.
Die Definitivartikel bilden in drei Teilen (Staatsrecht, Völkerrecht und Weltbürgerrecht) eine grundlegende Theorie des öffentlichen Rechts. Der erste Zusatz skizziert einen teleologischen Entwurf: Frieden als Endzweck der Geschichte. Im zweiten Zusatz zeigt Kant auf, dass die politische Philosophie und die Politik miteinander verbunden werden können, wobei der Vorrang der Philosophie durch eine Theorie der Moral gewährleistet sein muss. Die Politik verpflichtet sich also auf ethische Grundsätze.
Weit entfernt ist Kant von dem idyllisch-romantischen Bild einer konfliktfreien Welt und Gesellschaft. Gemäß seiner Anthropologie („Der Mensch ist aus so krummem Holz, daraus kann nichts Gerades werden“) gehören Leidenschaften zum Menschen, wie zum Beispiel „Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht“. Entscheidend ist jedoch, dass zur Lösung von Konflikten keine Gewalt angewendet werden darf. Stehende Heere stellen für Kant eine eklatante Bedrohung des Friedens dar, sind sie doch eine wesentliche Ursache von Angriffskriegen.
Stiftung des Friedens auf drei Ebenen
Friede müsse, so Kant, gestiftet werden. Dies sei jedoch nur möglich, wenn die Machtfrage innerhalb eines Staates, zwischen den (europäischen) Staaten und zu den Völkern der Erde in einem friedlichen Sinne geregelt sei. Innerstaatlich bedeutet dies für Kant, dass die Verfassung „republikanisch“, also demokratisch sein soll, ob es sich dabei um eine konstitutionelle Monarchie oder um eine parlamentarische Demokratie handeln soll, bleibt bei Kant offen. Als Folge dieser Staatsform sieht der Philosoph die Friedensstiftung darin, dass die Menschen in einem solchen Gemeinwesen dem Führen von Kriegen ihre Zustimmung verweigern werden, bedeutet Krieg doch nichts anderes als Leid, Zerstörung und hohe finanzielle Kosten bis hin zum Staatsbankrott.
Zwischenstaatliche Bedingung für den Frieden ist ein „Föderalismus freier Staaten“. Ein solcher „Friedensbund“ soll, nach Kant, das Ende von Kriegen mit sich bringen. Die Konstituierung eines solchen Friedensbundes stellt sich der Königsberger so vor, dass um bereits bestehende demokratische Staaten nach und nach weitere hinzukommen, bis der Bund schließlich alle Staaten umfasst. Frage an Kant: Sind demokratische Staaten per se friedlich?
Mit dem Weltbürgerrecht kritisiert Kant das koloniale Vorgehen europäischer Staaten gegenüber Menschen in der übrigen Welt. Die Völker der Welt stehen, so Kant, in einer derart engen Beziehung und Gemeinschaft, dass „die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird“. Frieden bekommt daher eine globale Dimension, die alle Menschen auf einem begrenzten Planeten einschließt.
Im letzten der Präliminarartikel verweist Kant darauf, dass auch Staaten mit einer sehr unterschiedlichen Staats- und Gesellschaftsordnung miteinander auskommen müssen – um zu überleben. „Woraus denn folgt,“ so Kant, „dass ein Ausrottungskrieg, wo die Vertilgung beide Teile zugleich und mit dieser auch alles Rechts treffen kann, den ewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung stattfinden lassen würde.“ Kant endet: „Ein solcher Krieg also, mithin auch der Gebrauch der Mittel, die dahin führen, muß schlechterdings unerlaubt sein.“
Bis zu Kants Tod im Jahre 1804 erschienen insgesamt elf Auflagen seiner Friedensschrift. Im 19. und 20. Jahrhundert sollten noch dutzende Auflagen und viele Übersetzungen folgen, 1985 ins Arabische. Bereits zu Kants Zeiten setzte eine rege und kontroverse Diskussion über die Schrift ein.
Von der Friedensidee zur Friedensbewegung: Das Beispiel Königsberg
Einen bedeutenden Einfluss nahmen Kants Ideen auf den organisierten Pazifismus, der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam herausbildete. Die Anfänge der modernen Friedensbewegung lagen in den USA, oft verknüpft mit der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei und den Forderungen der Frauenbewegung. In Massachusetts (1814) und New York (1815) gründeten sich erste Friedensgesellschaften. In Europa folgten London (1816), Paris (1821) und Genf (1830). Besonders in den angelsächsischen Ländern erfuhr die Friedensbewegung einen starken Impuls durch die historischen Friedenskirchen (Quäker, Mennoniten).
Erst im Jahre 1850 begann die Friedensbewegung erstmals in Deutschland auf der politischen Landkarte zu erscheinen – und zwar nicht zufällig in Königsberg. Hier zeigten sich die mittel- und langfristigen Folgen von Kants Werk in seiner Heimatstadt. Der revolutionäre 1848er Johann Jacoby, der Arzt Robert Motherby, Julius Rupp (Großvater von Käthe Kollwitz) sowie der Arbeiterführer Friedrich Grünhagen gründeten am 20. September 1850 einen Friedensverein mit ca. 100 Personen. Diese Friedensgesellschaft kritisierte den Patriotismus als einen zentralen Grund zum Krieg sowie den Hass gegen Frankreich. Die reaktionären preußischen Behörden observierten diese Gründung mit großem Misstrauen und lösten diese pazifistische Organisation bereits ein Jahr später, am 15. Mai 1851, auf.
Die friedenspolitische Glut konnte jedoch nicht verboten und durch Hausdurchsuchungen unterbunden werden – und loderte weiter in der Freien Evangelischen Gemeinde Königsberg. Elsbeth und Max Friedrichs feierten dann zusammen mit dieser Gemeinde am 13. Dezember 1908 den ersten Friedenssonntag in Deutschland. Es war, bezeichnend genug, die Freie Evangelische Gemeinde, die hinsichtlich des Friedenssonntags aktiv wurde – und nicht die evangelische Kirche Preußens. Die sehr aktive Ortsgruppe Königsberg der Deutschen Friedensgesellschaft versuchte durch einen Appell an die christlichen Großkirchen einen gemeinsamen Friedenssonntag zu gestalten, scheiterte jedoch mit ihrem Anliegen. Bis zum Jahre 1912 gab es in Deutschland nur in Königsberg einen regelmäßigen Friedenssonntag. 1913 folgte die Evangelische Landeskirche in Elsass-Lothringen mit allen Kirchengemeinden.
Ganz im Geiste Immanuel Kants äußerte sich der Königsberger Oberlehrer Dr. Heinrich Michelis am 2. September 1906. Dieser Friedenspädagoge des Kaiserreichs forderte, dass der Friedensgedanke zum festen Bestandteil eines jeden Kulturmenschen gehören sollte. Die Verbreitung der Idee des Friedens würde ein katastrophales Blutbad zwischen den Völkern verhindern helfen, so Michelis – acht Jahre vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Auch dieser Königsberger sah den Streit als feste Größe des menschlichen Daseins, ein Streit, der jedoch nicht mit Gewalt gelöst werden könne und solle – sondern stets mit den Mitteln des Rechts. Die Ortsgruppe Königsberg der Deutschen Friedensgesellschaft arbeitete auch im Schatten des Ersten Weltkrieges weiter für den Frieden.
Weitere Auswirkungen Kants
Die zentrale Idee nach einem Frieden durch Recht, also nicht durch Gewalt, bestimmte das pazifistische Denken und Handeln ebenso maßgeblich wie die daraus resultierende Forderung nach einem internationalen Schiedsgericht. Auch Kants Forderung, wonach stehende Heere als ein akuter, höchst gefährlicher Faktor einer Kriegstüchtigkeit und Kriegsgefahr abgeschafft werden sollten, wurde von Friedensbewegungen aufgenommen. Ergänzt wurde dies durch die sehr wichtigen Aspekte der internationalen Abrüstung sowie durch den Abbau von Feindbildern durch eine entsprechende Friedenspädagogik.
Es konnte nicht überraschen, dass im Jahre 1924, zu Kants 200. Geburtstag und zehn Jahre nach der Entfesselung des Ersten Weltkrieges, Friedensbewegungen in 200 deutschen Städten Veranstaltungen für den Friedensphilosophen organisierten.
Quellen und Literatur
Beutin, Wolfgang: Zur Geschichte des Friedensgedankens seit Immanuel Kant. Hamburg 1996
Dietze, Anita und Walter (Hg.): Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800. Leipzig, Weimar 1989
Handbuch Frieden im Europa der Frühen Neuzeit. Hg. von Irene Dingel u. a. Berlin 2021
Höffe, Otfried (Hg.): Immanuel Kant. Zum Ewigen Frieden. Berlin ³2011
Holl, Karl: Pazifismus. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 4. Stuttgart 1978, 767-787
Janssen, Wilhelm: Friede. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 2. Stuttgart 1975, 543-591
Kant, Immanuel: Zum Ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Hg. von Rudolf Malter. Stuttgart 2008
Lipp, Karlheinz: Friedenspädagogik im Kaiserreich. Ein Lesebuch. Baltmannsweiler 2006
Ders.: Der Friedenssonntag im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Ein Lesebuch. Nordhausen 2014
Piepmeier, Rainer: Immanuel Kant (1724-1804). Friede als Ziel der Geschichte. In: Christiane Rajewski/Dieter Riesenberger (Hg.): Wider den Krieg. Große Pazifisten von Kant bis Böll. München 1987, 17-25
Raumer, Kurt von: Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. Freiburg. München 1953