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Schritte zur konkreten Utopie einer friedlichen Welt am Beispiel der Kriege auf dem Balkan und im Nahen Osten
Die Aktion "Ferien vom Krieg" im Sommer 2002
vonAnfang September ging die Aktion "Ferien vom Krieg 2002" zu Ende. Seit neun Jahren organisiert das "Komitee für Grundrechte und Demokratie" Freizeiten für Kinder und Begegnungen zwischen jungen Menschen aus Kriegsgebieten, die durch private "Ferienpatenschaften" finanziert werden. Über 15.000 Kinder, Jugendliche und ihre BetreuerInnen, die meisten sind als Flüchtlinge und Waisen Opfer der Balkankriege, haben seitdem zwei Wochen mit ihren angeblichen Feinden an einem Tisch gesessen, gemeinsam gelacht, miteinander gesprochen und manchmal auch getrauert.
Im Mittelpunkt der Aktion "Ferien vom Krieg" standen in diesem Sommer drei Gruppen mit insgesamt 45 Israeli und 45 Palästinensern, die den Umweg über Deutschland nehmen mussten, um miteinander in Kontakt zu kommen. Das war bei den Vorbereitungen ein halbes Jahr lang eine ständige Zitterpartie, denn die Kriegsspirale drehte sich fast täglich. Auf beiden Seiten stieß das Projekt auf Skepsis: Die Zeiten des Redens und Verhandelns seien vorbei! Es gäbe nur noch wenige Menschen, die im Dialog eine Perspektive sähen! Insbesondere junge Menschen gingen ein hohes Risiko ein, denn auf beiden Seiten könne die Begegnung als "Kollaboration mit dem Feind" denunziert werden und negative Folgen haben, für die Palästinenser auch existentiell. Doch dann gab es plötzlich mehr junge Menschen, die unter großen Schwierigkeiten eine solche Begegnung wünschten, als wir hätten finanzieren können. Die erfreuliche Unterstützung des Projektes durch deutsche Diplomaten in Palästina, Israel und Jordanien ist vermutlich auch der Tatsache geschuldet, dass in diesem Sommer keine anderen Begegnungen von Gruppen aus Israel und Palästina stattgefunden haben, nicht in Deutschland - noch sonstwo!
Es ist schwierig, ein allgemeines Resumee zu ziehen, denn die Prozesse in den drei Gruppen verliefen sehr unterschiedlich. An allen drei Begegnungen nahmen Palästinenser aus der Westbank teil, die auf abenteuerliche und gefährliche Weise die Ausgangssperre umgangen hatten. Einige der israelischen TeilnehmerInnen gehören zu den Verweigerern des Militärdienstes in den besetzten Gebieten, die gerade in diesen Tagen von Scharon als "Vaterlandsverräter" gebrandmarkt wurden und noch schärfer verfolgt werden sollen. Sie wollten den Druck, der in oder auf ihrer Familie lag, nicht noch durch den Vorwurf der "Kollaboration mit dem Feind" verstärken. Noch größere Angst vor Verfolgung hatten einige der Palästinenser. Nachdem die rudimentären staatlichen Strukturen durch die israelischen Angriffe auf die Verwaltungen in Palästina zerstört wurden, herrscht dort Willkür.
Der erste Tag begann mit einer "Aufwärmphase" durch sozialpädagogische Vertrauensspiele und einem Jonglage-workshop. Mitten in die vorsichtig sich öffnende Stimmung platzte die Nachricht von dem israelischen Luftangriff auf einen Hamas-Führer in Gaza, bei dem fünfzehn Kinder und Erwachsenene getötet wurden, darunter auch Bekannte von TeilnehmerInnen. Die palästinensische Gruppe richtete einen Trauerraum ein und zog sich zurück, die israelische setzte sich betroffen und ratlos zusammen. Zur Überwindung der anfänglichen Lähmung trugen vor allem zwei in Israel lebende Palästinenser bei. Die Israeli gingen mit unsicheren Mienen zu der Trauerfeier. Die PalästinenserInnen nahmen die anderen verhalten auf. Die zunächst etwas gespannte Stimmung löste sich allmählich in ein inniges mitfühlendes Zusammensein. Als Abschluss des Rituals tranken alle einen Schluck starken schwarzen, mit Kardamom gewürzten Kaffee.
Das war für alle Beteiligten ein aufwühlender Einstieg in die Diskussionen, die dann von dem Bemühen um Verständigung geprägt waren. In der zweiten Woche des Seminars kam die Revanche für den Angriff in Gaza, nämlich das Selbstmordattentat in der Hebrew Universität in Jerusalem. Einige der jüdischen und arabischen Israeli studieren dort. Die betroffene Cafeteria ist ein Treffpunkt arabischer Studenten. "Warum ausgerechnet dort?" fragte eine palästinensische Israelin. "Warum gehen Euch diese Selbstmord-Kommandos erst unter die Haut, wenn möglicherweise Palästinenser dabei sterben?" fragten die Israeli betroffen zurück.
Die Spannung zwischen diesen beiden "unter die Haut" gehenden Ereignissen stiftete - bei allen Meinungsverschiedenheiten - eine dichte Verbundenheit zwischen den TeilnehmerInnen. Bei den meisten gab es auch in der freien Zeit und bei Ausflügen keine Berührungsängste.
In der zweiten Gruppe kam die bekannte Friedensschule "Neve Shalom - Wahat al Salam" mit VertreterInnen aus der palästinensischen Friedensbewegung zusammen. Äußerlich war kaum auszumachen, wer von wo kam. Die latente Spannung wurde deutlich, als die palästinensischen Jugendlichen einen "kulturellen Abend" gestalten wollten und dabei die Angriffe der Israelis szenisch darstellten: Ein Flüchtlingslager, die Leibesvisitationen auf den Straßen, die Hausdurchsuchungen, die Erschießung einer schwangeren Frau auf dem Weg ins Krankenhaus, Schüsse auf Männer, die einen Verletzten retten wollten usw. Einige israelische TeilnehmerInnen reagierten betroffen: Sie versuchten zu erklären, dass sie selbst die Okkupation ablehnen. Sie wurden in die Defensive gedrängt und entschuldigten sich für Dinge, die sie selbst politisch kritisieren. Andere reagierten mit ungläubiger Ablehnung und verteidigten ihre Regierung im Kampf gegen den Terrorismus und die Selbstmord-Attentäter - vielleicht loyaler als sie es ohne diese provokative Vorführung getan hätten. Die Gefühle waren danach aufgewühlt und die Diskussionen heftig.
Bei der inhaltlichen Seminararbeit ging es u.a. um die unterschiedliche Sichtweise der jüngsten Geschichte. Was für die Israelis der Feiertag zur Staatsgründung ist, bedeutet für die Palästinenser das Trauma der Vertreibung und Entwürdigung (Nakba). Ein Aktivist aus der israelischen Friedensbewegung hat eine Initiative gegründet, um durch Gedenktafeln auf die Zerstörung arabischer Dörfer in Israel hinzuweisen, denn ohne Erinnerung und Schuldbekenntnis sei Aussöhnung nicht denkbar. Er zeigte einen kurzen Film über die Anbringung solcher Gedenktafeln, der die Jugendlichen beider Seiten tief beeindruckt hat.
Die Atmosphäre in der dritten Gruppe war lange kühl bis feindlich. Die PalästinenserInnen traten - real und symbolisch - anfangs immer als geschlossene Einheit mit dem Palästinenserschal auf. Einige hielten es ausschließlich für ihre Mission, in den Kleingruppen den Israelis das lange Leiden ihres Volkes eindringlich zu schildern, sie vermieden dabei jeden persönlichen Kontakt. Die Besuche im "Haus der Geschichte der BRD" und einer Gedenkstätte zum Nazi-Terror in Köln machten einige von ihnen betroffen, andere reagierten eher abwehrend. Sie wollten nur sich als Opfer sehen. Für die Wurzeln des Leidens der jüdischen Menschen wollten sie kein Verständnis entwickeln, auch nicht für ihre aktuellen Ängste vor Selbstmord-Attentaten. Das sei im Vergleich zu den israelischen Panzern eine schwache Waffe - und die einzige, die sie hätten. An dieser Frage weichte die Front dann aber auf. Einige aus der Gruppe lehnten die Selbstmordattentate prinzipiell ab, andere fanden sie nur legitim, wenn sie sich gegen israelische Militärposten richteten und nicht gegen Zivilisten.
Einige Mitglieder der israelischen Gruppe schilderten daraufhin die Militarisierung ihrer Gesellschaft, in der auch viele soziale Leistungen von der Absolvierung des Militärdienstes abhingen, und wie schwer es sei, sich dem sozialen Druck zu entziehen und den Einsatz zu verweigern. Manche haben sich ärztlich als verrückt erklären lassen, sie können nun weder den Führerschein machen, noch haben sie Aussicht auf Berufe im öffentlichen Dienst. "Ich war Soldatin, weil ich es musste, sonst könnte ich niemals Lehrerin werden", sagte eine junge Frau, "ist es legitim, mich deshalb umzubringen?" Ein Palästinenser entgegnete erregt: "Eure Panzer stehen seit Monaten vor unserem Haus, ein Kanonenrohr ist durch die Wand gebohrt und reicht bis in unsere Küche. Ein kleiner Junge aus der Nachbarschaft wurde erschossen, weil er während der Ausgangssperre über die Straße lief, dafür bist Du mitverantwortlich!"
In den letzten Tagen war an einigen kleinen Ereignissen zu beobachten, wie das Eis langsam zu schmelzen begann: Die Sitzordnung beim Essen lockerte sich. Besonders einige der palästinensischen Frauen entzogen sich dem Gruppendruck und ließen sich auf persönliche Gespräche ein. Aber auch die Männer spielten am Kicker, beim Tischtennis und beim Billard zusammen.
Der Text wurde von der Redaktion stark gekürzt. Die vollständige Fassung kann angefordert werden beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln, Tel.: 0221-9726930, Fax: 9726931, email: grundrechtekomitee [at] t-online [dot] de