Prozesse gegen "FriedenstäterInnen"

Die ehrenhaften Verwerflichen

von Roland Binner

Im Mittelpunkt der Prozesse gegen "FriedenstäterInnen" wegen Sitzdemonstra­tionen stehen derzeit die Verfahren anläßlich der Aktionswoche gegen das US-Giftgaslager in Fischbach im Juni 1988. Aber auch die Prozesse wegen Aktionen in Mutlangen und im Hunsrück gehen ständig weiter.

Vor dem Amtsgericht Pirmasens, das in 1. Instanz für die Aktionen in Fisch­bach zuständig ist, sind mittlerweile gut die Hälfte der voraussichtlich 145 Verfahren abgeschlossen. Die fünf zu­ständigen Richter (einschließlich eines Jugendrichters für die Heranwachsen­den) sind damit sicherlich noch für ei­nige Monate mit "Friedensprozessen" ausgelastet. Ursprünglich ging die Pla­nung ja einmal dahin, diese Verfahren, die im Januar 1989 begannen, bis April/Mai diesen Jahres abzu­schließen. Doch die Richter mußten bald erkennen, wie dies auch andern­orts der Fall war, daß sich die Prozesse gegen die engagierten Friedensfreund­Innen selbst bei fließbandartigen Ur­teilen mit stereotypen Begründun­gen nicht im "Hauruckverfahren" durch­ziehen lassen. Dies hat aber je­denfalls den positiven Aspekt, daß die Richter sicher kaum je zuvor in ihrer Tätigkeit so häufig mit engagierten Angeklagten und VerteidigerInnen und deren frei­heitlichen und demo­kratischen Rechtsauffassung konfron­tiert wurden. Außerdem ist auch die starke Teil­nahme der Öffentlichkeit in der Westpfalz durch Prozeßbeobach­tungen im Gerichtssaal und Berichte in der Lo­kalpresse sehr erfreulich. Im Ergebnis ist es trotzdem fast immer zu Verur­teilungen gekommen, im Re­gelfall we­gen versuchter Nötigung.

Einige Aspekte der juristischen Be­handlung der Aktionen vor dem Giftgaslager Fischbach erscheinen mir aber deshalb besonders bemerkens­wert, weil sie deutlich machen, wie sehr von den Strafverfolgungsorganen nach opportunistischen Gesichts­punkten vorgegangen wird und wie wenig die angebliche "Verteidigung des Rechtsstaats" tatsächlich eine Rolle spielt.

  1. Den Aufruf zu der Aktionswoche im Juni 1988 hatten 1300 Personen als "presserechtlich verantwortlich" unter­schrieben. Die zuständige Staatsanwaltschaft beim Landgericht Darm­stadt stellte alle Ermittlungsverfahren ein, während die UnterzeichnerInnen früherer ähnlicher Aufrufe Strafbe­fehle erhielten und später verurteilt wurden. Diese Einstellungen sind zunächst ja positiv, sofern mensch nicht ständig vor Gericht stehen will. Die Begründung macht aber kaum verhüllt deutlich, daß sie nicht etwa auf besserer Erkenntnis und Einsicht beruhen, sondern auf rein opportunisti­schen Erwägungen. Dem kleinen Amtsgericht Michelstadt und auch dem Landgericht Darmstadt sollte die große Anzahl von 1300 "Friedens­prozessen" erspart bleiben, die diese Gerichte für lange Zeit blockiert hät­ten. In anderen Fällen lag die Anzahl der UnterzeichnerInnen entsprechen­der Aufrufe immer deutlich niedriger - also konnte angeklagt werden. Sicher­lich ein besonderer Ausfluß der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Gleichbehandlung!!?
  2. Zum 40jährigen Bestehen des Grundgesetzes fanden am 23. Mai 1989 vor dem Giftgaslager in Fisch­bach wieder ähnliche Aktionen wie im Juni 1988 statt. Obwohl Polizeibeamte und Staatsanwälte anwesend waren, kam es zu keinerlei Festnahmen und Anzeigen. Teilweise wurden sogar die­selben Leute wie im Vorjahr wegen identischer Handlungen nicht belangt. Sicherlich positiv - aber ebenso gewiß nur darauf zurückzuführen, daß das Amtsgericht Pirmasens keine neue "Prozeßlawine" will (und die hätte es bei 400-500 Beteiligten gegeben) - also wiederum Opportunismus in Rein­kultur.
  3. Ebenso wird mensch die Äußerun­gen von Staatsanwälten werten müs­sen, daß die Stahlarbeiter in Duisburg, die die Rheinbrücken blockierten, die Bauern oder LKW-Fahrer, die Auto­bahnen oder Grenzübergänge sperr­ten, angezeigt worden wären, hätten ihre Aktionen nach dem Beschluß des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mai 1988 stattgefunden, der die Rechtslage zu §240 Strafgesetzbuch StGB) an­geblich geklärt hat. Dies hätte niemals in die politische Landschaft gepaßt und wäre daher - Gott sei Dank - nicht ge­schehen. Lediglich gegenüber der Friedensbewegung erscheint den Herrschenden in solchen Fällen eine Strafverfolgung politisch opportun.
  4. Als neueste Komponente der Pir­masenser Prozesse zeichnet sich ab, daß die Staatsanwaltschaft versucht, die Zurückweisung von VerteidigerIn­nen durch das Amtsgericht zu errei­chen.

a) Zum einen geht es um eine Zu­rückweisung wegen unzulässiger Mehrfachverteidigung gemäß §146 Satz 1, 146 a Strafprozeßordnung (StPO). Deshalb werden die Sitzde­monstrationen der ganzen Aktionswo­che jetzt als eine fortgesetzte Tat be­zeichnet, die TäterInnen damit zu MittäterInnen, was bedeutet, daß jede/r Angeklagte einen anderen Ver­teidiger bräuchte. Kein Anwalt könnte hingegen einen anderen Angeklagten verteidigen, auch wenn dieser an ei­nem anderen Tag oder vor einem an­deren Tor demonstriert hat. Pro­zeßtaktisch kann mensch dagegen mit einer Beschwerde vorgehen, über die von der nächsthöheren Instanz ent­schieden wird.

Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat daher bereits im Mai die Zurück­weisung eines Rechtsanwaltes als Verteidiger aufgehoben, weil dieser Anwalt wegen einer Sitzdemonstration am gleichen Tag noch nicht verteidigt hatte. Dabei hat es die wichtige, aber eigentlich selbstverständliche Feststel­lung getroffen, daß ein "Interessenwiderstreit, der die Beistandsfunktion des Verteidigers beeinträchtigen könnte, (...) in derartigen Fällen ohne­hin nicht erkennbar" ist.

Dennoch hat das Landgericht Zwei­brücken im Juni erstmals eine Anwaltsbeschwerde gegen eine Zurück­weisung als Verteidiger verworfen, womit der betreffende Anwalt für die 1. Instanz, also das Amtsgericht Pir­masens, ausgeschlossen ist. Er kann sich jedoch für die 2. Instanz erneut bestellen und bei einer neuerlichen Zurückweisung wiederum Beschwerde einlegen, die dann vor das Oberlan­desgericht geht, das bisher (s. o.) noch gegen Zurückweisungen entschieden hat.

b) Inzwischen ist auch bekannt, daß die Staatsanwaltschaft in drei Fällen versucht, eine Zurückweisung von Verteidigern wegen eigenen Tatver­dachts gemäß §138 a StPO zu errei­chen. Betroffen davon ist u.a. der ehemalige Verfassungsrichter Martin Hirsch. Wichtig ist hierbei, daß die drei VerteidigerInnen zwar den Aufruf zur Aktion in Fischbach im Juni 1988 unterzeichnet haben. Die Staatsan­waltschaft beim Landgericht Darm­stadt hat aber die diesbezüglichen Er­mittlungsverfahren bereits eingestellt (s. o.). An der Aktion selbst haben sie dagegen überhaupt nicht teilgenom­men.

In diesen Fällen wurden die Hauptver­handlungen zunächst abgesetzt, und das Oberlandesgericht Zweibrücken hat über die Zurückweisung zu entschei­den.

c) Die Zielsetzung der Staatsanwalt­schaft beim Landgericht Zweibrücken bei diesen Zurückweisungsanträgen ist jedenfalls offensichtlich: sie will, nach­dem diese Prozesse ihr sehr viel mehr Schwierigkeiten bereiten als ursprüng­lich gedacht, ihre Situation dadurch erleichtern, daß sie versucht, in Nöti­gungsverfahren versierte und erfah­rene Anwälte quasi "herauszu­schießen". Sie greift dadurch in ekla­tanter Weise in die Verteidigungsrechte der Angeklagten ein, nämlich in deren Recht, einen Anwalt des eigenen Ver­trauens zu wählen - aber dies scheint dabei wenig zu interessieren.

Bei den Prozessen wegen Aktionen im Hunsrück ist bemerkenswert, daß die kleine Strafkammer beim Landgericht Bad Kreuznach, die in 2. Instanz dafür zuständig ist, erneut ihre Linie verän­dert hat: nachdem sie zunächst freige­sprochen hatte, verurteilte sie zwi­schenzeitlich und spricht jetzt wieder frei. Diese Freisprüche werden aller­dings vom Oberlandesgericht Koblenz regelmäßig wieder aufgehoben.

Mittlerweile gibt es auch ein erstes Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz, in dem zweitinstanzliche Freisprüche in Sachen Aufruf zu Ak­tionen (also zu §111 StGB) wieder aufgehoben und die Verfahren an das Landgericht Mainz zurückverwiesen wurden.

Insgesamt läßt sich feststellen, daß immer noch kaum eine Bereitschaft der Strafjustiz erkennbar ist, sich bei Prozessen anläßlich von Sitzdemon­strationen oder Aufrufen zu solchen Aktionen auf eine inhaltliche Diskus­sion einzulassen.

Richter und Staatsanwälte versuchen immer noch, alle Argumentationen mit dem Hinweis auf den BGH-Beschluß vom Mai 1988 abzutun, obwohl dieser Beschluß, der verfassungsrechtlich mindestens sehr fragwürdig ist, nur für das Oberlandesgericht Stuttgart bin­dend war. Er läßt den Richtern und Staatsanwälten also durchaus einen Spielraum und entläßt sie somit auch nicht aus ihrer eigenen Verantwor­tung, worauf sich in den Prozessen immer wieder hinzuweisen lohnt. Bei den Prozessen wegen der Aktionen in Fischbach im Juni 1988 wird übrigens beim Strafmaß erschwerend gewichtet, daß sie auf einen Aufruf hin erfolgten, in dem auch gegen den BGH-Beschluß protestiert wurde, weil damit angeblich die Unabhängigkeit der Gerichte (?) beeinträchtigt werde. Als ob sich in ei­nem demokratischen Rechtsstaat die Justiz keine Kritik gefallen lassen müßte! Solcher Protest fördert sicher nicht, wie in einigen Urteilen be­hauptet wurde, die "Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung", eine solche wird viel eher durch die fortwährende Kriminalisierung der Friedensbewegung erreicht.

Die Justiz verfällt noch immer dem alten Denkfehler, über das Strafrecht lasse sich der gewaltfreie Widerstand disziplinieren. Gleichzeitig werden ihr aber die "Friedensprozesse" durch ihre lange Dauer und die dadurch erfor­derliche intensive Beschäftigung mit den Problemen zunehmend lästig - trotz der opportunistischen und von politischen Überlegungen geleiteten Behandlung.

Für die Friedensbewegung gilt des­halb, daß der ständige Hinweis auf die Ausübung "politischer Justiz" und de­ren Erschwerung in den Prozessen weiterhin wichtiger Bestandteil der Arbeit sein müssen.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Roland Binner ist Rechtsreferendar in Bonn.