Bundesweite Vernetzung für kommunale Aufnahme von Geflüchteten

Der Kampf der SEEBRÜCKE für Sichere Häfen

von Rainer van Heukelum
Schwerpunkt
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Die Bewegung Seebrücke (1) hat sich 2018 gegründet, als das Rettungsschiff „Lifeline“ mit 234 Menschen an Bord tagelang auf hoher See ausharren musste und keinen Sicheren Hafen in Europa fand, obwohl mehrere Städte und Länder angeboten hatten, die Menschen von der Lifeline aufzunehmen. Aus einer kleinen Gruppe von sich darüber empörenden Aktivist*innen, die seit Jahren in der Geflüchtetenhilfe arbeiteten, erwuchs in wenigen Tagen die Bewegung SEEBRÜCKE, in deren Namen bis heute mehr als 300.000 Menschen auf die Straße gegangen sind gegen das Sterben imMittelmeer, die Kriminalisierung der Seenotretter*innen, Abschiebung und Abschottung und für sichere und legale Fluchtwege, die menschenwürdige Behandlung von Geflüchteten und wirksame Bekämpfung von Fluchtursachen.

Mit der Idee der Schaffung „Sicherer Häfen“ geschieht so etwas wie der „local turn“ in der Flüchtlingspolitik. Ein „Sicherer Hafen“ ist eine Gemeinde, die Geflüchtete in ihrer Mitte willkommen heißt und bereit ist, mehr Geflüchtete (aus Seenot Gerettete oder aus den Lagern an den europäischen Außengrenzen) aufzunehmen, als  ihnen durch die Verteilungsquoten für Flüchtende zugewiesen wurden. Angesichts einer nationalen und europäischen Verweigerungspolitik gegenüber der Not der Flüchtenden fordern die Aktiven der über 150 Lokalgruppen der Seebrücke in Deutschland mit Druck auf der Straße,  durch Bürgeranträge und Eingaben in den Kommunalparlamenten ihre Gemeinden auf, sich zum Sicheren Hafen zu erklären  und Druck auf den Bundesinnenminister zu machen für eine menschliche Migrationspolitik – und diese Bewegung wächst: Nach zwei Jahren Kampagnenarbeit haben sich bis heute 243 Kommunen zu „Sicheren Häfen“ erklärt. 

Damit nicht genug. Auf Anregung der Seebrücke haben sich nach einem von ihr am 13./14.6.2019 in Berlin organisierten Kongress „Sichere Häfen. Leinen los für kommunale Aufnahme“ zunächst 12 Städte, darunter  Landeshauptstädte wie Potsdam und Kiel, zu einem Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ (2) zusammengeschlossen, um gemeinsam und vernetzt ihre Stimme zu erheben gegenüber dem Bundesministerium des Inneren (= BMI), das bis dato die Angebote der Gemeinden schlicht ignorierte. In der „Potsdamer Erklärung“ fordern sie von der Bundesregierung und dem Bundesinnenminister die schnellstmögliche Zusage, dass die aufnahmebereiten Kommunen und Gemeinden die aus Seenot im Mittelmeer geretteten Geflüchteten auch übernehmen können, und Unterstützung bei der praktischen Aufnahme, der Unterbringung und der Finanzierung. Mittlerweile arbeiten 88 Städte in dem Bündnis mit, die sich sowohl bundesweit als auch vereinzelt landesweit vernetzen. Es gab zwei Arbeitstreffen auf Bundesebene im Oktober 2019 in Präsenz und im November 2020 digital. Für die Gemeindevertreter*innen sind das wichtige Gelegenheiten für Austausch- und Diskussionsprozesse, doch führt die Blockadehaltung des Bundes leider oft auch zu einem effektiven Stillstand bei der lokalen Umsetzung des Konzepts „Sicherer Hafen“, da die vielmals zugesagte zusätzliche Aufnahme nicht umgesetzt werden kann. Immerhin gibt es seit März 2020 einen Austausch auf Arbeitsebene zwischen den Bündnismitgliedern und dem BMI. Darüber hinaus wird an der Gründung eine Fachgruppe in Zusammenarbeit mit der Arbeitsebene des BMI gearbeitet, um konkrete Lösungsmöglichkeiten für (ein)humanitäre(s) Aufnahmeprogramm(e) „Städte Sicherer Häfen“ zu erarbeiten.
Letztendlich lässt sich festhalten, dass die Kampagne für „Sichere Häfen“ schon jetzt einiges bewirkt hat:

  • Zivilgesellschaftliche Initiativen und Lokalpolitiker*innen arbeiten zusammen und erzeugen kommunale Öffentlichkeit für die Notlage Flüchtender.
  • Bundesweite Aktionen der Seebrücke wie z.B. „Wir haben Platz“ und „leave no one behind“ oder „Bringt einen Stuhl“, „Wärme für Alle! Kein weiterer Winter in den Lagern!“ knüpfen an die Aufnahmebereitschaft der Kommunen an, machen sie bundesweit sichtbar und verstärken den Druck auf das BMI.
  • Die „Sicheren Häfen“ vertreten ihre Anliegen sowohl gegenüber der Landes- als auch der Bundespolitik und vernetzt als Bündnis auch in den kommunalen Spitzenverbänden wie z.B. dem Deutschen Städtetag. Dadurch können sie von der Politik nicht dauerhaft überhört werden. So lud z.B. die Bundeskanzlerin am 20.10.2020 Vertreter*innen von 20 Kommunen des Bündnisses zu einem virtuellen Treffen ein, das allerdings ohne konkretes Ergebnis blieb.
  • Es gibt einen stabilen Austausch zwischen dem Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ und der Seebrücke im Bund gerade auch im Hinblick auf die Europäisierung der „Sicheren Häfen“. Für den Sommer 2021 ist eine Vernetzungskonferenz europäischer Städte in Palermo geplant.
  • Ohne die „Sicheren Häfen“ wäre vermutlich die Malta-Einigung einer „Koalition der Willigen“ im Mai 2020 zur Aufnahme von aus Seenot Geretteten durch eine kleine Koalition der Willigen sowie nach dem Brand in Moria ebenso wenig zustande gekommen wie die Zusage  der Bundesregierung zur Aufnahme von 1553 Migrant*innen aus Griechenland.

Wie man an dem letzten Beispiel sieht, konnte allerdings bis heute die Verweigerungshaltung des BMI gegenüber den Aufnahmegesuchen der Kommunen immer nur punktuell durchbrochen werden.

Es mehren sich deshalb Stimmen, den Kommunen und Ländern mehr Mitspracherecht bei der Aufnahme von Geflüchteten zu geben. Für Aufsehen sorgte schon 2017 das Konzeptpapier von Gesine Schwan „Europäische Flüchtlingsintegration als gemeinsame kommunale Entwicklung“ (3). Es schlägt vor, dass Kommunen in Europa Geflüchtete freiwillig aufnehmen und integrieren können und dafür EU-Mittel erhalten, nicht nur für die Geflüchtetenaufnahme, sondern auch für die Verbesserung der kommunalen Infrastruktur (Schulen, Verwaltung, Gewerbeförderung). Durch ein derartiges Anreizsystem könnte der Migrationspolitik der EU ein menschlicher und ökonomischer Vitalitätsschub verpasst werden (S. 3).
Darüber hinaus gibt es Versuche, die Blockadepolitik des BMI zu durchbrechen, indem man den Ländern mehr Autonomie bei der Geflüchtetenaufnahme zugesteht. Länder können Aufnahmeprogramme beschließen, benötigen dafür aber bisher nach § 23,1 AufenthG das Einverständnis („Einvernehmen“) des BMI. Nun ist den Bundesländern Berlin und Thüringen, die Flüchtende aus den griechischen Lagern wegen ihrer humanitären Notlage aufnehmen wollten, in der letzten Zeit dieses Einverständnis des BMI nicht gegeben worden. Ein von dem MEP-Abgeordneten Erik Marquardt in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten (4) kommt aber zu dem Ergebnis, der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung entspreche, dass die Aufnahme von Flüchtenden aus den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln von der Bundesregierung nicht verweigert werden darf. Das Land Berlin hat deshalb kürzlich Klage gegen die Entscheidung des BMI eingereicht. Man darf gespannt sein, ob das Urteil Ländern (und damit auch Kommunen) mehr Spielraum bei der Geflüchtetenaufnahme einräumt.

Anmerkungen
1 https://seebruecke.org
2 https://www.potsdam.de/kategorie/das-buendnis-staedte-sicherer-haefen
3 Prof. Dr. Gesine Schwan (16.3.2017): Europäische Flüchtlingsintegration als gemeinsame kommunale Entwicklung; vgl.: https://www.governance-platform.org/documents/konzeptpapier-europaeische...
4 Erik Marquardt (3.04.2020): Gutachten belegt:Bundesländer dürfen eigenständig Geflüchtete aufnehmen!; vgl. https://erik-marquardt.eu/2020/04/03/gutachten-belegt-bundeslaender-duer...

Rainer van Heukelum ist Mitglied von Pax Christi und des Bund für Soziale Verteidigung. Seit zwei Jahren arbeitet er aktiv in der Bonner Lokalgruppe der Seebrücke mit.

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Rainer van Heukelum ist Lehrer und in der Bonner Pax Christi Gruppe aktiv.