- "ein exzellenter Produzent konven­tioneller Waffen"

Die brasilianische Rüstungsindustrie

von René Luria
Schwerpunkt
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Rüstungsproduktion ist kapital- und technologieintensiv. Sie schafft vergleichsweise wenig Arbeitsplätze und bindet Fachkräfte, die in der zivilen Produktion dann fehlen. Produktion für den militärischen Bedarf verstärkt Entwicklungsmuster der Importersatz-Industrialisierung, sie verschärft den Stadt-Land-Gegensatz und den Konflikt zwischen den Lebensinteressen der Armen und dem Profitstreben der Reichen in der Dritten Welt.

In Ländern wie Brasilien ist Rüstungsproduktion nur möglich, wenn komplexe Maschinen, Ersatzteile und spezielle Vorprodukte importiert werden. Ein solcher Import aber verschlingt Devisen, belastet die Zah­lungsbilanz und trägt zur Auslandsverschuldung bei, die ihrerseits den Staatsbankrott bewirken kann und die soziale Verelendung vorantreibt. Brasilien konnte allerdings durch den Export von Waffen, unter an­derem in den Irak, auch Devisen erwirtschaften. Daß solche Geschäfte den Frieden auf das schwerste gefährden, zeigte in jüngster Zeit der Krieg am Golf, in dem auf irakischer Seite Waffen aus Brasilien zum Einsatz kamen.

Der nachfolgende, einer einschlägigen Militärzeitschrift entnommene Beitrag ignoriert solche Zusammenhänge. Immerhin gibt er, wenngleich in teilweise zynisch anmutender Insidersprache, einen Überblick über die "Leistungsfähigkeit" der brasilianischen Rüstungsbranche:

Obwohl die brasilianische Rüstungsin­dustrie technologisch vergleichsweise einfach arbeitet, leistet sie in der Pro­duktion von konventionellen Waffen Herausragendes. Im vollen Bewußtsein des Mangels an fortgeschrittener Tech­nologie bemüht sich Brasilien, das Ni­veau der großen Industriemächte zu er­reichen. Aber es wird geplagt von fort­währenden Finanzschwierigkeiten -- vor allem infolge seiner immensen Aus­landsschulden, die seine Entwicklung behindern.

1000 Firmen
Eines von tausend brasilianischen Unter­nehmen ist direkt oder indirekt in die Produktion militärischer Ausrüstung verwickelt -- insgesamt 1000 Firmen. Bei den meisten handelt es sich um Pri­vatunternehmen; Staatsbetriebe decken ihren Kapitalbedarf teilweise auf dem Privatsektor. Einige von ihnen verkau­fen ihre Produkte an die brasilianischen Streitkräfte, während andere ihre Waf­fen exportieren. Die meisten von ihnen produzieren sowohl für den zivilen als auch für den militärischen Markt.

Die Rüstungsfirmen sind überall in der südlichen Hälfte des Landes angesiedelt, die meisten von ihnen allerdings befin­den sich im Bundesstaat Sao Paulo so­wie, in geringerem Maße, in Rio de Janeiro, Minas Gerais und Rio Grande do Sul. Oft nutzen sie ausländische Technologien. so fertigt D.F. Vascon­celleos in Lizenz Nachtsichtgeräte des britischen Pilkington-Konzerns, wäh­rend Imbel in Lizenz elektronische Zün­der des schwedischen Rüstungsgiganten Bofors sowie Sturmgewehre produziert. TECNASA, das lange Zeit mit dem französischen Konzern Thomson-CSF zusammenarbeitete, hat jetzt enge Ver­bindungen zum britischen Elektronikrie­sen Plessey. Das französische Luftrü­stungsunternehmen A‚rospatiale ist ein wichtiger Kapitaleigner von Helibr s, das Hubschrauber der französischen Firma in Lizenz herstellt.

Bisweilen kommt es vor, daß Pro­gramme zur Verbesserung von Ausrü­stung wegen Geldmangels nicht umge­setzt werden können -- so etwa bei 155mm-Geschützen, die Brasilien wäh­rend des Krieges zwischen Irak und Iran in großer Zahl an den Irak lieferte. Ein Projekt, das vorsah, mit italienischer Unterstützung eine modernere Version der Haubitze zu produzieren, kam über das Planungsstadium nicht hinaus.

Die brasilianische Rüstungsindustrie wird durch den Gesetzeserlaß 2300 be­günstigt, der vorschreibt, daß die brasi­lianischen Streitkräfte, soweit möglich, die von ihnen benötigte Ausrüstung auf dem lokalen Markt kaufen müssen. Da­her rührt das trotz der Finanzprobleme realisierte beträchtliche Wachstum die­ser Branche.

Einer der bedeutendsten Wachstums­faktoren der brasilianischen Rüstungs­industrie sind ihre Forschungsaktivitä­ten. Jede der drei Teilstreitkräfte be­treibt ein modernes Forschungszentrum, das an der Auswahl für die Entwicklung neuen Geräts beteiligt ist. Das größte dieser Zentren ist das CTA (Technologiezentrum der Luftwaffe), dessen Haupteinrichtungen in Sao Jose dos Campos im Bundesstaat Sao Paulo liegen. Dieses Zentrum ist sowohl Uni­versität als auch Forschungsinstitut, es schließt das ITA (Institut für Luftfahrt­technologie), das angehende Luftfahrt­ingenieure ausbildet, ein. Das CTA überwacht zudem andere Zentren wie das PEA für Elektronikforschung, das PMO für Flugzeugingenieur-Wissen­schaft, das PMR für Erforschung neuer Materialien und das IAE für Raum­fahrttechnologie.

Das IFI (Industrieförderungsinstitut) bietet Unternehmen, die sich in der Pro­duktion von Luftfahrtkomponenten en­gagieren wollen, finanzielle Unterstüt­zung. Jedes neue Produkt in diesem Be­reich wird vom CTA geprüft, das außer­dem Grundlagenforschung über neue Technologien betreibt, bevor es sie an die Privatindustrie weitergibt.

Das CTEx (Armee-Technologiezen­trum) überwacht das IME (Militär-Ma­schinenbauinstitut) in Rio de Janeiro, das Ingenieure für landgestützte Waffen ausbildet. Das IME betreibt For­schungslabors und Testgebiete, nament­lich in Marambaia, wo Feldübungen mit Artilleriegeschützen, Raketenwerfern und Mörsern durchgeführt werden. Das CTEx entsendet Militäringenieure in Privatfirmen, gewährt technische Unter­stützung, prüft neue Produkte und ver­sorgt die Herstellerfirmen mit Qualitäts­siegeln, die oft Auslandsmärkte für ihre Erzeugnisse öffnen helfen.

Das IPqM (Marine-Forschungsinstitut), dessen Haupteinrichtungen auf der Ilha do Governador im Bundesstaat Rio de Janeiro liegen, betreibt Forschungen auf den Gebieten der Waffenentwicklung und Elektronikausrüstung. Es arbeitet mit dem INEM (Nationales Institut für Ozeanographische Studien) zusammen. Brasilianische Marine-Ingenieure und -Forscher haben über Jahre Nuklear- und Computer-Wissenschaft sowie Kriegs­schiffdesign betrieben. Ausländische Produkte, die die brasilianische Marine erwerben möchte, werden vom IPqM geprüft.

Marinetechniker koordinieren die Ent­wicklung eines Atomreaktors für U-Boote und Überwasserkampfgerät. Diese Forschung wird gemeinsam mit dem IPEN (Nuklear-Forschungsinstitut) und dem IPT (Technologisches For­schungsinstitut) in Sao Paulo durchge­führt. Die Marine hat Pläne entwickelt, Atomreaktoren nahe Sorocaba im Bun­desstaat Sao Paulo zu bauen.

Viele Privatfirmen unterhalten eigene Forschungszentren, bei denen oft Auf­träge der Streitkräfte eingehen. So ha­ben TECNASA und ELEBRA die Luft­waffe bei der Entwicklung von Radar­anlagen unterstützt, während Bernardini, EN­GESA und Motopecas gepanzerte Fahr­zeuge entworfen haben. Avibr s und Orbita entwickeln, in enger Zusam­menarbeit mit der Luftwaffe, verschie­dene Raketentypen.

Nach zwanzig Jahren eifriger Entwick­lungsanstrengungen ist Brasilien mit­lerweile zum achtgrößten Waffenex­porteur der Welt aufgestiegen. Die bra­silianische Gesetzgebung schreibt für Rüstungsexporte nur geringe Beschrän­kungen vor, und wichtige Hersteller be­sitzen ein weites Netzwerk von Ver­kaufs- und Kundendienstagenten. Die brasilianischen Streitkräfte unterstützen ihrerseits die Entwicklung neuer Waffen durch Grundlagenforschung; sie beur­teilen die Qualität neuer Produkte und erteilen kleine Aufträge, um einen An­schub für Serienproduktion zu geben.

Wie alle anderen Exportländer veröf­fentlicht Brasilien keine exakten Zahlen über Waffenausfuhr. Militärische Uni­formen wurden als "industrielle Tex­tilien" exportiert, Gewehrläufe als "verstärkte Stahlrohre", Panzerräder als "mechanische Komponenten", Mili­tärambulanzen als "medizinische Ausrü­stung" und militärische Transportflug­zeuge als "Lastflugzeuge". Offizielle Waffenexportzahlen bewegen sich bei einer Milliarde US-Dollar pro Jahr.

Brasilien führt militärische Ausrüstung in etwa 60 Staaten aus; davon tritt min­destens die Hälfte regelmäßig als Käufer auf. Manchmal werden die Waffen indi­rekt über Drittländer verkauft. So haben beispielsweise US-Firmen große Men­gen von Kleinwaffen in Brasilien er­standen und in alle Welt geliefert.

Brasilianische Rüstungsgüter werden meist in arabische Länder, nach Latein­amerika oder Europa exportiert. Irak, Libyen und Ägypten sind Brasiliens be­deutendste Auslandskunden. Sie kauften gepanzerte Fahrzeuge, Granaten, Muni­tion, Raketen, Lkws und Flugzeuge von Brasilien; Ägypten fertigt überdies das brasilianische Leichtflugzeug Tucano in Lizenz.

Europäische Länder beziehen überwie­gend Kleinwaffen und Flugzeuge von Brasilien. Frankreich erwarb das Xing£ Turboprop-Flugzeug für die Luftwaffe, die britische Air Force wählte die Tu­cano als ihr Trainingsflugzeug aus. La­teinamerikanische Staaten kaufen haupt­sächlich Flugzeuge, Landfahrzeuge, Kleinwaffen, Munition und Telekom­munikations-Ausrüstung von Brasilien.

Neuerdings ist Brasilien auch am asiati­schen Markt interessiert, der schwerer zu erobern ist als die übrige Dritte Welt. Um in Asien Erfolg zuhaben, wird Bra­silien große Anstrengungen unterneh­men müssen, bei den fortgeschrittenen Technologien aufzuholen -- sie bilden den Schwachpunkt seiner Rüstungsin­dustrie.

aus: Entwicklungspolitische Korespo­dens 2/91

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