Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Deutsche Minderheit in Polen

von Andreas Hauschild
Schwerpunkt
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Die Entscheidung, etwas über die Rolle der "Deutschen Minderheit" in Polen zu schreiben, fiel mir nicht ganz leicht. Denn ich habe weder die gesamte Literatur zu diesem Thema gelesen, noch ausführliche Recherchen betrieben. Alles, was ich erzählen kann, beruht auf Erfahrun­gen, die ich als Kind in Polen und später als Besucher aus West-Deutschland gemacht habe. Ich hoffe dennoch, allein aus der Erfahrung heraus einen Blick dafür öffnen zu können, was "Polen" den "Deutschen" und umgekehrt antun. Alles, wovon ich berichten kann, entstammt Erfahrungen in dem Bezirk Opole (früher auch mal Oppeln genannt), der im mittleren Westen Polens liegt. Das auf die Ganze Re­gion Slask (früher auch mal Schlesien) und Pomorze (auch mal Pom­mern gewesen) zu verallgemeinern, ist nur in einigen Punkten zu­lässig.

Die Anfänge der "Minderheit"

Als ich im Frühjahr 1990 mal wieder in der Gegend von Opole war, gab es plötzlich in dem Dorf, wo meine Ver­wandten wohnten, ein neues Ge­sprächsthema. Soll man oder soll man nicht in die "Deutsche Minderheit" ein­treten. Fast jeder Haushalt, der deut­scher Abstammung nach bundesdeut­schem Recht war, hatte ein Informati­onspaket, in dem unter anderem zwei Formulare waren. Das eine war eine Beitrittserklärung zur "Deutschen Min­derheit", das andere ein Antrag auf Er­teilung eines bundesdeutschen Reisep­asses. Aufnahmebedingung war ein Nachweis der Deutschstämmigkeit. Die Vertreter der Minderheit versprachen allen, die der Minderheit beitreten und aufgenommen würden, bundesdeutsche Pässe zu organisieren. Eine Klarheit über die formaljuristischen Abläufe war kaum vorhanden.

Die politischen Rahmenbedingungen

Der Hintergrund dieser Vorgehensweise war, daß die bundesdeutsche Regierung alle in der Vergangenheit erteilten Dau­ervisa für ungültig erklärte. Dies des­halb, weil die relativ großzügige Verga­bepraxis dazu führte, daß viele mit ge­fälschten Identitätsnachweisen diese in­nehatten und damit auch die Aufent­halts- und Arbeitsaberechtigung in der BRD. Zukünftig sollten nur diejenigen, die Anspruch auf deutsche Staatsbürger­schaft hatten, einen Pass auf Antrag be­kommen und damit auch die Arbeitser­laubnis.

Zur gleichen Zeit wurde in der BRD die Diskussion über die zukünftigen Gren­zen Deutschlands geführt, d.h. über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Die CDU/CSU/FDP-Regierung hatte bewusst diese Frage offengehalten. Es sollte die Möglichkeit bestehen, sich Teile Polens einzuverleiben.

Einen günstigeren und vielleicht auch wichtigeren Zeitpunkt für die Formie­rung der "Deutschen Minderheit" konnte es nicht geben.

Ökonomische Bedeutung

Welches Privileg eine Arbeitserlaubnis war, konnte man der Tagespresse ent­nehmen. Eine offizielle Statistik sagte aus, daß mittlerweile 10% der Bevölke­rung 80% des gesamten nationalen Einkommens kassiert. Eine weitere ein­fache Rechnung machte mir klar, daß Polen gezwungen ist, mindestens 30% des Nationaleinkommens für den Schul­dendienst aufzuwenden.

Nach den Wirtschaftsreformen der letz­ten Jahre herrschte Frühkapitalismus mit einem durchschnittlichen Lohnniveau von 100,-DM im Monat und Preisen, die nur bei den Grundnahrungsmitteln und den Mieten wesentlich unter dem bun­desdeutschen Durchschnitt lagen. Fast niemand, der oder die zu arbeiten an­fing, war ökonomisch eigenständig. Fast Niemand von ihnen konnte sich eine ei­gene Wohnung oder ein eigenes Zimmer leisten. Das Privileg, in die BRD reisen und dort arbeiten zu dürfen, war fast die einzige Chance eigenständig und ohne ökonomische Sorgen leben zu können. Das galt sowohl für das Land, als auch für die Stadt. Ich glaube, daß Niemand, der oder die nicht selbst so etwas über eine längere Zeit erfahren hat, kann sich das wirklich vorstellen. Wenn ich mit früheren SchulfreundInnen oder anderen Bekannten ohne Westkontakte sprach, die gerade in oder kurz nach ihrer Aus­bildung waren, war deren Verzweiflung so groß, daß ich mir nicht vorstellen konnte, daß sie sich einer Einverleibung durch Deutschland widersetzt hätten, wenn da nicht eines wäre, die Ge­schichte.

Lange Geschichte der Vorurteile

Ohne viel falsch zu machen, kann die Region als gemischt bezeichnet werden. Das Durcheinander von polnisch- und deutschsprechenden Gemeinden war schon lange Zeit da, denn in der Ver­gangenheit wechselte das Gebiet oft die Zugehörigkeit zu irgendeinem Herr­schaftsbereich. Ich will mich darauf be­schränken, die Verhältnisse nach dem zweiten Weltkrieg kurz zu erläutern.

Die Polonisierung

Wer etwas genauer nachvollziehen will, wie die polnische Regierung mit den Da­heimgebliebenen umgegangen ist, schaue sich die Geschichtsbücher der Schulen bis 1980 an. Darin wird der 1000-jährige Kampf der Nationalhelden um die Befreiung der besetzten Gebiete geschildert. Kein Schüler und keine Schülerin kam daran vorbei, die Deut­schen als Hörige Hitlers zu sehen und das Land als ur-polnisch. In einem Al­ter, von dem man oft sagt, daß man da noch nicht wisse, was man da rede, nämlich als ich noch keine 14 war, wurde ich im Streit mit gleichaltrigen dann und wann als "Hitlerowiec" (Gefolgsmann Hitlers) bezeichnet, nur weil ich einen deutschen Namen habe. Lange Jahre war die deut­sche Sprache verboten, später westdeut­sche Literatur nicht einführbar. Von uns, den Kindern, konnte niemand deutsch sprechen. Jede Schulklasse in Opole wurde mehrmals zu einer Ausgrabungs­stelle in  der Stadt geschleift, die bewei­sen sollte, daß die Slaven zuerst da wa­ren. Die Stadtbevöl­kerung hatte im Grunde  polnisches Nationalbewusstsein. Diese relative Ein­heitlichkeit der Städte hatte nicht zuletzt ihren Grund in der Lohnabhängigkeit und einer Ausreise­welle in den Westen, die in den 60er Jah­ren einsetzte.

Die "deutsche" Identität

Auf den Dörfern dieser Gegend war das Durcheinander bis heute erhalten geblieben und auch deutlich spürbar. Es war fast typisch für diese Gegend, daß vor '33 die meisten Dörfer wasserpol­nisch (polnisch und etwas deutsch) sprachen, einige reines Deutsch und ei­nige reines Polnisch. Ein Dorf, in dem ich oft weilte, war ein typisches Misch­dorf. Es gab immer noch ein paar, die nur die deutsche Sprache beherrschten, die meisten sprachen aber ein für Städ­ter wie mich nur schwer verständliches verdeutschtes Polnisch. Einige wenige, der Dorflehrer und noch ein paar, spra­chen ein reines Polnisch. Man empfand sich deutsch und nicht polnisch. Deswe­gen waren auch die reinen Polen sozial isoliert. Selbst die Kinder spielten ge­trennt, ohne daß es ihnen angeordnet worden wäre. Auch hier setzte in den 70er Jahren die Ausreisewelle ein.

Die Vorurteile

Während die "Deutschen" als Faschisten und Anhänger Hitlers galten, hatten die Vorurteile der "Deutschen" gegenüber den "Polen" nur einen Grund: sie könn­ten nicht wirtschaften. Vor allem auf den Dörfern wurde versucht, den pol­nischen Nachbarn nachzuweisen, daß sie in ihrem privaten Bereich genauso unfähig seien wie die Regierung im Allgemei­nen. Eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus fand nie statt. Die Kritik am real existierenden Sozialismus wurde nur noch zu dem Bild, das von den "Polen" existierte, hinzu addiert, um die Charaktereigenschaften besser beschreiben zu können.

Diese alten Vorurteile und die erfahrene Benachteiligung müssen wohl als die letztendliche Basis verstanden werden, warum die meisten der Vereinigung "Deutsche Minderheit" beitraten und sich nicht um eine differenzierte Ver­tretung ihrer Interessen bemühten.

Ziele der Minderheit

Die strikt hierarchisch organisierte Min­derheit machte nun mit der Zahl der Mitglieder und dem Gläubiger Bundes­republik hinter sich Politik. Ihr Ziel war politische Macht und das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung. Bis zur Unterzeichnung des Grenzvertrages hatten sie so etwas wie eine Abstim­mung über die Staatszugehörigkeit an­gestrebt. Wären sie erfolgreich gewesen, dann käme das der Auflösung des pol­nischen Staates fast gleich, denn die Re­gion zusammen mit dem Kohlerevier ist für die Ökonomie Polens fast unver­zichtbar. Die anderen Ziele betrafen den Zugang zu politischen Gremien, den Aufbau deutscher Schulen, deutscher ...., deutscher ..., ... .

Die politischen Konsequenzen

Die "Deutsche Minderheit" gewann zunächst ein viel stärkeres Gewicht, als deren MitgliederInnen tatsächlich zu­käme. In vielen Dörfern z.B. stellten sie den Bürgermeister und in einigen Stadtbe­zirken die Abgeordneten. Sie gehörten durch die Westkontakte zu der Schicht der Wohlhabenden. Große Un­terstützung erfuhren sie von der Kirche. Dies führte zu einer schmerzlichen Pola­risierung in der Bevölkerung. Nach ei­ner Abkehr von der Deutschlandfeind­lichkeit nach der Machtübernahme durch die Solidarnosc, fürchteten viele erneut die Menschenfeindlichkeit der Deutschen. Die weiter oben erwähnten Feindbilder und der Nationalismus wur­den reaktiviert.

Soweit ich das beurteilen kann, trat in den folgenden zwei Jahren Ernüchte­rung ein. Wie ich von einem der Bür­germeister aus dem Bezirk Oppeln er­fuhr, orientiert man sich nicht an der Abstammung, sondern an den Bedürfnis­sen und Problemen. Zu der Ernüchte­rung gehört aber auch die Er­fahrung vieler Deutschstämmiger in Deutsch­land, die ähnlich wie andere Polen, Rassismus erfahren haben.

Als dauerhafter Antrieb des Nationalis­mus und Rassismus bleibt die ökonomi­sche Ungleichheit. Es gibt Leute, die sich  ein Auto leisten können und es gibt andere. Es gibt Leute, die im Westen ar­beiten können und es gibt andere. Es gibt Leute, die sich eine Wohnung kau­fen können und es gibt andere.

Tendenziell gehören die Mitglieder der "Deutschen Minderheit" der ersten Gruppe an. Dieses Wasser auf die Müh­len des deutsch-polnischen Konflikts dreht das Rad ständig weiter. Deshalb sollte bei den Kontakten und Aus­tauschprogrammen zur deutsch-pol­nischen Verständigung darauf geachtet werden, daß diese Ungleichheit nicht verstärkt oder übergangen wird. Hier kann ein Stück Sozialismus versucht werden. Die "Deutsche Minderheit" ist ein Ausdruck davon, daß es die Mecha­nismen des Rassismus gibt und steht ei­ner Lösung dieses Problems im Weg.

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Andreas Hauschild koordiniert die Berliner Unterstützergruppe für die FREIe HEIDe.