Von Stadtfest bis Modellbau-Messe

Die Bundeswehr wirbt um Nachwuchs und Akzeptanz

von Joachim Schramm
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Im Herbst 2018 legte die damalige „Verteidigungs“ministerin von der Leyen den aktuellen Masterplan zur Entwicklung der Bundeswehr vor. Es ist vor allem ein Aufrüstungsplan: Die Bundeswehr soll in allen Teilbereichen, Marine, Heer und Luftwaffe, aufrüsten, und diese Teilstreitkräften sollen in Systemverbünden stärker zusammenarbeiten, wie es moderne Kriegsführung aus militärischer Sicht notwendig macht. Es sollen neue, stark bewaffnete Verbände aufgestellt werden. Damit werden auch mehr Soldat*innen benötigt: von jetzt 185.000 soll die BW auf 198.000 Soldat*innen aufgestockt werden.

Seit der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr Ende der 2000er Jahre zunehmend an Zustimmung in der Bevölkerung verlor und seitdem mit dem Ende der Wehrpflicht um freiwillige Soldat*innen geworben werden muss, hat die Bundeswehr ihre Werbetätigkeit massiv ausgeweitet. Propaganda für die Tätigkeit der Armee und Rekrutierung sind seither zwei zentrale Aspekte des Auftretens der Bundeswehr nicht nur an Schulen, sondern allgemein in der Öffentlichkeit. Dies gilt natürlich besonders dann, wenn der Personalbestand der Armee erhöht werden soll.

Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 hat die Bundeswehr gesteigerten Werbebedarf, um genug Freiwillige und damit potentielle Berufssoldat*innen zu gewinnen. Hier sah die damals vom Parlament beschlossene Personalplanung vor, dass die 170.000 Berufs- und Zeitsoldat*innen durch 5.000 bis 15.000 freiwillig Wehrdienstleistende ergänzt werden. Dazu braucht man im Jahr zwischen 10.000 und 30.000 Bewerber*innen. Die Erfahrungen nach einigen Jahren Freiwilligendienst zeigen, dass ein Drittel der Rekrut*innen den Dienst in den ersten drei Monaten beendet. Das bedeutet, dass die Bundeswehr massive Probleme hat, die gewünschte Zahl von Freiwilligen zu erreichen. Noch dramatischer sieht es aus, wenn man betrachtet, dass die Bundeswehr jedes Jahr einen Ergänzungsbedarf von 16.000 Soldat*innen im Bereich der Berufs- und Zeitsoldat*innen hat. Nur 20% der Freiwilligen bleiben und werden am Ende Zeitsoldat*innen. Der aktuelle Bericht des Wehrbeauftragten nennt für 2019 einen Bestand von 175.278 Berufs- und Zeitsoldat*innen sowie 8.723 Freiwilligen, ist also deutlich hinter den Zielen zurück. (1)
Bei den Werbebemühungen der Bundeswehr spielt das Einsatzfeld Schule nach wie vor eine große Rolle. Doch auch im Umfeld der Schulen und allgemein in der Öffentlichkeit ist die Armee mit großem Werbeaufwand aktiv. Im Umfeld der Schulen sind es die Berufsbildungsmessen, bei denen für den Dienst bei der Bundeswehr geworben wird, häufig schon bei 8-Klässlern. Auch Orientierungsveranstaltungen für angehende Studierende sind Ort der Bundeswehrwerbung.

Doch über diesen Bereich der schulischen und universitären Ausbildung hinaus versucht die Armee in immer weitere Bereiche der Öffentlichkeit vorzudringen. So ist die Armee auf zahlreichen Messen präsent, sei es die schulbezogene Bildungsmesse „didacta“, jugendorientierte Messen wie die „gamescom“ oder die „YOU“ aber auch ganz allgemein Messen, bei denen die Bundeswehr ein lohnenswertes Publikum erwartet. Ein weiterer Werbebereich sind Stadt- und Volksfeste, auch die jährlichen Tage der Bundesländer (NRW-Tag, Hessentag etc.). Seit 2015 veranstaltet die Bundeswehr außerdem noch ihren eigenen Werbetag, den „Tag der Bundeswehr“, jeweils Mitte Juni an 16 Standorten. Allein im ersten Quartal 2020 ist die Bundeswehr auf 282 Messen und Ausstellungen aktiv, von Berufsbildungsmessen bis zur Leipziger Messe „TATTOO & LIFESTYLE“. Dabei mischt sich die Armee entweder unter ausstellende Arbeitgeber*innen und fährt mit ihrem „Info-Truck“ vor oder aber drängt sich auch gerne in die sogenannte Blaulichtmeile. So wird der gemeinsame Auftritt von Hilfsorganisationen von Polizei bis Feuerwehr genannt. Um hier mitmachen zu können, werden dann meistens Fahrzeuge der Militärpolizei aufgeboten, ein Motorrad mit Blaulicht oder auch ein entsprechend ausgestattetes Sanitätsfahrzeug. Da ist die Armee Meister im Tarnen und Täuschen. Denn weder ist die Bundeswehr ein Arbeitgeber wie alle anderen noch ist sie eine Hilfsorganisation für die Allgemeinheit. Sie ist und bleibt eine Armee, deren Mitglieder zum Töten ausgebildet werden, die im Einsatz töten und getötet werden können. Doch das wird in der Selbstdarstellung der Bundeswehr durch bunte Bilder von Technikeinsatz und Abenteuerambiente überdeckt.

Auch die Arbeitslosigkeit junger Menschen versucht die Bundeswehr für sich zu nutzen. Regelmäßig bietet sie Termine in Jobcentern der Städte und Kreise an, allein 184 Termine im ersten Quartal 2020.

Ein weiterer Bereich öffentlicher Auftritte der Armee sind Konzerte des Bundeswehr-Musikcorps oder der Bundeswehr Big-Band. 50 Auftritte sind hier im ersten Quartal des Jahres geplant. Dabei werden diese Konzerte häufig mit einem karitativen Zweck verbunden. Die Einnahmen fließen an eine lokale oder überregionale bedürftige Einrichtung. Doch der Unterhalt dieser Musikgruppen kostet den*die Steuerzahler*in mehr Geld, als für den guten Zweck hereinkommt. Da wäre es sinnvoller, Big Band und Musikcorps aufzulösen und das gesparte Geld direkt dem guten Zweck zuzuführen. Doch dann würde der Armee ja ein wichtiger Aspekt der Imagepflege fehlen. (2)

Bei Berufsbildungsmessen und Jobcenter-Terminen sind es die ca. 400 Karriereberater*innen, die für den Dienst in der Armee werben. Sie sind in der Darstellung der Dienstgrade, der Einsatzfelder und der Soldstufen geschult.
Diese Versuche der Bundeswehr, sich als integrativer Bestandteil der Gesellschaft zu präsentieren, bleiben nicht unwidersprochen. Immer wieder gibt es phantasievolle Protestaktionen verschiedener Gruppen, die diesen Anspruch der Armee zurückweisen. Das ist auch dringend notwendig, nicht nur um das unseriöse Werben um jungen, z.T. auch minderjährigen Nachwuchs zu stoppen: Je mehr sich die Armee als anerkannter Bestandteil der Gesellschaft in Szene setzen kann, umso mehr wird die Politik Erfolg haben, die für diese Armee mehr Geld einfordert, um so ihren Aufrüstungskurs fortsetzen zu können.

Anmerkungen
1 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/165/1916500.pdf (Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2019, S. 21)
2 https://www.ulla-jelpke.de/2019/12/bundeswehr-reklametermine-im-ersten-q...

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt