Menschenwürde und -rechte in Zeiten der Gentechnik

Die Biomedizin-Konvention des Europarates

von Ursel Fuchs
Schwerpunkt
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"Die rapiden Entwicklungen vor allem in der Gentechnik erzeugen Situationen, die bislang ohne Beispiel waren. Als Folge müssen die bisher gültigen Normen und Standards revidiert oder neu eingerichtet werden, und zwar sowohl aus rechtlicher wie aus ethischer wie aus sozialer Perspektive... Die Ausarbeitung eines normgebenden Rahmenwerks bedeutet eine Revision der Konzepte von Leben, von individuellem Wohlergehen, von Erbschaft und Besitz und von Verantwortlichkeit."

Dieser Text der juristischen Fakultät der Universität Montreal (1995) macht klar, wie eng "normgebende Rahmenwerke" wie die Biomedizin-Konvention des Europarates oder die UNESCO-Declaration zum menschlichen Genom mit Gentechnik bis hin zum Klonen verbunden sind, quasi wie Kind und Mutter. Sie wurden über Jahre parallel und zeitgleich erarbeitet zum internationalen Human Genome Project und sind zeitgleich mit dem Beginn seiner "Nutzungsphase" rechtskräftig geworden bzw. proklamiert.

Die Inhalte dieser Papiere betreffen potentiell alle Menschen, vom neugeborenen bis zum sterbenden Menschen. Und wenn die Verfasser bewusst darauf verzichten, zu definieren, wer "Mensch" ist und wer "jeder", und diese Fragen den Nationen bei Anwendung der Konvention überlassen bleiben, entstehen ganz generell definitorische Freiräume.

Die Biomedizin-Konvention erlaubt:
 

  •  Artikel 12: Prädiktive Gentests - lt. Erläuterndem Bericht auch an Embryonen - zur Prognose von genetischen Krankheiten, Dispositionen und Anfälligkeiten, u.a. für die gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung. Ursprünglich vorgesehener Datenschutz wurde in der Endfassung (Nov. 96) vollständig eliminiert.
     
  •  Artikel 13: Eingriffe in die menschliche Keimbahn nicht nur zu diagnostischen und therapeutischen sondern auch zu präventiven Zwecken - und nur, "... wenn der Eingriff nicht darauf abzielt, irgendeine Veränderung des Genoms von Nachkommen herbeizuführen". Keimbahntherapie ist lt. Embryonenschutzgesetz verboten. Forschung zur Keimbahntherapie ist lt. Erläuterndem Bericht bei Zustimmung einer Ethikkommission erlaubt.
     
  •  Artikel 14: eugenische Selektion bei geschlechtsgebundenen Erbkrankheiten durch Tests ebenso wie durch Einstieg in die (lt. Embryonenschutzgesetz in Deutschland verbotene) Präimplantationsdiagnostik (PID).
     
  •  Artikel 17.2: fremdnützige Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen: Neugeborene, Kinder, Schwerstkranke, Alzheimer- und Demenzkranke, geistig Behinderte, Bewusstlose, Unfallopfer, Komapatienten und Sterbende bei weit unklar und vage definiertem "Forschungsziel" und undefiniertem "minimalem Risiko" und "minimaler Belastung". Solche Forschung ist in Deutschland bislang verboten.
     
  •  Artikel 20, Erläuternder Bericht Nr. 124: die Entnahme von regenerierbarem Gewebe von nicht-einwilligungsfähigen Menschen zu Transplantationszwecken, wobei die Erläuterungen zur Konvention vorsehen, dass es sich "zunächst" um Knochenmark handele, aber andere Optionen, d.h. auf Haut oder Lebergewebe, ausdrücklich offengehalten werden sollen (Art. 20, Erläuterung Nr. 124)
     
  •  Artikel 18: ein Verbot, Embryonen eigens für verbrauchende Embryonenforschung herzustellen, wohl aber Erlaubnis zu dieser Forschung nach in-vitro-fertilisation (IVF), die für die bislang verbotene Keimbahn- und Klonierungsforschung unerlässlich ist.
     

Ein sogenanntes Klonverbot (1997) schließt lediglich das sogenannte reproduktive Klonen aus, d. h., dass geklonte Menschen geboren werden, verbietet jedoch nicht wirksam das umstrittene Embryonenklonen wie das deutsche Embryonenschutzgesetz.

Brisanz und Reichweite dieser Themen sollten größtmögliche Transparenz und alle Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung selbstverständlich machen. Jedoch: Die Entwurfspapiere wurden fünf Jahre lang hinter verschlossenen Türen erarbeitet.

Um die Jahreswende 1993/94 gelangten Gründungsmitglieder der Internationalen Initiative gegen die geplante Bioethikkonvention in den Besitz des bis dahin geheimgehaltenen Entwurfs dieser Konvention und entschieden sich in einer "demokratischen Indiskretion", dieses Papier in die Öffentlichkeit zu bringen, im Vorfeld des mit anderen Veranstaltern vom Institut für Wissenschaft und Ethik Bonn am 4. Mai 94 gehaltenen Symposiums "Biomedizinische Ethik in Europa". Auf der Pressekonferenz wurden fragenden Journalisten unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der Konvention Auskünfte über ihre Inhalte verweigert. Die Mitglieder der Initiative konnten dem Mangel mit ihrem Material abhelfen. Über 2,5 Millionen Menschen protestieren seither gegen die Biomedizin-Konvention.

Proteste und öffentliche Debatte führten dazu, dass die Konvention bislang von Deutschland weder unterzeichnet noch ratifiziert werden konnte. Nach der Ratifizierung durch fünf Europaratsnationen erhielt die Konvention Rechtskraft.

Auf dem Spiel stehen Leib und Leben, d. h. die Frage der Verfügbarkeit von Menschen. Es geht um Menschenrecht und Menschenwürde. Diese Regelungsversuche per Bioethik-Konvention des Europarates, UNESCO-Deklaration zum menschlichen Genom und Patentierungsrichtlinie des Europaparlaments liefen zeitlich parallel zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms, zu zunehmender Verwirklichung von Utopien in der Hirnforschung und zum experimentellen Gentransfer bei somatischer Gen-"therapie", die 1999 in den USA ein Desaster mit Todesfällen und Erkankungen von Versuchspersonen erlebt. Gentests und die sog. Reprogenetik (Reproduktionsmedizin plus Genetik) sind die Flaggschiffe der Humangenetik.
 

Die Vorbereitungen für unsere Zukunft laufen weitgehend undurchschaubar für die Öffentlichkeit. Und das nicht nur innerhalb, sondern vor allem auch außerhalb der Politik, die dann oft nur noch - mehr oder weniger informiert - ihr Placet zu geben hat zu dem, was vorgedacht ist in der Wissenschaft, in der neben den Biologen die Philosophen oft als Repräsentanten neuer Ethik oder utilitaristischer Bioethik die international tätigen Vordenker sind, die Einfluss nehmen auf Gremien in der Grauzone zwischen Regierung und Parlament, in Ausschüssen, Kommissionen, Instituten.

Für Menschenrechtsfragen zuständig ist der Europarat. Er delegiert diese Aufgaben in Ausschüsse, in die die Regierungen je nach Bedarf Vertreter entsenden. So wurde die Biomedizin-Konvention jahrelang an Öffentlichkeit und Parlamenten vorbei erarbeitet, in einem 80köpfigen Lenkungsausschuss, dem Ministerialbeamte und Professoren angehören.

Dieses Konstrukt dient üblicherweise als Entschuldigung für die Geheimhaltung z. B. auch der Entwürfe der Biomedizin-Konvention des Europarates. Dieser Mangel an Transparenz hat Tradition. Vor 13 Jahren empfahl CDU-Forschungsminister Riesenhuber deutschen Wissenschaftlern, "... die ethische Diskussion um Gentechnik und Embryonenforschung strikt intern zu führen, da sonst Grundsatzdiskussionen ausbrechen könnten." Alles übrige solle dann in einer Akzeptanzdiskussion geregelt werden. Der Vorsitzende des Lenkungsausschusses Octavi Quintana Trias: "Die Konvention ist vertraulich.... Aber diese Entscheidung, die Entwürfe geheim zu halten, ist eine Entscheidung der beteiligten Regierungen. Einige von ihnen wünschen nicht, dass ihre Instruktionen schwarz auf weiß bekannt werden. Ich will das jetzt nicht weiter kommentieren, und überlasse es Ihnen, Schlüsse daraus zu ziehen."

Zur Konvention gehören als integrale Bestandteile fünf Protokolle, in denen sowohl die brisantesten Themen wie auch Details zu ihrer Anwendung zu finden sind: zur Embryonenforschung, zur Organtransplantation, zur Transplantation von embryonalen und fetalen Organen, zur biomedizinischen Forschung am Menschen, zum genetischen Screening und zur Weitergabe von Gentest-Ergebnissen auch an Stellen außerhalb des Gesundheitswesens. Außer zweien - einem ad hoc Protokoll zum Klonen und zur Transplantation - ist keins davon bislang zugänglich, auch nicht den Parlamentarieren, die dies ausdrücklich seit Jahren fordern.
 

Der Soziologe Ulrich Beck: "Das Ende der Demokratie ist kein Knall, sondern der leise Übergang in eine autoritäre Technokratie, in der der citoyen - der Bürger - vielleicht gar nicht bemerkt, dass die Kernfragen des Überlebens sich längst seiner Mitwirkung entzogen haben."

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Ursel Fuchs ist freie Journalistin und Mitbegründerin der Internationalen Initiative gegen die geplante Bioethik-Konvention des Europarates.