Interview

Der Islamische Staat und die Pop-Kultur

von Christine SchweitzerChristoph Günther
Schwerpunkt
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Der Islamische Staat ist weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden, auch wenn es noch Gruppen in verschiedenen Ländern – auch in Irak und Syrien, wo er entstanden ist – gibt, die unter seinem Namen operieren. Aber mehrere Jahre lang konnte er sich nicht nur als bedeutsame militärische Kraft etablieren, sondern es gelang ihm, viele Tausende ausländischer Männer und auch Frauen für seine Sache zu begeistern. Dazu trug seine moderne Präsenz im Internet und sein „Lifestyle“ Magazin Dabiq bei, die vor allem junge Menschen ansprachen und sich moderner, populärer Elemente bedienten.

 

Christine Schweitzer (CS): Sie beschäftigen sich in einem interdisziplinären Forschungsprojekt an der Universität Mainz mit „Dschihadismus im Internet: Die Gestaltung von Bildern und Videos, ihre Aneignung und Verbreitung“. Dort schreiben Sie:
 „Politische Kommunikation in der Gegenwart wird weitgehend über Medien vermittelt. Dabei spielen Bilder in Form von Fotografien, digital erzeugten Collagen und Filmen eine herausragende Rolle bei der Vermittlung politischer Botschaften. Wie andere soziale, religiöse und politische Akteure bedienen sich dschihadistische Gruppen und Bewegungen Bildern und Videos, um unterschiedliche Zuschauergruppen zu erreichen. Sie versuchen, ihre ideologiegeleitete Interpretation der Realität sowie ihr Verständnis von Religion, Herrschaft und Gesellschaft an ein möglichst breites Publikum zu streuen, um damit bestimmte Wirkungen zu erzielen.”
Wie gelang es dem Islamischen Staat (oder gelingt es anderen dschihadistischen Gruppen), ein breites Publikum zu erreichen? Was machen sie genau?

 

Christoph Günther (CG): Wenn wir uns die Mechanismen ansehen, machen dschihadistische Gruppen wenig anders als alle Interessengruppen, die über strategische Kommunikation versuchen, Menschen an sich zu binden und deren Verhalten zu beeinflussen. Dem Islamischen Staat und anderen Gruppen ist eine sehr klare Vorstellung von gesellschaftlicher Ordnung zu eigen, die sie aus religiösen Texten ableiten, d.h. aus einer Interpretation des Koran und den Überlieferungen über das Leben und Handeln des Propheten Muhammad (die sog. Hadithe). Das Angebot für Identitätsstiftung basiert also auf der Überzeugung, über die letzte von Gott den Menschen offenbarte Botschaft in ihrer reinsten Form zu verfügen und damit gleichzeitig irdische Verdienste zu erlangen und den Einzug ins Paradies für all diejenigen zu garantieren, die sich den damit verbundenen Regularien verpflichten. Im Unterschied zu vielen anderen dschihadistischen Gruppen gelang es dem Islamischen Staat jedoch, diese Botschaft breitenwirksam zu machen, insbesondere weil die Gruppe in überwiegendem Maß auf visuelle Medien setzte. Insbesondere hier wird deutlich, dass die Produzent*innen von Bildern und Videos auf Seiten des Islamischen Staates ein sehr gutes Verständnis von globalen Sehgewohnheiten in ihrer Prägung durch Kino und Journalismus haben und diese für ihre Botschaften zu nutzen wussten. Selbiges gilt auch für a-capella Gesänge (anashid), die Elemente globaler Pop-Kultur aufgreifen. Man darf übrigens nicht außer Acht lassen, dass der militärische Erfolg und das brutale Vorgehen der Gruppe ein bedeutsamer Faktor für die Generierung von Aufmerksamkeit waren – nicht zuletzt auch dank einer Medienlandschaft, in der das Spektakel einen ökonomischen Wert besitzt.

CS: Gab es da eine Differenzierung nach unterschiedlichen Zielgruppen, die unterschiedlich angesprochen wurden? Wurde ein deutscher Jugendlicher mit den gleichen Bildern und Videos erreicht wie ein älterer tschetschenischer Kämpfer, der schon viele Jahre gegen russische Truppen gekämpft hat?

CG: Für diese Unterscheidung aus Sicht der Rezipient*innen fehlen uns empirische Daten. Eine Differenzierung des Publikums wird vor allem durch die Kombination von Bild und (gesprochenem) Text deutlich. Bilder sprechen zwar gleichsam eine eigene Sprache, der Islamische Staat war jedoch stets bemüht, deutlich zu machen, was das Gezeigte bedeutet. Über diese Kombination aus Text und Bild sollte auf die Bedürfnisse der Zielgruppen und deren jeweilige Lebenswelt eingegangen werden. Und das heißt auch – nehmen wir uns die von Ihnen genannten Beispiele vor – dass der Anreiz für einen Jugendlichen in Deutschland, sich dem IS anzuschließen, eher die Diskriminierung und Ausgrenzung von Muslim*innen in Deutschland thematisierte und einem tschetschenischen Kämpfer eher vor Augen geführt wurde, dass russische Truppen in Syrien wieder einmal an der Ermordung von Muslim*innen beteiligt sind. Das Ziel, das diesen beiden so unterschiedlichen Personen in Aussicht gestellt wird, ist jedoch dasselbe: die Errichtung einer sozialen und politischen Ordnung gemäß Gottes Offenbarung.

CS: Es haben sich ja auch viele Frauen dem Islamischen Staat angeschlossen und durchaus nicht immer nur in der traditionellen Frauenrolle, wie sie eigentlich vom Islamismus gepredigt wird. Wurden Frauen gezielt angesprochen und wenn ja, wie?

CG: Frauen wurden und werden über unterschiedliche Medien adressiert. Aus der Forschung zu Radikalisierungsprozessen wird deutlich, dass in sozialen Netzwerken Frauen sowohl von anderen Frauen, als auch von männlichen Anhängern des Islamischen Staates angesprochen wurden, um diese für den IS zu rekrutieren. In den offiziellen Medien des IS, insbesondere in den Printpublikationen, werden Frauen – zum Teil von Autorinnen mit weiblichen Pseudonymen – gezielt adressiert, um ihnen die Perspektive einer aktiven Teilhabe am Aufbau eines islamischen Staates bzw. Kalifates zu eröffnen. In ihrer Bedeutung für die angesprochenen Frauen unterscheidet sich diese Perspektive nicht von der, die Männern offeriert wurde. Die Rolle jedoch, die Frauen bei der Errichtung dieser Ordnung einnehmen sollte, ist grundsätzlich auf den häuslichen Bereich und die Erziehung der Kinder beschränkt, obgleich in der Phase des Niedergangs des Islamischen Staates deutlich wurde, dass Frauen auch für Kampfhandlungen in Betracht gezogen wurden. Gleichzeitig tauchen Frauen in den offiziellen Bildern und Videos des Islamischen Staates nur äußerst selten auf; ein seltenes Beispiel zeigt sie jedoch bei Schießübungen. Interessant sind für uns jedoch nicht nur die Bildmedien der Medienstellen des IS, sondern auch und insbesondere Bilder, die weibliche Angehörige oder Sympathisantinnen in sozialen Medien verbreiten. Die dort veröffentlichten Motive sind äußerst vielschichtig und verweisen auf individuelle Motivlagen und Handlungsfähigkeiten dieser Frauen.

CS: Knüpfen die Macher*innen solcher Medienbotschaften dabei an andere Traditionen der Popkultur an? Haben sie Vorbilder, die sie nutzen?

CG: Ja, sie knüpfen sehr deutlich an Gestaltungstechniken und formale Ästhetiken der globalen Popkultur an. Die Art und Weise, Bilder und Videos zu gestalten, nimmt Anleihen am zeitgenössischen Blockbuster-Kino und bedient sich zum Teil auch der Sequenzen großer Hollywood-Filme. Das lässt sich daran zeigen, dass Schlachtszenen aus Königreich der Himmel  oder  Herr der Ringe entnommen werden, um ein vormodernes Kampfgeschehen zu bebildern. Gleichzeitig nehmen die Produzent*innen damit Bezug auf die Lebenswelt und die Sehgewohnheiten ihres Publikums und werden visuell anschlussfähig.

CS: Wer sind die Macher*innen? Weiß man etwas darüber, woher sie ihr Know-How beziehen?

CG: Über einige Namen hinaus wissen wir über die meisten Macher*innen sehr wenig. Deutlich wird, dass einige zum Teil schon sehr lange Medienarbeit für jihadistische Gruppen gemacht haben, andere Ausbildungen oder Studiengänge in entsprechenden Feldern der Film- und Tontechnik absolviert haben und über sehr gutes Wissen verfügen, wie Bild- und Tontechnik, Script und Schnitt zu handhaben sind.

CS: Als Ziel Ihres Forschungsprojekts schreiben Sie: „Mittelfristig werden die Beobachtungen in eine Onlineplattform überführt, auf deren Grundlage Informationen zur politischen Bildung, Handreichungen für Aufklärungs- und Präventionsprojekte oder Pressestellen und politische EntscheiderInnen erarbeitet und bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden.“ Können Sie uns hier ein Preview geben, was solche Empfehlungen sein könnten?

CG: Wir gewinnen aus der Tiefenanalyse jihadistischer Bilder und Videos Erkenntnisse über deren ‚Gemachtheit‘. Wir versuchen also zu rekonstruieren, warum bestimmte Bilder so und nicht anders aussehen und welche Botschaften mit Farben, Kameraeinstellungen, Schnitt, Klang, angeeigneten Bildern und vielem anderem mehr verbunden sind. Durch die Kontextualisierung dieser Analysen und unseren Versuch, die Bilder in Beziehung zu z.B. künstlerischen Arbeiten zum Thema zu setzen, möchten wir ein Beispiel für Medienkompetenzbildung geben und einen informierten, kritischen Blick auf jihadistische Medien ermöglichen.

Dr. Christoph Günther ist Islamwissenschaftler und leitet die Nachwuchsforschergruppe Dschihadismus im Internet: Bilder und Videos, ihre Aneignung und Verbreitung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Das Interview führte Christine Schweitzer aus der Redaktion des Friedensforums.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.
Dr. Christoph Günther ist Islamwissenschaftler und leitet die Nachwuchsforschergruppe Dschihadismus im Internet: Bilder und Videos, ihre Aneignung und Verbreitung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.