Die Bundeswehrverwaltung stören?!

von Christian Herz
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Jährlich werden zwischen drei- und fünfhunderttausend Jugendliche erstmals durch die Militärverwaltung geschleust. Hinzu kommt das Verwalten von mehreren hunderttausend "Altfällen". Die Militärverwal­tung hat also viel zu tun. Sie könnte noch viel mehr zu tun haben, wenn sie konsequent behindert, gestört und getäuscht würde. Denn genauso wie die Militärs benutzen die Bundeswehrverwalter die militärischen Mittel der Täuschung und der Lüge. Warum also sollen ihre Opfer allzeit ehrlich und überdies gehorsam sein?

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Wehrpflicht ab, und immer mehr wollen drastische Abrüstungsmaßnahmen. Die meisten Wehrpflichtigen jedoch wehren sich nicht gegen die vorbereitenden Maßnahmen zur Einberufung. Selbst die Kriegsdienstverweigerer lassen gedan­kenlos die Erfassung, die Musterung und manchmal gar die Eignungs- und Verwendungsprüfung über sich ergehen. Jeder aber kann sich wehren, seine ei­gene Würde verteidigen und eine kleine Abrüstungsmaßnahme einleiten. Eine breite Verweigerungswelle könnte die Rekrutierungskosten drastisch in die Höhe treiben.

Nehmen wir z. B. die Erfassung. Mit Hilfe der Erfassungsdaten werden die Wehrpflichtigen vorsortiert und nach dem Zeitpunkt Einberufbarkeit bearbei­tet. In Berlin reagierte über die Hälfte des ersten Jahrganges nicht auf die zu­geschickten Erfassungsbögen. Die Er­fassungsbehörde verschickte Mah­nungsschreiben, doch auch hierauf mel­deten sich nur wenige. Wer nun erwar­tete, daß die Behörden zu Zwangsmit­teln greifen, der irrte sich: Aufgrund der hohen Erfassungsverweigererzahl wurde auf Sanktionen verzichtet, stattdessen auf die weniger informativen Datensätze der Meldebehörden zurückgegriffen ("Zwangserfassung"). Wegen fehlender Informationen, welche Ausbildungen wann begonnen und beendet wurden, schlug die Vorsortierung fehl. Das volle Debakel offenbarte sich aber erst bei der Musterung, denn hier ist die faktische Anwesenheit der Wehrpflichtigen bei der Musterung vonnöten - und ohne Musterung kann nicht einberufen wer­den. Das machten sich diese zunutze: Zunächst wurden ihnen Ladungen zur Musterung per Postkarte geschickt. Es folgten Briefe mit Bußgeldandrohungen, unfreundlichere Drohbriefe und dann Einschreiben. Die beantworteten die Betroffenen mit zahlreichen Entschuldi­gungsgründen, worauf wieder einfache Briefe kamen, die antimilitaristisch verlorengingen. Deshalb folgten nieder­gelegte Schriftstücke, die jedoch wieder nur zu Entschuldigungen führten. Die Kreiswehrersatzämter warteten mit einer neuen Methode auf und boten zuerst wochenweise, später sogar monatsweise ihren Musterungsdienst an. Diese Dau­ermusterungstermine erschreckten zunächst einige, doch bald war auch dieses Mittel entschärft: Der Wehr­pflichtige läßt sich Zeit bis zur letzten Woche, und da bricht z. B. ganz plötz­lich der Zahnschmerz aus, der genau den letztvorgeschlagenen Musterungs­termin vernichtet. Da reichte es dem Kreiswehrersatzamt, es schickte "letzt­malige Ladungen" mit Androhung der polizeilichen Vorführung. Aber, aber! Ein letztmaliger Termin ist im Ge­setz nicht vorgesehen! Allerdings sollte nun qualifiziert entschuldigt werden, denn für juristische Überprüfungen der Vor­führungsanordnung braucht es triftige Gründe. Panikartig versuchten die Kreiswehrersatzämter, mit waghalsigen Anordnungen der polizeilichen Vorfüh­rung dennoch ihr Ziel zu erreichen. In vielen Fällen mußten sie zunächst auf­geben, da die Verwaltungsgerichte die Entschuldigungen anerkannten. Die Po­lizei mußte sich zurückziehen, das Spiel von vorne beginnen. Tausende aus je­dem Jahrgang beteiligten sich an diesem Spielchen. Die Militärs wiegelten vor der Presse ab, konnten aber die ersten Einberufungen erst mit einundeinhalb­jähriger Verspätung vornehmen. Inzwi­schen waren die nacherfassten Jahrgänge 1968 bis 71 hinzugekommen, die sich noch vehementer als die jüngeren Jahr­gänge wehrten, und nur so gelang die völlige Befreiung des Jahrgangs 1968, der ursprünglich ebenfalls eingezogen werden sollte. Momentan wird haupt­sächlich um die Jahrgänge 1969 bis 71 gekämpft. Alle 69er, die sich wehren, werden sich befreien können, und auch die 70er und 71er haben gute Chancen.

Die Musterungsverweigerung verur­sacht viel Arbeit, das Personal der Wehrbehörden muß aufgestockt werden, was extreme Kosten verursacht. Auch die Kosten für die Postzustellung, Amts­hilfeersuchen an die Polizei und juristi­sche Überprüfungen belasten den Mili­tärhaushalt. Sie werden aber von der Allgemeinheit zwangsweise mitge­tragen. Auch deswegen kann durch mas­senhafte Behinderungen des Rekrutie­rungsprozesses der stetig sin­kende Rückhalt der Bundeswehr in der Bevöl­kerung eindrucksvoll verdeutlicht wer­den.

Gerade die Kriegsdienstverweigerer sollten überlegt handeln, kein ernsthaf­ter Kriegsdienstverweigerer sollte sich dem Militär unterwerfen, um erst da­durch die Berechtigung zur Kriegs­dienstverweigerung zu erhalten. Nicht jeder kann und will total verweigern, aber jeder kann wenigstens die Erfas­sung boykottieren und die Mu­sterung und die Eignungs- und Verwendungs­prüfung verweigern.

Diese Verweigerungshandlungen sind - wenn nachgewiesen! - keine Straftaten sondern lediglich Ordnungswidrigkei­ten, also für das spätere Berufsleben folgenlos. Das Risiko einkommensan­gepaßter Geldbußen ist allerdings in Kauf zu nehmen.

Sicher ist, daß der Zivile Ungehorsam deutliche Wirkungen zeigt. Würde es gelingen, alle Kreiswehrersatzämter zu überlasten, würde das die Diskussion um die Ab­schaffung der Wehrpflicht stark beför­dern und am Image der Bundeswehr kratzen.

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Christian Herz ist Mitarbeiter der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär und Autor des Buches: Kein Frieden mit der Wehrpflicht.