Jemen

Der unbekannte Krieg im Nahen Osten

von Klaus-Peter Becker

Über den Krisen „direkt vor unserer Haustür“, wie der Flüchtlingskrise seit 2015, der Krise in der Ukraine seit 2014 oder dem Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS), ist es einfach, solche zu vergessen, die nur etwas weiter entfernt stattfinden. Zu letzteren gehört das komplexe Konfliktgeschehen im Jemen.

Der Krieg im Jemen besteht aus mehreren miteinander verflochtenen Konflikten und gehört zu den gewalttätigsten im Nahen Osten. So hat der UN Sicherheitsrat im vergangenen Februar die humanitäre Krise im Jemen als die nach Anzahl der Hilfsbedürftigen schlimmste weltweit bezeichnet. Die derzeitigen Kampfhandlungen haben ihren Ursprung im Sommer 2004, als heftige Kämpfe zwischen den Huthi und der Zentralregierung aufbrandeten. Die Huthi gehören zur schiitischen Minderheit der Zaiditen, welche bis zur Revolution 1962 für über eintausend Jahre die Macht im Jemen innehatten. Die Kämpfe eskalierten 2009 in einen bis heute andauernden Konflikt. Nach heftigen Protesten im Rahmen des sogenannten Arabischen Frühlings wurde der langjährige Präsident Ali Abdullah Saleh 2012 von seinem Vize Abed Rabo Mansur Hadi abgelöst. 2014 nahmen die Huthi die Hauptstadt Sana'a ein und übernahmen mit der Flucht der Regierung nach Saudi-Arabien ab März 2015 de facto die Kontrolle in Teilen des Jemen.

Am 26. März 2015 begann eine Militärallianz unter der Führung Saudi-Arabiens zunächst mit einer Luftoffensive (Operation Decisive Storm) gegen die Huthi, gefolgt von einem Einmarsch von Bodentruppen (Operation Restoring Hope). Auf Seiten der international anerkannten Regierung kämpfen Hadi-treue Militäreinheiten, unterstützt von Soldaten der Koalition, Stammesmilizen und Kämpfern des sogenannten Southern Movements, welches zuvor seit 2009 gewaltsam gegen die Regierung und für eine Unabhängigkeit des Südjemens gekämpft hatte. Die Huthi werden von Armeeeinheiten unterstützt, die dem ehemaligen Präsidenten Saleh treu ergeben sind. Des Weiteren befindet sich mit al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) ein lokaler Ableger des internationalen Terrornetzwerkes seit 1992 im Kampf mit der Zentralregierung. AQAP bekämpft ebenfalls die Huthi und hat in der instabilen Lage an Gebieten gewonnen. Die USA fliegen seit längerem Drohnenschläge gegen die Terrororganisation. Ebenfalls vom Machtvakuum im Jemen profitiert der IS, der im November 2014 die Gründung von drei Provinzen (Wilaya) im Jemen bekanntgab.

Im Verlaufe des Konfliktes hat es eine Reihe von Friedensinitiativen gegeben, die allerdings bisher ergebnislos blieben. Kurz nach der saudischen Intervention trat der UN-Sondergesandte für den Jemen, Jamal Benomar, zurück, der die Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien seit den Unruhen im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings geleitet hatte. Sein Nachfolger Ismail Ould Scheich Ahmed setzt die Friedensbemühungen zwar fort, scheitert aber ebenfalls an den verhärteten Fronten. Zuletzt sind Friedensgespräche im August in Kuwait gescheitert. Eine für den 20. Oktober vereinbarte 72-stündige bedingungslose Waffenruhe wurde bereits am ersten Tag von beiden Seiten gebrochen. Trotzdem konnten laut UN-Angaben zuvor unzugängliche Gebiete mit dringend benötigten Hilfsgütern versorgt werden. Die Waffenruhe war der sechste Anlauf seit Beginn der saudischen Militärintervention.

Seit der Militäroffensive im März 2015 sind weit mehr als 2,7 Millionen Menschen im Jemen auf der Flucht und insgesamt ca. 12 Millionen auf Hilfe angewiesen. Weitere zehntausende sind in die Nachbarstaaten geflohen. Gleichzeitig ist der Jemen der einzige Staat auf der Arabischen Halbinsel, welcher die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ratifiziert hat. Trotz der andauernden Kämpfe und der äußerst prekären humanitären Lage ist der Jemen weiterhin Ziel zehntausender Menschen, die über den Golf von Aden fliehen, insbesondere aus Äthiopien und Somalia. Allein in den ersten vier Monaten 2016 kamen fast 40.000 Flüchtlinge aus den Staaten am Horn von Afrika im Jemen an. Insgesamt leben derzeit über eine Viertelmillion anerkannte internationale Flüchtlinge im Land und werden zumindest teilweise durch den UNHCR versorgt.

Seit März 2015 sind den UN zufolge mehr als 11.000 Menschen getötet worden, darunter mindestens 4.000 ZivilistInnen. Auch wurden wiederholt Hilfsorganisationen gezielt angegriffen, insbesondere die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Laut Angaben des UNHCR geht Gewalt gegen ZivilistInnen von allen Konfliktparteien aus, jedoch seien die saudischen Luftschläge für den überwiegenden Anteil ziviler Opfer verantwortlich.

Ebenfalls besorgniserregend ist die Proliferation von Kleinwaffen, darunter auch in Lizenz produzierte deutsche Gewehre. Gerade unter diesen Gesichtspunkten ist es fraglich, ob deutsche Waffenexporte nach Saudi Arabien mit dem erklärten Ziel Deutschlands vereinbar ist, die Gewalt im Jemen reduzieren zu wollen.

 

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