Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus

Die Experten sind vor Ort

von Robin Kendon

Wessen Aufgabe ist eigentlich die Bekämpfung des Rechtsextremismus? Das deutsche Konzept der wehrhaften Demokratie kann leicht zu der Vorstellung verleiten, der Staat sei zuständig. Wer sich aber nur ein bisschen mit der Materie befasst, sollte erkennen, dass eine gelebte Demokratie nur gesellschaftlich gepflegt und aufrecht erhalten werden kann. Staatliche Organe haben im Dienste der Gesellschaft wichtige Aufgaben zu erledigen, aber nur die Menschen, die in einem Ort, in einer Region, leben und gestalten, können für eine demokratische Kultur sorgen.

So jedenfalls könnte eine Grundprämisse der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus formuliert werden, die in Brandenburg aufgebaut wurde. Denn eine sich auf demokratische Grundwerte beziehende Gesellschaft ist bestens in der Lage, sich souverän vor denjenigen zu schützen, die ein völlig anderes Menschen- und Weltbild propagieren. Manchmal braucht man aber eben ein wenig Hilfe, bis alles wirklich so klappt.

Geboren aus der Erkenntnis, dass eine rechtsextreme Gewalttat nicht aus dem Nichts entsteht, sondern immer einen Kontext hat, setzt die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Gemeinwesen an. Es ist ein systemischer Ansatz, der Zusammenhänge herstellt – zwischen Themen, Menschen, gesellschaftlichen Bereichen. Es ist eine Katalysatorfunktion, die Reaktionen (auf rechtsextreme Gewalt, nationalistische Propaganda-Aktivitäten, usw.) beschleunigt und stärkt. Es ist ein Ansatz, der die Fragen und Themen der Menschen aufgreift und ihnen kein Programm aufdrängt.

Die Arbeit der Mobilen Beratungsteams
Ein Blick auf den Alltag eines Mobilen Beraters zeigt schnell, welche Aufgaben dazu gehören, wenn es um die Aktivierung der demokratischen (Zivil-)Gesellschaft geht. Das Angebotsspektrum der mobilen Beratung ist breit – hier nur eine Auswahl:

  • Information und Aufklärung: was ist Rechtsextremismus, was ist Demokratie?
  • Beratung von Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen – vom Bürgermeister bis zur Sozialarbeiterin, von Arbeitskreisen bis zu Antifa-Recherchegruppen, von Partei- oder Sport-Kreisverbänden bis zu regionalen Netzwerken;
  • Referate und Workshops zu Themen rund um den Rechtsextremismus, z. B. Grundlagen, Zeichen und Symbole, Mode, Musik, Umgang mit rechtsextremen VertreterInnen im Wahlkampf sowie in Parlamenten, und anderes mehr;
  • Moderation von Arbeitskreisen, Runden Tischen, Bündnissen, zumindest so lange, bis diese Aufgabe von den Vor-Ort-AkteurInnen übernommen wird:
  • Prozessorientierte Veranstaltungen, wie Zukunftswerkstätten, Zukunftskonferenzen, Open Space, World Cafés, aber oft in abgewandelter Form, um auf die lokalen Bedürfnisse einzugehen;
  • Analyse rechtsextremer Erscheinungsformen in einer Region sowie der gesellschaftlichen Potentiale, die demokratisch aktiviert werden können.

Erwartet wird ein hohes Maß an Fachkenntnis – „Expertentum“. Benötigt wird häufiger ein hohes Maß an Kommunikationskompetenz und Fingerspitzengefühl, um die Zusammenarbeit verschiedener AkteurInnen im kommunalen Geflecht auf den Weg zu bringen. Das Ziel ist die Stärkung und Befähigung der Menschen vor Ort, sich für ihre demokratische Sache einzusetzen. Im Gegensatz zu Projekten, die von externen ExpertInnen durchgeführt werden und zu Ende gehen, müssen die Kompetenzen im Ort bzw. in der Region entwickelt werden und auch dort bleiben. Die tatsächlichen ExpertInnen leben schon vor Ort.

Folgende Beispielanfragen zeigen etwas von der Vielfalt der Arbeit:

  • Fortbildung für kommunale Abgeordnete im Umgang mit Abgeordneten der NPD im Kreistag oder in der Gemeindevertretung;
  • Unterstützung eines Jugendbeirates bei der Durchführung eines Konzertes gegen rechts;
  • Beratung der Vorbereitungsgruppe für einen jährlich stattfindenden Integrationsfachtag;
  • Beratung eines ehrenamtlichen Bürgermeisters, in dessen Ort rechtsextreme Kader wohnen und tätig sind;
  • Referat für die Führungskräfte der freiwilligen Feuerwehr;
  • Beratung eines Kreissportbundes zur Gestaltung der Satzung, um rechtsextreme Unterwanderung und Handlungen auszuschließen;
  • Beratung und Begleitung eines langjährig aktiven Arbeitskreises, der neben Aufklärungsaktionen über Rechtsextremismus im Ort oder der Einrichtung einer Beratung für die Opfer rechtsextremer Gewalt auch ein Integrationskonzept für Zuwanderer entwickelt und kommunalpolitisch durchgebracht hat.

Es hat sich mittlerweile gezeigt, dass diese Arbeit langfristig angelegt ist und von Kontinuität profitiert. Das Mobile Beratungsteam in Brandenburg wurde im September 1992 gegründet. 1998 wurde es im Rahmen des Programms „ Tolerantes Brandenburg“, das das Problem Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliches (und kein allein von der Jugend verursachtes) Problem beschrieb und entsprechende Handlungsansätze schaffte, erweitert. Das „Kapital“ der mobilen Beratung sind die über Zeit gewachsenen Beziehungen und lokalen Kenntnisse und damit gewonnenes Vertrauen. Es ist außerdem wichtig, dass die mobile Beratung trotz staatlicher Finanzierung bei einem freien Träger angesiedelt ist.

Ein letztes Beispiel zeigt die verschlungenen Wege der demokratischen Entwicklung: In einer Gesamtschule im ländlichen Raum gab es Konflikte in Zusammenhang mit den Spätaussiedlerkindern. Auf Vorschlag des Mobilen Beratungsteams wurde eine Schüler-AG eingerichtet: „Erzähl-Café“. Darin kam das Thema Konflikt auf, und wir boten ein „Toleranz-Training“ an, im Rahmen dessen wir im Ort eine Befragung zum Thema Toleranz von den SchülerInnen durchführen ließen. Bei der Präsentation der Ergebnisse waren u .a. der   Bürgermeister und die Amtsdirektorin anwesend. Kurz danach hat das kreisweite Netzwerk dem Ort ein Bürgerbeteiligungsmodell angeboten, so dass auf Grund der entstandenen Kontakte eine vom Beratungsteam durchgeführte Gemeindekonferenz (Zukunftskonferenz in abgewandelter Form) stattfand, die sich mit neuen Perspektiven für den Ort beschäftigte. Der Rechtsextremismus war in dieser Zeit nur ein Randthema. Schließlich aber, als Proteste gegen einen rechtsextremen Aufmarsch in der nahe gelegenen Kreisstadt organisiert wurden, waren sehr viele aus dem Ort dabei – „Klar, fahren wir hin!“

Eine souveräne, lebendige demokratische Gesellschaft wird vielleicht nicht verhindern können, dass der Rechtsextremismus sein Gesicht im Gemeinwesen zeigt, aber sie wird dieses Gesicht schneller erkennen und wird schneller mit ihm fertig.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Robin Kendon arbeitet seit 1999 im Mobilen Beratungsteam Brandenburg.