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Zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit
Das Bild des afrikanischen Islam ist sehr vielfältig. Er ist weit davon entfernt, eine einfache Projektion des arabischen Islam zu sein. Einhundertzwanzig Millionen MuslimInnen leben südlich der Sahara - ein Achtel der gesamten islamischen Welt.
Die Anfänge des Islam in Schwarzafrika
Der Islam in Afrika stellt keine Einheit dar. Auch hat er kein eigenes Zentrum, da sein symbolisches Zentrum an den heiligen Stätten des Islams in Arabien liegt. Die Pilgerwelle erinnert jedes Jahr daran. Jahrhundertelang war der schwarzafrikanische Islam ein Phänomen der Grenzgebiete: Seine Geographie zeigt einen Gürtel von Ozean zu Ozean und das gesamte Gebiet am indischen Ozean. Der Islam breitete sich dort aus, wo die Karawanen und Schiffe der arabischen und persischen Welt ankamen. Außerhalb ihres Einflussgebietes blieb Afrika undurchdringbar für islamische Einflüsse. Heute ist nur ein Afrikaner von dreien südlich der Sahara Muslim, und ganze Regionen des Kontinents, im Zentrum und im Süden, blieben unbeeinflusst.
Die islamische Präsenz südlich der Sahara ist im Wesentlichen kein direktes Ergebnis einer arabischen oder türkischen Eroberung. Im Unterschied zu Indien oder Zentralasien, wo muslimische Truppen sich den Zugang erkämpften, war das Vordringen des Islam im Süden der Sahara fast ausschließlich die Frucht wirtschaftlicher Kontakte. Daher blieb der Islam auch, anders als gewöhnlich, in diesen Regionen ein Minderheiten-Phänomen. Über Jahrhunderte hinweg lebten Muslime und Nicht-Muslime ziemlich friedlich nebeneinander. Erstere, hauptsächlich Händler, waren vor allem daran interessiert, ihre Geschäfte zu machen.
Ab dem 17. und 18. Jahrhundert verschlechterte sich dieses ruhige Zusammenleben in bestimmten Regionen: Muslimische Gebildete, deren Zahl zunahm, strebten nach der Schaffung islamischer Staaten. Einige von ihnen, besonders die Peuls, die sich als die "Araber" Schwarzafrikas verstanden, riefen Bewegungen des "Heiligen Kriegs" aus. So wurde 1804 in Nord-Nigeria ein großes islamisches Reich, das Kalifat von Sokoto, gegründet, das mehr als einhundert Jahre dauerte und dessen Erinnerung immer noch lebendig ist. Ein halbes Jahrhundert später versuchte El Hadj Omar, zum Preis blutiger Repressionen, das gleiche Modell in Mali anzuwenden.
Gewaltsame und gewaltlose Methoden
In seiner gesamten Geschichte ist der schwarzafrikanische Islam so zwischen diesen beiden Polen hin- und hergerissen worden: dem friedlichen und verträglichen Einsickern und der militanten Verkündung. Ab dem 18. Jahrhundert kennzeichnen zwei neue Phänomene den afrikanischen Islam: die Entwicklung von Sufi-Brüderschaften und die koloniale Eroberung. In beiden Fällen wiederholt sich die gleiche Ambiguität. Entgegen den üblichen Vorstellungen sind die Sufi-Brüderschaften nicht von Natur aus pazifistisch. Sie sind, was die Umstände und die Umgebung aus ihnen machen. Sie haben das Verdienst, den einfachen Bauern eine leichter zugängliche Frömmigkeit anzubieten: ihre shaikh sind dafür bekannt, Wunder zu verrichten, zu heilen, Träume zu deuten. Dadurch trugen sie zu einer großen Ausbreitung des Islam außerhalb der Städte bei. Aber sie können, wie in dem Fall des erwähnten El Hadj Omar, die Kader eines Heiligen Krieges stellen.
Die koloniale Eroberung, beispiellose Gewalt auf dem gesamten Kontinent, rief ihrerseits verschiedene Reaktionen hervor. In der ersten Zeit, an der Grenze zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert, leisteten die muslimischen (wie die nicht-muslimischen) Kulturen und Gesellschaften im Saharagürtel, Tschad, Sudan, Somalia bewaffneten Widerstand. Nach dem Versagen der kriegerischen Strategien hat ein Teil der muslimischen Gelehrten sich an die neuen Machtverhältnisse angepaßt. Einmal wieder fand sich der afrikanische Islam in einer politischen Minderheitenposition, diesmal nicht unter afrikanischen Chefs, sondern unter der Verwaltung von "Ungläubigen" - eine völlig unnormale Situation aus der Sicht des islamischen Rechts, die für einen solchen Fall die Emigration empfiehlt. Dennoch geschah es unter diesem Ausnahmezustand, daß der Islam in den Sahelländern endlich, nach sechs Jahrhunderten der Anwesenheit, einen zahlenmäßigen Sprung machte und zur Religion der Mehrheit wurde. Er scheint jetzt als Zuflucht, als Mittel, der kolonialen kulturellen Vergewaltigung zu entkommen und Grundwerte zu retten. Gegenüber dem Christentum, das im Kielwasser der Kolonialmächte gekommen ist, erscheint der Islam hier als, eine afrikanische Religion. Seine Kader sind ausschließlich afrikanisch, und, zumindest in einigen Punkten (Polygamie, Respekt gegenüber den Älteren, Großfamilien), sind seine Werte den traditionellen afrikanischen näher. Auch zeigen sich die muslimischen Prediger im Unterschied zu den christlichen Missionaren viel subtiler bei Fragen des Glaubensübertritts, sich in der ersten Zeit auf minimale Gesten beschränkend. Der gesellschaftliche Wandel und die Verstädterung tragen zum Niedergang der alten Religionen, die an ein bestimmtes Gebiet geknüpft sind, bei und fördern die Verbreitung universalistischer Religionen wie den Islam (oder, in anderen Teilen des Kontinents, das Christentum). Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit, ab Anfang der sechziger Jahre, geht der Islam, der einen Kompromiss mit den Kolonialmächten gewählt hatte, intakt und gestärkt aus dieser großen Prüfung hervor.
Die Konfrontation mit der Neuzeit
Die Konfrontation mit der Neuzeit stellt eine neue Prüfung dar. Wie in anderen Kontinenten, fördert der schnelle Übergang von agrarischen zu technologisierten Gesellschaften, zusammen mit einem außergewöhnlichen Bevölkerungswachstum, den Aufstieg von religiösen Heilsbewegungen. Der Zugewinn an Bedeutung des afrikanischen Islam geht daher einher mit dem von christlichen oder neo-christlichen Kirchen oder anderen Sekten. Aber wiederum sind die Muslims mit unterschiedlichen Wegen konfrontiert, Formen eines militanten politischen Islamismus oder eines pietistischen und gemeinschaftsorientierten Refugiums. Auf der einen Seite haben wir Nigeria, wo in den achtziger Jahren eine militante Bewegung im Norden entstand oder den Sudan, wo die Islamisten der Islamischen Nationalfront aus ihrem Land mit der Unterstützung der militärischen Hierarchie ein fundamentalistisches Laboratorium gemacht haben. Auf der anderen Seite gibt es Gruppen und Vereinigungen aller Schulen, die in städtischen Bezirken, um spontane Moscheen herum, die sozialen Bande wiederknüpfen, die durch die Landflucht und die ökonomische Krise zerrissen worden sind. Die einen wollen revolutionäre Gewalt anwenden, die anderen im Gegenteil sich vor der Gewalt der Welt schützen.
Die islamische Utopie kann daher, in all ihren Formen, in eine schöne Zukunft südlich der Sahara blicken. Dabei wird sie unterstützt durch die Verstärkung der Beziehungen mit der arabischen Welt. Drei Länder spielen dabei eine Vorreiterrolle. Neben dem Sudan sind dies Nigeria und der Senegal, Sitz der jungen Vereinigung der Organisation der Islamischen Konferenz. In jedem dieser Länder sind die Verhältnisse unterschiedlich. In Nigeria müssen die Muslime aus dem Norden und Westen mit etwa zahlenmäßig gleich starken Christen und Anhängern traditioneller Religionen zusammenleben. Trotzdem versuchen bestimmte Gruppen von Aktivisten, dem ganzen Land ihre Konzeption eines islamischen Staates aufzuzwingen. Im Senegal sind die Muslims in der großen Mehrheit, aber der Aktivismus von islamistischen Gruppen wird ausgeglichen durch das beachtliche Gewicht der Bruderschaften.
Ein originärer Islam
Der Islam Schwarzafrikas ist keine einfache Projektion des arabischen Islam. Er ist das Produkt einer eigenen Geschichte mit Wurzeln in einer fernen Vergangenheit. Die Erfahrung des Zusammenlebens und der Situation als Minderheit, das Fehlen großer Konfrontationen mit anderen Monotheismen (außer in Äthiopien) hat ihm eine größere Flexibilität verliehen. Er stellt sich heute als eine Kraft der Integration dar: vor zwei Jahrhunderten ernannten sich die Führer des Jihad zu Anklägern des afrikanischen "Fetischismus", heute präsentieren ihre Erben den Islam als eine überlegene Religon, die ohne Bruch die lange Entwicklungsgeschichte afrikanischer Glaubensrichtungen krönt. Die gesamte symbolische Gewalt richtet sich gegen das Äußere, gegen die westlichen Werte, die als entfremdend angesehen werden, speziell den Säkularismus. Eine Gesellschaft, die nicht ihren Platz in religiösen Legitimationen sucht, ist in dem Augen vieler Muslims, nicht nur von Islamisten, die Mutter aller Sünden, die speziell dem Okzident vorgeworfen werden. Dies ist der Grund, warum wie im Senegal die Einführung eines auf westlichem Recht basierenden Familienrechts in der Praxis gescheitert ist. Überall ist das islamische Recht hochgeschätzt und mythifiziert: Dieser mittelalterliche Rechtskodex, der einen bestimmten Zeitpunkt in der Rechtsgeschichte der islamischen Welt repräsentiert, ist, in den Augen der militantesten Revolutionäre wie auch Pietisten, eine geheiligte Sicherung gegen die Übel des Jahrhunderts.
Aber auf einem Kontinent, der die größten von außen verursachten Gewalttaten erlebte - den Sklavenhandel und die koloniale Eroberung - stellt der Islam südlich der Sahara ein Erbe und ein positives Kapital dar, ein Zeichen der Kommunikation und des freien Austausches mit anderen Gegenden der Welt. Von daher bietet der afrikanische Islam ein - letztlich recht seltenes - Beispiel für einen Monotheismus, der sich in ein neues geographisches Gebiet ausdehnt und dabei meistens gewaltlose Wege beschreitet.