Kommentar

Der Krieg schafft die Kindheit ab

von Bernhard Nolz

Während Bundeskanzlerin M. dem zehnjährigen Baran in einer Grundschule im Ruhrgebiet über den schwarzen Haarschopf streichelt, tötet der 26-jährige Bundeswehrsoldat L., der der Befehlsgewalt der Bundeskanzlerin untersteht, im afghanischen K. die elfjährige Kiana und ihre Mutter Sofia, die auf dem Weg zum 77. Geburtstag der Großmutter Rana waren.

Raub der Kindheit
Wie alle „Kriegsherrn“ stellt auch Bundeskanzlerin Merkel ihre Kinderliebe zur Schau, damit vergessen werden kann, dass sie für den Tod unschuldiger Kinder in Afghanistan Verantwortung trägt. Mit ihrer Regierungspolitik trägt sie dazu bei, dass Millionen von Kindern im Krieg in Afghanistan und an der Heimatfront in Deutschland ihrer Kindheit beraubt werden.

Wie kann in Afghanistan ein Kind noch Kind sein, dessen Recht auf Leben ständig missachtet wird, das hungert und verhungert, das in ständiger Angst leben muss, dem der Schutz in bewaffneten Konflikten verweigert wird, dem das Recht auf Bildung verwehrt wird, dem die Gesundheitsvorsorge versagt wird und dem der Minderheitenschutz entzogen wird?

Der „Krieg gegen den Terrorismus“, der als globaler Weltkrieg geplant ist, kennt keine Kinderrechte. Er ist ein Krieg, der auch noch die letzten Reste einer sozialen Sicherheit der Kinder in den vertrauten Lebenszusammenhängen beseitigt und die Kinder schutzlos der totalen Kriegsgewalt ausliefert. Die Gewalt der deutschen Gewehrläufe können weder Kaugummis noch Smarties mildern.

Ohne Kinderrechte leben
Die Mahnungen der Friedensbewegung - als Anwältin der Kinder im Krieg - bleiben bei den Krieg führenden Regierungen ungehört. Sie verstoßen vielmehr jeden Tag wieder gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen:

„Im Einklang mit ihren Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht, die Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten zu schützen, treffen die Vertragsstaaten alle durchführbaren Maßnahmen, um sicherzustellen, dass von einem bewaffneten Konflikt betroffene Kinder geschützt werden.“ (UN-Kinderrechtskonvention, Art. 38d)

Wie soll ein afghanisches Kind das für eine gelingende Sozialisation notwendige Urvertrauen entwickeln können, das es zudem für ein gesundes und glückliches Aufwachsen braucht, wenn es weiß, dass es von den deutschen Tornado-Aufklärern nicht als Kind identifiziert werden wird - die Mutter nicht als Mutter, der Vater nicht als Vater, die Geschwister nicht als Geschwister, und selbst die Großmutter nicht sicher ist! Auch die Nachbarn können im nächsten Moment ausgelöscht werden, und es gibt kein Entrinnen für Menschen und Tiere, wenn die Raketen an ihrem Ziel eintreffen.

Wie sollen afghanische Kinder in einer Trümmerlandschaft, wo Tretminen als tödliche Spielzeuge auf sie warten, physisch und psychisch gesund heranwachsen und Verhaltensweisen entwickeln, die sie zum friedlichen Zusammenleben befähigen? Wer als Kind täglich Krieg erlebt, erfährt nicht mehr, was Wertschätzung, Empathie oder Vertrauen bedeuten. Wie soll ein afghanisches Kind demokratische Verhaltensweisen lernen, wenn es unter der Herrschaft von Besatzern lebt, die kulturelle Traditionen und eigene Mitwirkungsgewohnheiten verbieten und unter Strafe stellen lassen? Was sollen Kinder von Soldaten halten, die in Panzerwagen kommen und das Feuer eröffnen, statt sie in Bussen zur Schule abzuholen?

Gewalt gegen Hilfen
Dann frisst der Hunger die Depressionen auf und wandelt sich um in Hass gegen die Besatzer und Besatzerinnen. Ja, es sind auch weibliche Soldaten dabei, wenn afghanische Kinder getötet werden.

Im Schatten der deutschen Waffen in Afghanistan, die die deutsche Exportbilanz stärken, verkümmern die ausländischen zivilen Friedensinitiativen zur Hilflosigkeit, weil sie als Verbündete der Besatzungsgewalt wahrgenommen werden. Die Hilfe für Kriegskinder wird von der Bundeswehr unmöglich gemacht.

Das deutsche Militär in Afghanistan ist ohnmächtig. Es beweist zur Zeit seine Existenzberechtigung in Afghanistan,wenn es Kinder und Frauen tötet und Taliban.

Was bringt Abgeordnete des Deutschen Bundestages (außer denen der Partei DIE LINKEN) dazu, dem Bundeswehreinsatz gegen die Kinder in Afghanistan zuzustimmen? Viele Organisationen innerhalb und außerhalb der Friedensbewegung sorgen dafür, dass die Wahrheit über das Leid der Kinder im Krieg in Afghanistan bekannt wird.

Kinderfeindliche Kriegskasse
Im Jahre 2009 möchte die Bundesregierung 31 Mrd. € (+55,6%) für die Kriegsführung der Bundeswehr (vor allem in Afghanistan) zur Verfügung stellen. Für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat sie nur 6 Mrd. € (-1,00%) vorgesehen. Um das Bild abzurunden: Für den Umwelt- und Naturschutz hat die Bundesregierung ganze 1,3 Mrd. € eingeplant, immerhin ein Plus von über 50% im Vergleich zum Vorjahr.

So gesehen erübrigt sich die Frage, was der Krieg in Afghanistan mit den Kindern in Deutschland zu tun hätte, denen die Bundeskanzlerin über das Haar streichelt.

In Deutschland fehlt das Geld, das der Afghanistan-Krieg auffrisst, für die Bildungseinrichtungen.

Weil das Geld in Afghanistan verpulvert wird, werden Schulkinder in Deutschland in maroden Schulen unterrichtet und können keine kleineren Lerngruppen gebildet werden. Fehlende Gelder führen im Computerzeitalter dazu, dass sich 10 – 12 SchülerInnen um einen Computer in der Schule „schlagen“ müssen. Das Geld für zusätzliche LehrerInnen und weiteres pädagogisches Fachpersonal, für kostenlose Schulmahlzeiten und eine Ganztagsbetreuung der Kinder fehlt, weil die Kriegskasse gefüllt werden muss.

Erziehung zum Krieg
Landläufig ist die Meinung verbreitet, dass der deutsche Krieg in Afghanistan gar keine Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft hat. Da ist insofern etwas dran, dass die Regierung wie die Massenmedien (Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen) den Eindruck vermitteln wollen, es  gäbe gar keinen Krieg in Afghanistan. Zu einer Berichterstattung über die Kriegsgräuel und über die Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen durch die Bundeswehr, von denen immer mehr Kinder betroffen sind, sind sie nicht bereit.

So entsteht in Deutschland ein Klima der Verheimlichung und der Heuchelei über das, was tatsächlich in Afghanistan stattfindet. Deshalb wird auch die Friedenserziehung in den Schulen  nicht als Regelfach eingeführt. Vielmehr sollen Kinder und Jugendliche für dumm verkauft werden, so als gäbe es nicht den ungehinderten Zugang zu Informationen im Internet.

Schon häufen sich die Meldungen über eine verstärkte Propagandaarbeit der Bundeswehr an den Schulen. Die Bundeswehr verstößt gegen die Kinderrechtskonvention und rekrutiert junge Menschen, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben. Zunehmend werden militärische „Tugenden“ den Kindern und Jugendlichen öffentlich abverlangt und Militärdrill in Erziehungscamps als Erziehungsmittel vorgeschlagen.

Am meisten bedroht werden die Kinder durch die Propaganda für den „Krieg gegen den Terrorismus“. Zur Rechtfertigung für das Besetzen fremder Länder durch deutsche Soldaten gehört die Verbreitung von Feindbildern und von Bedrohungsszenarien. So werden die Kinder in Deutschland ganz offiziell zum Ausländerhass und zu Vorurteilen erzogen.

Der Krieg schafft die Kindheit ab.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Bernhard Nolz ist Lehrer i. R., Sprecher der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden, Aachener Friedenspreisträger.