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Ein persönlicher Erfahrungsbericht
Deutsche Minderheit in Polen
von
Die Entscheidung, etwas über die Rolle der "Deutschen Minderheit" in Polen zu schreiben, fiel mir nicht ganz leicht. Denn ich habe weder die gesamte Literatur zu diesem Thema gelesen, noch ausführliche Recherchen betrieben. Alles, was ich erzählen kann, beruht auf Erfahrungen, die ich als Kind in Polen und später als Besucher aus West-Deutschland gemacht habe. Ich hoffe dennoch, allein aus der Erfahrung heraus einen Blick dafür öffnen zu können, was "Polen" den "Deutschen" und umgekehrt antun. Alles, wovon ich berichten kann, entstammt Erfahrungen in dem Bezirk Opole (früher auch mal Oppeln genannt), der im mittleren Westen Polens liegt. Das auf die Ganze Region Slask (früher auch mal Schlesien) und Pomorze (auch mal Pommern gewesen) zu verallgemeinern, ist nur in einigen Punkten zulässig.
Die Anfänge der "Minderheit"
Als ich im Frühjahr 1990 mal wieder in der Gegend von Opole war, gab es plötzlich in dem Dorf, wo meine Verwandten wohnten, ein neues Gesprächsthema. Soll man oder soll man nicht in die "Deutsche Minderheit" eintreten. Fast jeder Haushalt, der deutscher Abstammung nach bundesdeutschem Recht war, hatte ein Informationspaket, in dem unter anderem zwei Formulare waren. Das eine war eine Beitrittserklärung zur "Deutschen Minderheit", das andere ein Antrag auf Erteilung eines bundesdeutschen Reisepasses. Aufnahmebedingung war ein Nachweis der Deutschstämmigkeit. Die Vertreter der Minderheit versprachen allen, die der Minderheit beitreten und aufgenommen würden, bundesdeutsche Pässe zu organisieren. Eine Klarheit über die formaljuristischen Abläufe war kaum vorhanden.
Die politischen Rahmenbedingungen
Der Hintergrund dieser Vorgehensweise war, daß die bundesdeutsche Regierung alle in der Vergangenheit erteilten Dauervisa für ungültig erklärte. Dies deshalb, weil die relativ großzügige Vergabepraxis dazu führte, daß viele mit gefälschten Identitätsnachweisen diese innehatten und damit auch die Aufenthalts- und Arbeitsaberechtigung in der BRD. Zukünftig sollten nur diejenigen, die Anspruch auf deutsche Staatsbürgerschaft hatten, einen Pass auf Antrag bekommen und damit auch die Arbeitserlaubnis.
Zur gleichen Zeit wurde in der BRD die Diskussion über die zukünftigen Grenzen Deutschlands geführt, d.h. über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Die CDU/CSU/FDP-Regierung hatte bewusst diese Frage offengehalten. Es sollte die Möglichkeit bestehen, sich Teile Polens einzuverleiben.
Einen günstigeren und vielleicht auch wichtigeren Zeitpunkt für die Formierung der "Deutschen Minderheit" konnte es nicht geben.
Ökonomische Bedeutung
Welches Privileg eine Arbeitserlaubnis war, konnte man der Tagespresse entnehmen. Eine offizielle Statistik sagte aus, daß mittlerweile 10% der Bevölkerung 80% des gesamten nationalen Einkommens kassiert. Eine weitere einfache Rechnung machte mir klar, daß Polen gezwungen ist, mindestens 30% des Nationaleinkommens für den Schuldendienst aufzuwenden.
Nach den Wirtschaftsreformen der letzten Jahre herrschte Frühkapitalismus mit einem durchschnittlichen Lohnniveau von 100,-DM im Monat und Preisen, die nur bei den Grundnahrungsmitteln und den Mieten wesentlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt lagen. Fast niemand, der oder die zu arbeiten anfing, war ökonomisch eigenständig. Fast Niemand von ihnen konnte sich eine eigene Wohnung oder ein eigenes Zimmer leisten. Das Privileg, in die BRD reisen und dort arbeiten zu dürfen, war fast die einzige Chance eigenständig und ohne ökonomische Sorgen leben zu können. Das galt sowohl für das Land, als auch für die Stadt. Ich glaube, daß Niemand, der oder die nicht selbst so etwas über eine längere Zeit erfahren hat, kann sich das wirklich vorstellen. Wenn ich mit früheren SchulfreundInnen oder anderen Bekannten ohne Westkontakte sprach, die gerade in oder kurz nach ihrer Ausbildung waren, war deren Verzweiflung so groß, daß ich mir nicht vorstellen konnte, daß sie sich einer Einverleibung durch Deutschland widersetzt hätten, wenn da nicht eines wäre, die Geschichte.
Lange Geschichte der Vorurteile
Ohne viel falsch zu machen, kann die Region als gemischt bezeichnet werden. Das Durcheinander von polnisch- und deutschsprechenden Gemeinden war schon lange Zeit da, denn in der Vergangenheit wechselte das Gebiet oft die Zugehörigkeit zu irgendeinem Herrschaftsbereich. Ich will mich darauf beschränken, die Verhältnisse nach dem zweiten Weltkrieg kurz zu erläutern.
Die Polonisierung
Wer etwas genauer nachvollziehen will, wie die polnische Regierung mit den Daheimgebliebenen umgegangen ist, schaue sich die Geschichtsbücher der Schulen bis 1980 an. Darin wird der 1000-jährige Kampf der Nationalhelden um die Befreiung der besetzten Gebiete geschildert. Kein Schüler und keine Schülerin kam daran vorbei, die Deutschen als Hörige Hitlers zu sehen und das Land als ur-polnisch. In einem Alter, von dem man oft sagt, daß man da noch nicht wisse, was man da rede, nämlich als ich noch keine 14 war, wurde ich im Streit mit gleichaltrigen dann und wann als "Hitlerowiec" (Gefolgsmann Hitlers) bezeichnet, nur weil ich einen deutschen Namen habe. Lange Jahre war die deutsche Sprache verboten, später westdeutsche Literatur nicht einführbar. Von uns, den Kindern, konnte niemand deutsch sprechen. Jede Schulklasse in Opole wurde mehrmals zu einer Ausgrabungsstelle in der Stadt geschleift, die beweisen sollte, daß die Slaven zuerst da waren. Die Stadtbevölkerung hatte im Grunde polnisches Nationalbewusstsein. Diese relative Einheitlichkeit der Städte hatte nicht zuletzt ihren Grund in der Lohnabhängigkeit und einer Ausreisewelle in den Westen, die in den 60er Jahren einsetzte.
Die "deutsche" Identität
Auf den Dörfern dieser Gegend war das Durcheinander bis heute erhalten geblieben und auch deutlich spürbar. Es war fast typisch für diese Gegend, daß vor '33 die meisten Dörfer wasserpolnisch (polnisch und etwas deutsch) sprachen, einige reines Deutsch und einige reines Polnisch. Ein Dorf, in dem ich oft weilte, war ein typisches Mischdorf. Es gab immer noch ein paar, die nur die deutsche Sprache beherrschten, die meisten sprachen aber ein für Städter wie mich nur schwer verständliches verdeutschtes Polnisch. Einige wenige, der Dorflehrer und noch ein paar, sprachen ein reines Polnisch. Man empfand sich deutsch und nicht polnisch. Deswegen waren auch die reinen Polen sozial isoliert. Selbst die Kinder spielten getrennt, ohne daß es ihnen angeordnet worden wäre. Auch hier setzte in den 70er Jahren die Ausreisewelle ein.
Die Vorurteile
Während die "Deutschen" als Faschisten und Anhänger Hitlers galten, hatten die Vorurteile der "Deutschen" gegenüber den "Polen" nur einen Grund: sie könnten nicht wirtschaften. Vor allem auf den Dörfern wurde versucht, den polnischen Nachbarn nachzuweisen, daß sie in ihrem privaten Bereich genauso unfähig seien wie die Regierung im Allgemeinen. Eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus fand nie statt. Die Kritik am real existierenden Sozialismus wurde nur noch zu dem Bild, das von den "Polen" existierte, hinzu addiert, um die Charaktereigenschaften besser beschreiben zu können.
Diese alten Vorurteile und die erfahrene Benachteiligung müssen wohl als die letztendliche Basis verstanden werden, warum die meisten der Vereinigung "Deutsche Minderheit" beitraten und sich nicht um eine differenzierte Vertretung ihrer Interessen bemühten.
Ziele der Minderheit
Die strikt hierarchisch organisierte Minderheit machte nun mit der Zahl der Mitglieder und dem Gläubiger Bundesrepublik hinter sich Politik. Ihr Ziel war politische Macht und das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung. Bis zur Unterzeichnung des Grenzvertrages hatten sie so etwas wie eine Abstimmung über die Staatszugehörigkeit angestrebt. Wären sie erfolgreich gewesen, dann käme das der Auflösung des polnischen Staates fast gleich, denn die Region zusammen mit dem Kohlerevier ist für die Ökonomie Polens fast unverzichtbar. Die anderen Ziele betrafen den Zugang zu politischen Gremien, den Aufbau deutscher Schulen, deutscher ...., deutscher ..., ... .
Die politischen Konsequenzen
Die "Deutsche Minderheit" gewann zunächst ein viel stärkeres Gewicht, als deren MitgliederInnen tatsächlich zukäme. In vielen Dörfern z.B. stellten sie den Bürgermeister und in einigen Stadtbezirken die Abgeordneten. Sie gehörten durch die Westkontakte zu der Schicht der Wohlhabenden. Große Unterstützung erfuhren sie von der Kirche. Dies führte zu einer schmerzlichen Polarisierung in der Bevölkerung. Nach einer Abkehr von der Deutschlandfeindlichkeit nach der Machtübernahme durch die Solidarnosc, fürchteten viele erneut die Menschenfeindlichkeit der Deutschen. Die weiter oben erwähnten Feindbilder und der Nationalismus wurden reaktiviert.
Soweit ich das beurteilen kann, trat in den folgenden zwei Jahren Ernüchterung ein. Wie ich von einem der Bürgermeister aus dem Bezirk Oppeln erfuhr, orientiert man sich nicht an der Abstammung, sondern an den Bedürfnissen und Problemen. Zu der Ernüchterung gehört aber auch die Erfahrung vieler Deutschstämmiger in Deutschland, die ähnlich wie andere Polen, Rassismus erfahren haben.
Als dauerhafter Antrieb des Nationalismus und Rassismus bleibt die ökonomische Ungleichheit. Es gibt Leute, die sich ein Auto leisten können und es gibt andere. Es gibt Leute, die im Westen arbeiten können und es gibt andere. Es gibt Leute, die sich eine Wohnung kaufen können und es gibt andere.
Tendenziell gehören die Mitglieder der "Deutschen Minderheit" der ersten Gruppe an. Dieses Wasser auf die Mühlen des deutsch-polnischen Konflikts dreht das Rad ständig weiter. Deshalb sollte bei den Kontakten und Austauschprogrammen zur deutsch-polnischen Verständigung darauf geachtet werden, daß diese Ungleichheit nicht verstärkt oder übergangen wird. Hier kann ein Stück Sozialismus versucht werden. Die "Deutsche Minderheit" ist ein Ausdruck davon, daß es die Mechanismen des Rassismus gibt und steht einer Lösung dieses Problems im Weg.