Korea und Iran

Die Doppelkrise

von Karl Grobe
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Für überraschende Wendungen, deren Hintergrund sich nicht sofort erschließt, ist nicht nur Donald Trump bekannt. Auch Kim Jong Un kann da Einiges. Zur Neujahrsansprache im nordkoreanischen Fernsehen trat er nicht in der üblichen Parteiuniform auf, sondern im hellen Zivilanzug und mit Krawatte. Und er argumentierte nicht nur mit dem Atomknopf „immer auf meinem Tisch“, sondern er machte eine Reihe überraschender Angebote: die Reise einer Delegation aus Anlass der Olympischen Winterspiele in Südkorea, was Moon Jae Ins Regierung in Seoul sofort und gern annahm; Gespräche an der Demarkationslinie; Wiederaufnahme des Telefonverkehrs über die 2015 abgeschaltete einzige Direktleitung. Olympische Modalitäten wurden ausgehandelt, sehr hochrangige Delegationsmitglieder ernannt und der Treffpunkt festgelegt – selbstverständlich die Verhandlungsbaracke in Panmunjom genau auf der Grenze zwischen den beiden Staaten.

Donald Trump bekundete sein Interesse an einem Telefonat mit dem Nordkoreaner. Und USA und Südkorea sagten für die Zeit der Winterspiele alle Militärmanöver ab. Von der oftmals halbgaren Droh-Rhetorik war das alles weit entfernt. Es war wie ein politischer Beweis für die meteorologische Chaostheorie („Ein Schmetterling in Shanghai löst durch einen Flügelschlag einen Wirbelsturm in New York aus“).

Doch die Interessen der beteiligten Staaten und Regierungen haben sich nicht geändert. Der nordkoreanischen Führung geht es ums Überleben: Sie weiß, dass der damalige rechte Diktator im Süden, Syngman Rhee, sich 1953 geweigert hatte, den Waffenstillstand nach drei Jahren Koreakrieg zu unterschreiben, dass aber genau der Waffenstillstandsvertrag das einzige Abkommen ist, das den gegenwärtigen Status garantiert. Deshalb baut sie auf ein Vernichtungspotential – an erster Stelle Atomwaffen – als eine Art Lebensversicherung.

Bis vor wenigen Jahren strebte Nordkorea nahezu ausschließlich direkte Kontakte mit den USA an. Südkorea galt als deren Marionette. Seit der Jahrhundertwende erweist sich aber die demokratisch verfasste Republik Korea als nicht nur stabil, sondern auch selbstständig; auf innere Unruhen oder gar Revolution zu hoffen ist Illusion, Verträge geht Südkoreas Regierung auch ohne Rückfrage bei den USA ein, verzichtet zwar nicht auf deren militärische Rückendeckung, ist aber eben nicht die „Marionette“.

Eigene Verbündete, auf die sich das Regime verlassen könnte, stehen ihm nicht zur Verfügung, Japan und Südkorea schon gar nicht, Russland und auch China kaum. Sie sind nur an der Erhaltung des Status quo interessiert. Vereinbarungen über nukleare Abrüstung – atomwaffenfreies Korea als Ziel – können und müssen aber auch mit ihnen getroffen werden. Es ist daher zunächst einmal der Auf- und Ausbau von Vertrauen notwendig. Doch die nordkoreanische Führung will eben dies nicht. „Wir müssen Atomsprengköpfe und ballistische Raketen in Serie produzieren und ihre Stationierung beschleunigen“, sagte Kim Jong Un zu Neujahr. Eine Woche zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat neue Sanktionen gegen Nordkorea beschlossen, diesmal mit den Stimmen auch Russlands und Chinas. Die US-Botschafterin bei den UN, Nikki Halevy, erklärte bei der Gelegenheit, man werde eine nukleare Aufrüstung Nordkoreas „niemals akzeptieren“. Verständlicherweise wandte sich die Außenpolitik der Kim-Führung nun noch mehr dem südlichen Nachbarstaat zu.

Russische Korea-SpezialistInnen rechnen längst mit einer entsprechenden zweiten strategischen Linie Pjöngjangs. Eine in den meisten Medien kaum beachtete Passage Kims versprach weitere Reformen, wohl vor allem den Ausbau der privaten Wirtschaft, die auf dem Weg über Bauernmärkte nach der Freigabe größerer Anteile der bäuerlichen Ernte für die eigene Vermarktung eine gewisse Bedeutung erlangt hat. Dem werde nun eine diplomatische Wende folgen –  mit dem bevorzugten Partner Südkorea. Auf absehbare Zeit kein Atomwaffenverzicht – auf lange Sicht aber eine vertraglich festgeschrieben atomwaffenfreie koreanische Halbinsel.

Die Seouler Regierung wird allerdings nichts ganz ohne Billigung Washingtons unternehmen. So bleiben die USA im Spiel. Präsident Trump hat in den letzten Wochen 2017 in dieser Hinsicht viel Unheil durch seine Twitter-Äußerungen und andere Aktivitäten angerichtet. Die Drohung mit der Nichtratifizierung des Atomvertrags mit Iran ist exemplarisch. Formal ging das. Alle sechs Monate legen US-Sicherheitsrat und andere Dienststellen einen Bericht über die Einhaltung des Vertrags durch Iran vor. Gibt es Beanstandungen, so kann der Präsident die neue Unterschrift zurückhalten. So geschah es Mitte 2017. Trump bezog sich zudem auf Raketentests der iranischen Streitkräfte (Revolutionsgarden) und auf deren Anwesenheit im syrischen Mehrfrontenkrieg. Beides war aber nicht Gegenstand des Atomvertrags, den Trump sowieso kündigen möchte. Nun ist dieser aber kein Zwei-Seiten-Vertrag; Partner waren alle fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – darunter als nur ein Beteiligter die USA – und Deutschland. Ein Ausscheiden der USA aus diesem Abkommen – auch wenn bis Mai aufgeschoben – macht die Glaubwürdigkeit Washingtons als Verhandlungs- und Vertragspartner zunichte. Die Attacke Trumps auf das Atomabkommen mit Iran verwies Nordkorea auf seine eigenen Mittel. Verfällt der Vertrag, den Iran mit den Großmächten und Deutschland geschlossen hat, verfallen Nordkoreas diplomatische Möglichkeiten. Beide Krisen sind damit fast unauflösbar verbunden.

Unabhängig von der plumpen Intervention Trumps gegen den Vertrag ist dessen Haltbarkeit begrenzt. Die Welle von Protesten in Iran um die Jahreswende gegen überhöhte Lebensmittelpreise, dann gegen das schiitisch-politische Establishment, schaffen Unsicherheit. Ziel vieler Proteste war Präsident Hassan Rohani. Aus verschiedenen Gründen.  Er ist eng mit dem Atomvertrag verbunden, war vor 15 Jahren unter dem damaligen reformistischen Präsidenten Mohammed Chatami Chef-Unterhändler und setzte schließlich vor fast drei Jahren das Vertragswerk auch gegen innenpolitische Widerstände durch. Das passte den Hardlinern zwar nicht, die weder den USA noch Israel über den Weg trauen, erschien anderen Konservativen als Preisgabe einer Option für politisches Handeln, war aber populär, weil die damit verbundene Lockerung und Aufhebung von Sanktionen wirtschaftlichen Aufschwung versprachen.

Der Aufschwung ist ausgeblieben. Wegen der weiter bestehenden Beschränkungen im Zahlungsverkehr (auch wegen einseitig von den USA verhängten Sanktionen, darunter solchen, die „Verfassungsrang“ haben und nur nach einem komplizierten Prozess in beiden Häusern des Kongresses aufgehoben werden können) zögern mögliche Investoren; China und Russland sind da Ausnahmen. Die bestehenden Importerleichterungen nützen aber dem Volk nicht. Da bedient sich eine parasitäre Oberklasse, vertreten vor allem von den Revolutionsgarden. Die sind nach 1979 (Krieg gegen Irak) parallel zu den bisherigen Streitkräften aufgebaut worden und haben deren Rolle längst übernommen. Sie kontrollieren praktisch alle religiösen Stiftungen, die nach der Enteignung privater Unternehmen seit 1979 wichtigster Wirtschaftsfaktor sind, beherrschen den Außenhandel einschließlich Schmuggel und gelten als hochgradig korrupt. Den Löwenanteil der nun freier fließenden Einfuhren – und die Einnahmen aus dem nicht mehr eingeschränkten Öl- und Gasexport – kassieren sie ab. Solange Revolutionsführer Ali Khamenei, Wächterrat und geheime Dienste das decken, wird sich wenig ändern. Damit sind die institutionellen Schwächen der Präsidentschaft  benannt.

Hinzu kommt, dass unter den besagten Profiteuren viele den gegenwärtigen Präsidenten Rohani ablehnen – gerade auch wegen des Atomvertrags. Rohani ist gewiss kein grundsätzlicher Reformer, sondern Teil der herrschenden schiitisch-geistlichen Elite, Pragmatiker, gewillt, Iran wirtschaftlich zu öffnen und politisch weltoffen zu machen. Als Teil der Elite ist er Ziel von Protesten, weil er den versprochenen Wohlstand nicht bringen kann; als Pragmatiker Ziel von Obstruktion und Widerständen, weil er „zu viel zulässt“.

In den ersten beiden Januarwochen flauten die Proteste ab, die Machtinstitutionen verhielten sich zurückhaltend, das Regime insgesamt schien ungefährdet. Doch es wurde auch behauptet, ausländische Kräfte hätten einen Teil der Bewegung  provoziert. Da in Iran die Erinnerung an das Jahr 1953 (damals orchestrierte die CIA die „Operation Ajax“, die den Sturz des ersten gewählten Präsidenten, Mohammed Mossadek, bewirkte) lebendig gehalten wird, da mehrere Mordanschläge gegen Atomwissenschaftler im vergangenen Jahrzehnt offenbar auf die in den USA hofierte terroristische Widerstandssekte MEK (Volksmojahedin) zurückgeführt werden konnte, da Hacker-Angriffe ganze Betriebe zeitweilig lahmlegten, wird das geglaubt. Die Verschwörungstheorie weiß dann auch, dass CIA, Mossad und andere hinter dem „regime change“ stecken. Leider ist das nicht ganz absurd.
Jedenfalls kann ein Regimewechsel in Teheran eine Eskalation bewirken, die über den Widerruf des Atomabkommens den koreanischen Konflikt fernzündend wieder scharf machen würde. Beide Krisen bleiben auf bedrohliche Art miteinander verbunden.

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Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.