Der real simulierte Krieg

von Ralf E. Streibl
Schwerpunkt
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Der militärische Einsatz von Simulationen beginnt nicht erst mit der Erfindung von Computern. Heute- wie sollte es anders sein- dienen Computersimulationen·als wesentliche Hilfsmittel für militärische Forschung und Entwicklung sowie zur Leistungssteigerung bestehender Waffensysteme (vgl. hierzu auch den Artikel von Martin Kalinowski zum Thema Computersimulation von Nuklearexplosionen). Weitere wesentliche Anwendungsfelder sind computergestützte Stabsübungen, in denen u.a. Truppenbewegungen simuliert werden, sowie Training einzelner militärischer Operationen. Die technische Ausgestaltung von Waffensystem· und Kampfsimulatoren reicht vom einfachen Bildschirmgerät über „Simulationsboxen“ bis zum hydraulisch bewegten Flugsimulator. Diese Technisierung der Ausbildung kommt nicht von ungefähr: Zum einen kommt sie dem militärischen Idealbild der perfekten Verzahnung einzelner Soldaten zu einer·maschinenhaften Einheit·entgegen zum anderen wächst mit der fortschreitenden Technisierung des Kriegsgeräts die Notwendigkeit, den Soldaten an die Perfektion der Maschine anzupassen: er ist die Schwachstelle, die verbessert werden muß.

Manöver in der Box
Computer werden seit längerem schon·in Zusammenhang mit konventionellen Manövern und Kampftrainings eingesetzt. Im bayerischen Höhenfels- auf dem mit rund 16.000 Hektar größtem Manöver-Stützpunkt der US Armee in Europa, auf dem seit 1960 auch die Bundeswehr trainiert - ist ebenso wie im "National Training Center" der US- Armee in Fort lrwin (USA) seit längerem das "Multiple Integrated Laser Engagement System" (MILES) im Einsatz: Alle im Manöver eingesetzten Waffen simu¬lieren den Schuß mit einem Laserimpuls. Die mit Sensoren überzogenen Fahrzeuge erkennen Treffer und schalten ggf. das Fahrzeug als „zerstört“ ab. Über Satellit sind die Einheiten mit der Kommandozentrale im „Combat Maneuver Training Center“ verbunden, wo die Schlacht auf Bildschirmen dargestellt wird. Ein vergleichbares System ist auch für das geplante, über 680 Mio. DM teurere Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Altmark bei Magdeburg vorgesehen.

Der nächste Schritt ist auch schon Realität: In Schweinfurt fahren keine echten Panzer durchs Gelände die Panzerbesatzungen trainieren in langen Reihen von Trainingsboxen. Die einzelnen Simulatoren sind über Datenleitung miteinander verknüpft, was das gemeinsame Training ganzer Einheiten ermöglicht. Das SIMNET erlaubt die Vernetzung von hunderten solcher Simulationsboxen auch über Kontinente hinweg. Das Innere der Simulatoren ist dem Originalpanzer realgetreu nachempfunden. SIMNET-Training wird nicht als Ersatz für. echtes Feldtraining gesehen und weist auch noch.

Defizite z.B. im Hinblick auf die Simulation der Umgebungsbedingungen auf. Dem soll durch das Nachfolgesystem „Close Combst Tactical Trainer“ (CCTI) abgeholfen werden, dessen Einführung von 1996 bis 1999 geplant ist. Von solcher Detailtreue erhofft man sich zum einen bessere Lerneffekte, zum anderen wird der Mensch- oder wie es im Jargon heißt: das "menschliche Teilsystem im Gesamtsystem von Mensch und Maschine“ - auf seine Zuverlässigkeit und Belastbarkeit getestet.

In dem 1982 entstandenen „Warrior Preparation Center“ (WPC) in Rammstein werden verteilte interaktive Computersimulationen entwickelt und durchgeführt. Nachdem 1989 erstmalig eine NATO-weite Übung im Rahmen des „Distributed Wargaming System“ stattfand, begannen ab 1992 Übungen mit weltweit verteilten Teilnehmern: Unter dem Namen „Ulchi Focus Lens“ werden seither jährliche "Wargaming-Übungen durchgeführt; um Verhalten und Entscheidungsfindung unter realitätsnahen Streßbedingungen zu testen und zu trainieren. 1996 fand in diesem Rahmen eine gemeinsame interaktive Echtzeit-Simulation des „Warrior Preparation Center“ in Deutschland, dem „Korean Air Simulation Center“ in Süd-Korea, der 7. Flotte, der US Navy der „Air Force's Theater Battle Arena“ im Pentagon und weiterer Einrichtungen statt. Bis zum Jahr 2000 sollen im Rahmen des „Synthetic Theater of War“-Programms (STOW) des amerikanischen Verteidigungsministeriums mehr als 100.000 verschiedene Waffenplattformen in ein simuliertes Gefechtsfeld integriert werden. Im Oktober 1997 soll ein erster großer Einsatz des Prototypen im Zusammenhang mit „Unified Endeavor 98-1“ stattfinden.

Vom Training ins Feld
Doch nicht nur zum allgemeinen Training, sondern auch zur Vorbereitung konkreter Einsätze werden Computersimulationen eingesetzt, wie folgendes Beispiel zeigt:

Die von der amerikanischen Firma Cambridge Research Associates in Kooperation mit der Defense Mapping Agency (OMA = kartographische Abteilung des U.S.- Verteidigungsministeriums) entwickelte Software PowerScene erzeugt in Echtzeit dreidimensionale Szenen durch Überlagerung von Daten aus Landkarten, Satellitenbildern, Luftaufnahmen, etc. PowerScene kann mit komplexen Simulatorsystemen gekoppelt werden und sorgt dann für realitätsnahe Außensicht und Instrumentenbilder. Die gleiche Software kann aber auch zur einfachen Bildschirmdarstellung genutzt werden (z.B. zur Unterstützung von Einsatzplanung oder auch zur Nachbesprechung von Einsätzen). Rich Johnson, stellvertretender Direktor des U.S. Army Topographie Engineering Center, bezeichnete PöwezScene als „elektronischen fliegenden Teppich“ und eine Art „real world Nintendo machine“, welche es gestattet, mittels Joystick in interessanten Gegenden·herumzustreifen.

Bekannt geworden ist PowerScene vor allem in Zusammenhang mit dem Krieg im früheren·Jugoslawien. Noch als Prototyp nach Bosnien verfrachtet, wurde PowerScene dort „im Feld“ getestet und weiterentwickelt. Nicht nur das spezifische Produkt PowerScene profitierte vom „Praxistest“ Bosnien: Die im Oktober 1996 mit der Gründung der National Imagery and Mapping Agency (NIMA) verbundene Konzentration von Spezialisten, Knowhow, Ressourcen und technischem Equipment zeigt die Wichtigkeit, die Militär und Geheimdienste diesem Bereich zumessen.

Nicht nur sauber, sondern rein!
Zur Unterstützung der NATO-Truppen in Zusammenhang mit dein Krieg in Ex-Jugoslawien wurde im August 1995 ein PowerScene-System in der NATO-Luftwaffenbasis in Aviano (Italien), von der aus die NATO-Rieger ihre Einsätze flogen, installiert- laut Vic Kuchar (OMA) mit großem Erfolg: nach kurzer Zeit sei kein Pilot mehr gestartet, ohne den Einsatz vorher daran zu proben. In den Schilderungen wird v.a, die realitätsgetreue Darstellung sowie die einfache, komfortable Möglichkeit des Probehandelns und Experimentierens mit verschiedenen Situationsparametern hervorgehoben. Die Abweichungen der Realität vom Probelauf seien vernachlässigbar. Der Einsatz von PowerScene im Training und in der Einsatzvorbereitung. wird dargestellt als das Mittel der Wahl für präzise Militärschläge in einem „sauberen“ Krieg.

Im technisierten Krieg wird der Gegner zunehmend abstrakter. Kampfrelevante Entscheidungen werden oft auf der Basis von Daten und Darstellungen auf Monitoren gefällt. Dabei findet eine Reduzierung auf Zeichen und Symbole statt. Durch den Einsatz von Informationstechnik wird so der Schein von Perfektion und Sauberkeit erweckt- im Simulatortraining ebenso wie auf dem mit Monitoren bestückten „Feldherrenhügel“.

Und so ist die Vermarktung von PowerScene am Beispiel der Kampfeinsätze in Ex-Jugoslawien nur die Fortschreibung des im Golfkrieg geprobten Scheinbildes des „sauberen technisierten Krieges“ und fügt sich ein in die Strategie, der Öffentlichkeit Militäreinsätze in Krisengebieten als beste oder einzige Lösung zu präsentieren. So nimmt beispielsweise die OMA für sich in Anspruch, durch die mit dem PowerScene-Training erzielte, höhere Bombengenauigkeit der NATO-Luftstreitkräfte bei den Angriffen auf serbische Stellungen zum Zustandekommen der Dayton-Friedensverhandlungen beigetragen zu haben. Und dieselbe Software, die der Vorbereitung auf Kampfeinsätze diente, wurde dann sogar bei den Friedens- und Grenzverhandlungen eingesetzt: Die Delegierten konnten damit aktuell vorgeschlagene Grenzverläufe im dreidimensionalen Landschaftsmodell betrachten. Doch hier wurde kein Schwert zur Pflugschar umgeschmiedet- der Ursprung und der Haupteinsatzzweck von PowerScene ist der Kampfeinsatz. Der Dayton-Verhandlungseinsatz war nur ein- willkommenes- Nebenprodukt, das die Gelegenheit bot, zusätzliche Ressourcen für die Weiterentwicklung zu erschließen.

Die reduzierte Realität des „virtuellen Gefechtsfeldes“
Ein Hauptaspekt des Trainings am Simulator ist die scheinbare Gefahrlosigkeit des Handelns: egal welche „Fehler“ sich im Verhalten oder in den Entscheidungen ereignen- das Szenario kann erneut begonnen werden. Daneben besteht die Gefahr, daß bestimmte Aspekte des Simulationsmodells vom Soldaten als normal angesehen werden. Das kann dazu führen, daß er im wirklichen Einsatz die so gelernten Verhaltensweisen anwendet, obwohl die Situation möglicherweise anders ist. Im Simulator wird die Wirklichkeit vereinfacht dargestellt. Solch eine Reduzierung der Komplexität einer Situation kann zur Erreichung spezifischer Trainingsziele hilfreich sein. Sie kann jedoch auch gezielt für eine systematische subtile Einflußnahme auf den Soldaten im Simulator genutzt werden, wenn bestimmte Aspekte weggelassen werden oder absichtlich weniger realistisch dargestellt werden als andere (z.B. keine blutigen, schreienden Opfer, sondern nur Qualmwölkchen über einem zerstörten Fahrzeug). Auch die Palette der im Simulationsmodell vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten beeinflußt das Erleben der Situation: militärische Simulationen sind zumeist auf die Handhabung militärischen Geräts oder die strategische Ebene beschränkt. Die Optimierung des Kampfverhaltens ist das zentrale Ziel. Politisch-vermittelnde Aktionen jeglicher Art bleiben ebenso außen vor wie die Erarbeitung neuer Konfliktvermeidungs- und Deeskalationsstrategien- erst recht in einer Zeit, in der die Bundeswehr im Eilschritt von humanitären out-of-area-Missionen zu ihren ersten Kampfeinsätzen eilt und Friedensmissionen der Vereinten. Nationen ohne schlagkräftige „Schnelle Eingreiftruppen“ kaum denkbar scheinen.

 Zum Weiterlesen:
- Götz Neuneck: Computersimulation und moderne Kriegsführung. In: H.- J. Kreowski, T. Risse, A. Spillner, R.E. Streibl & K. Vosseberg (Hrsg.).: Realität und Utopien der Informatik.
- Ralf E. Streibl: Was Ihr wollt: PowerScene für Krieg und Frieden. In: FIFF-Kommunikation 1/97, S. 4-7.
Ralf E. Streibl ist Diplom-Psychologe, arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Sozioinformatik an der Universität Bremen und ist Mitglied des Forum· Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) sowie des Forum Friedenspsychologie (FFP).

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Ralf E. Streibl ist Diplom-Psychologe und arbeitet seit 1993 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Informatik der Universität Bremen. Mitglied im Forum Friedenspsychologie (FFP) sowie im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF).