Themen und Strategien im Spannungsfeld von basisdemokratischem Anspruch und Spektren-Interessen

Die Friedensbewegung der achtziger Jahre

von Thomas Leif
Schwerpunkt
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1.    Forschungsdilemma: Der Mythos der Basisdemokratie in der Bewe­gungsforschung

Die Friedensbewegung in der Bundesre­publik, die Anfang der achtziger Jahre um ihren Kristallisationskern - die "Ver­hinderung neuer Mittelstreckenraketen" - sehr unterschiedliche Protest­motive bündelt und enorme Mobilisie­rungs­erfolge erzielte, wuchs im Szena­rio der Neuen Sozialen Bewegungen zur größ­ten Prostestbewegung in der Ge­schichte der Republik.

Die Erfolge und die Sonderstellung der Friedensbewegung sind eng verknüpft mit der Herausbildung eines Organisati­onszentrums auf nationaler Ebene: dem Koordinationsausschuß (KA) der Frie­densbewegung. Dieser konkurrenzlos wirkende, abgeschottete und effektive Arbeits- und Kommunikationszusam­menhang - getragen von 30 sehr hetero­genen Organisationen mit fein austa­rierter Bündniszuordnung und -politik, prägte die Entwicklung, Themenakzen­tuierung und die Strategiebildung der Friedensbewegung besonders in ihren Hochphasen vor 10 Jahren entschei­dend.

2.    Die frühe Zementierung der zen­tralen Entscheidungsstrukturen

Quelle: Thomas Leif, Die Strategische (Ohn-)Macht der Friedensbewegung, Opladen 1990

Am Ende des 19. Ev. Kirchentages in Hamburg trafen sich am 19.6.81 22 Ver­treterInnen verschiedener Organisa­tio­nen, um den Ablauf einer großen De­monstration und Kundgebung am 10.10.1981 zu besprechen.

Damit war der Grundstein für das erste, und bislang einmalige Koordinations­gremium der Friedensbewegung zu Be­ginn der achtziger Jahre gelegt.

An der Entstehungsgeschichte der soge­nannten "Frühstücksrunde", der Vorläu­ferin des KA, läßt sich deutlich erken­nen, wie ein zentrales Entscheidungs­zentrum aus dem Unterfutter der infor­mellen Arbeitszusammenhänge führen­der Persönlichkeiten der Friedensbewe­gung behutsam aber zielgerichtet ge­formt wurde.

Durch die langfristig angelegte Planung konnte die Idee des KA - unbelastet von Streitigkeiten in der Öffentlichkeit und radikalen Forderungen einzelner - lang­sam reifen, so daß die Aktionskonferenz im April 1983 diesem Gremium nur noch per Akklamation zustimmen mußte. Der KA zur Vorbereitung der Demonstration am 10.6.1982, für die Herbstaktionen 1983 und die Zeit da­nach, blieb in seiner Gründerstruktur weitgehend identisch.

3.    Aktionskonferenzen: die regulierte Legitimationsquelle

Die im KA entworfene Politik war ohne das korrespondierende Forum der Akti­onskonferenzen nicht denkbar. Diese Parallelstruktur bildete für den KA das Bezugssystem zur Basis der Friedens­initiativen. Der KA nutzte folglich die formale Legitimationsquelle der Akti­onskonferenzen für seine Arbeit und steuerte die Versammlungen der Frie­densinitiativen durch eindeutige Vorga­ben. Die in der Regel halbjährlichen Treffen auf Bundesebene, an denen zwi­schen 300 und 1.200 Personen an einem Wochendende meist in Köln teilnah­men, waren immer von dem friedenspo­litischen Zeitgeist geprägt und eng mit der Entwicklung und dem Diskussions­stand im KA gekoppelt. Die Debatten und der Themenstreit während der Akti­onskonferenzen können folglich als Kompass für die jeweils aktuelle Orts­bestimmung der Friedensbewegung ge­wertet werden.

Die in den Umgangs- und Abstim­mungsverfahren ritualisierten Aktions­konferenzen unterlagen durchgehend der Regie des KA, der die Friedens­initiativen mit einer genauen Tagesord­nung einlud und mit Hilfe eines von führenden KA-Repräsentanten gestell­ten Tagungspräsidiums den Konferenz­verlauf rigide beeinflusste; so wurden beispielsweise Abstimmungen je nach Bedarf herbeigeführt oder blockiert und im Vorfeld weitgehend konsensfähige, im KA bereits abgeklärte Texte (Aufru­fe, Resolutionen etc.), lediglich zur "Be­stätigung" eingebracht. Denn relevante Gegensätze zwischen den wich­tigsten Strömungen wurden meist im Vorfeld abgefedert, integriert oder ausgeklam­mert.

4.    Die professionelle Bewegung: zen­tralisierte Entscheidungsfindung in der Friedensbewegung

Nach gründlichen Absprachen der einflussreichen, gremienerfahrenen Kernor­ganisationen, schnürten die Gründer­funktionäre ein sorgsam durchdachtes Kompromiss-Paket von zunächst 26 (später 30) Mitgliedsorganisationen des KA.

Das Motiv der Gründer war, nach außen eine möglichst breit akzeptierte Vertre­tung der Friedensbewegung zusammen­zubringen und nach innen keine rele­vante Strömung der Friedensbewegung bewusst auszugrenzen, um so gleichzei­tig repräsentativ und integrativ zu wir­ken.

Schon in der Gründungsphase des KA kristallisierten sich fünf Spektren her­aus, die auch für die wichtigsten Strö­mungen in der Friedensbewegung ste­hen. Diese Strömungen waren: die Chri­sten, die Unabhängigen, sowie die par­teinahen Spektren: Sozialdemokraten, das KOFAZ- (Komitee für Frieden, Ab­rüstung und Zusammenarbeit) Spektrum und die Grünen.

Alle im KA vertretenen Spektren ver­klammerte anfangs die Konzentration auf ein Waffensystem und die prägnante Kernforderung "Verhinderung der NATO-Nachrüstung" als Konsens-Platt­form sowie das Ziel, eine breite Mas­senbewegung zu organisieren.

Aus den markanten Defiziten in der Re­präsentation des KA (Fehlen von Basis­initiativen, berufsbezogenen und bür­gerlichen Gruppen sowie Frauengrup­pen) ergaben sich selbstverständlich zahlreiche Konflikte und Reibungsflä­chen, da relevante Positionen ausge­blendet wurden. Die teilweise indirekt gesicherte Repräsentation dieser Teile der Friedensbewegung durch die KA-Organisationen, wie auch die Wahr­nehmung eines Gaststatus von nicht be­teiligten Organisationen, konnten diese Defizite insgesamt jedoch nicht ausglei­chen.

Die tragenden Spektren im KA hatten sich offensichtlich darauf geeinigt, ihre Monopolstellung durch Neuaufnahmen nicht zur Disposition zu stellen. Zudem wäre mit dem Thema "Neustrukturie­rung des KA" Sinn, Zweck und Legiti­mationsausstattung dieses Gremiums grundsätzlich und öf­fentlich diskutiert worden; damit wären massive Konflikte bis hin zur Aufsplit­terung des KA vor­programmiert gewe­sen.

5.    Basisinitiativen als Gegenpol

Die Entfaltung des Koordinationsaus­schusses auf nationaler Ebene war nur möglich, weil sich in der gesamten Re­publik ein dichtes Netz von sehr unter­schiedlichen Friedensgruppen ausbrei­tete, die die Ideen und Vorschläge des KA in ihre Arbeit aufnahmen. Denn die Grundorientierungen der vorgestellten Spektren wurden auch vor Ort vertreten, so daß die Basis die zentralen "Bonner Themen" diskutierte und meist auch für die anstehenden Demonstrationen mo­bilisierte. Eigenständige Aktionen er­weiterten diesen äußerst günstigen Dis­kussions- und Handlungsrahmen noch.

Ein wesentliches Kennzeichen und Le­benselement der Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre war das starke Fundament regionaler, örtlicher und stadtteilbezogener Friedensinitiati­ven, die im Jahr 1983 nach den Schät­zungen ein Potential von rund 4000 bis 6000 Initiativen ausmachten.

Viele Initiativen, deren Potential sich aus Sympathisanten, "Bewegten" und Aktivisten zusammensetzt, hatten ent­weder einen gemeinsamen Ausgangs­punkt oder Bezug zu kirchlichen, beruf­lichen, gewerkschaftlichen und (partei-) politischen Gruppen, oder bildeten sich an ihrem Ort als politisch gemischte Ini­tiative, offen für alle Interessenten. Die spezifische Situation von Blockade- und Bezugsgruppen, die sich auf die Vorbe­reitung von Aktionen Zivilen Ungehor­sams konzentrierten, rundet das Feld der Basisinitiativen ab.

Es existierten zu Beginn der achtziger Jahre in der gesamten Bundesrepublik vielfältige Vernetzungen zwischen den Friedensinitiativen, die sich regional oder auf Stadtebene ausbildeten und sich über regelmäßige Treffen und Kon­ferenzen sowie Friedensläden oder Frie­densbüros organisierten und austausch­ten. Auf Kreis-, Großstadt- und Bun­deslandebene existierten zudem weitere Strukturen, die länderspezifisch ihre ei­gene Ausprägung hatten.

Mit diesen Strukturen war der Bedarf der Basisinitiativen an nützlicher Koor­dination und wechselseitigem Austausch weitgehend gedeckt, so daß die Struktu­ren auf nationaler Ebene (Aktionskonfe­renzen und Koordinie­rungsausschuß) meist als zu abgehoben empfunden wurden und lediglich das Interesse we­niger Aktiver fanden, die die damit ver­bundenen organisati­onskulturellen Ver­formungen und Me­chanismen kannten und sich darauf ein­stellen konnten.

6.    Die Themen der Friedensbewe­gung: zwischen Konstanz und Wandel

Der wichtigste Anstoß der Friedensbe­wegung zu Beginn der achtziger Jahre - die Nachrüstung neuer Mittelstrecken­raketen - bildete bis Ende 1983 und mit ihren Nachwirkungen auch noch 1984 den zentralen Kristallisationspunkt in der Friedensbewegung. Dieser Nachrü­stungsbann entfaltete in der Hochphase der Mobilisierung eine enorme Integra­tionswirkung für die unterschiedlichen Spektren in der Friedensbewegung.

Der "Minimalkonsens" wurde zwar im­mer von anderen, grundlegenderen For­derungen einzelner Organisationen und Spektren begleitet. Mehrheitsfähig wa­ren die weitreichenderen Programme, beispielsweise für die Überwindung der Abschreckungspolitik oder einen durch­greifenden Antimilitarismus, jedoch nicht. Mit der Bündelung der vielfälti­gen Anliegen auf eine verständliche und klar umrissene Forderung gelang es zu­dem lange Zeit, konzeptionelle Gegen­sätze der beteiligten Gruppen zu über­decken. Unter dem Dach der einfachen Forderungen gegen "Pershing II" und "Cruise Missiles" versammelten sich alle, die eine Kurskorrektur in der Si­cherheitspolitik herbeiführen wollten, ein Abrüstungssignal erwarteten oder ihren Protest ausdrückten.

Die Konzentration aller Energien auf bestimmte Waffensysteme erwies sich jedoch spätestens ab November 1983 als strukturelles Problem, da trotz jahrelan­ger Proteste der Bundestag den "Nach­rüstungsbeschluss" mehrheitlich bestä­tigte. Auf diese kollektive Erfah­rung der Niederlage und dem Gefühl vieler Akti­ver, sich vergeblich für Abrü­stung ein­gesetzt zu haben, war die Frie­densbewegung nicht vorbereitet. Eine nachvollziehbare, schlüssige Antwort fehlte in dieser Situation. Nach diesem Einschnitt und dem Verlust einer allge­meinen Programmklammer begann der Prozess der inhaltlichen Ausdifferenzie­rung der einzelnen Spektren, die jetzt versuchten, ihr über Jahre vernachläs­sigtes spezifisches Profil herauszustel­len.

Nach den Mobilisierungshöhepunkten 1983 wirkte die Nachrüstungsdiskussion auch 1984 nach. Mit zentralen Großak­tionen sollte der Vollzug des Nachrü­stungsbeschlusses rückgängig gemacht werden. Die Perspektivlosigkeit dieser Aktivitäten und die schon weitverbrei­teten Ohnmachtsgefühle verhinderten jedoch neue inhaltliche Impulse.

Nachdem diese "Nachrüstungs-Proteste" erneut keine Erfolge zeigten, setzten sich einige Spektren verspätet mit der Position durch, daß jetzt eindeutigere Proteste nötig seien, um den Aufrü­stungstrend zu stoppen.

Radikale Verweigerungsaktionen aller Militärdienste und die Idee von Manö­verbehinderungen im "Fulda Gap" im Herbst 1984 sollten die Antwort auf neue "Kriegsführungskonzepte" der NATO sein. Die Verbreiterung des The­menspektrums mit einer Demon­stration gegen die "mögliche Interven­tion der USA in Nicaragua" bildete zu­sätzlich einen auffälligen Kontrast zu bisher gewohnten Themenschwerpunk­ten.

Diese Aktionen waren jedoch kein Pro­dukt gemeinsamer Absprachen aller Spektren, sondern eher eine Antwort der radikalen Kräfte innerhalb der Friedens­bewegung auf früher angemahnte, je­doch versäumte oder abgeschmetterte Interventionschancen.

Der Meinungsstreit über eine geeignete Handlungsstrategie blieb 1985 trotz der Beratungen ergebnislos. Deshalb einigte man sich auf eine bundesweite Informa­tionswoche, die den einzelnen Gruppen Freiraum in ihrer Aktionsgestaltung ließ. Da diese beliebige Planung offen­sichtlich weder den nötigen Anklang bei den Aktiven noch in der Bevölkerung fand, verständigte man sich in den fol­genden Jahren jeweils wieder auf eine Großdemonstration im Jahr, die jedoch nicht allein auf eine präzise Forderung gestützt wurden. Vielmehr versuchte man hier das globale Thema Abrüstung erneut mehrheitfähig zu machen, bzw. die 1986 und 1987 laufenden Abrü­stungsverhandlungen zu fördern und weitergehende Verhandlungsziele an­zumahnen.

7.    Die strategische (Ohn)-Macht der Friedensbewegung

Der Wandel von Themen und Aktionen - die für die Friedensbewegung eine her­vorgehobene Rolle spielten - war nach 1983 in permanent laufende Stra­tegiediskussionen eingebettet, mit denen die Grundlagen des politischen Han­delns festgelegt werden sollten. Die Pla­nungen knüpften meist eng an aktu­elle Anlässe an, richteten sich nach dem Rhythmus von Aktion zu Aktion, un­ter­lagen Themenkonjunkturen sowie Zeit­erscheinungen und konnten dem Druck der Aktualitäts-Schübe kaum weichen. Der Zwang, aktuell auf politi­sche Er­eignisse zu reagieren, die Dyna­mik der Zeit, das politische Klima und die politi­schen Rahmenbedingungen vieler Ent­scheidungen entzogen sich der Regulie­rung; sie markierten Grenzen der Strate­giediskussion.

In der vom Minimalkonsens "Verhinde­rung der Nachrüstung" ge­prägten Phase 1981-83 war der inhaltli­che Richtungs­streit der beteiligten Or­ganisationen noch schwach ausgeprägt. Erst mit dem Vollzug der Stationierung (ab Ende 1983) trat zunehmend Ratlo­sigkeit "Wie es weitergehen könnte?", ein strategi­sches Vakuum auf - gekenn­zeichnet durch fehlende Konzepte für die Zu­kunft.

Eine produktive Reflexion schien im ak­tionsorientierten KA folglich nur ver­spätet, vom Aktionsdruck entlastet, im Nachhinein möglich zu sein. Denn die aktionistische Grundtendenz der im KA vertretenen Organisationen ließ kaum Zeit zur kritischen Prüfung der jüngsten Protestaktionen und zum Überdenken der eingeschlagenen Strategie. Die Ak­tionsdynamik überstieg die Reflexions­bereitschaft der Friedensbewegung.

8. Friedenspolitische Bilanz

Auch wenn der Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung der breiteste und am längsten wirkende Bündniszusam­menhang in der Geschichte der Bundes­republik ist, dem es gelang, Kreativität und Mobilisierungsfähigkeit mit der professionellen Arbeitsweise traditio­nel­ler Organisationen zu verbinden, wirft die außergewöhnliche Stabilität des KA als Sondertyp einer Bewegungsorgani­sation zahlreiche Fragen auf.

Der KA und seine Vorläufer unterlagen in ihrer fast zehnjährigen Geschichte ei­ner weiter fortschreitenden Instutionali­sierung, die durch die Ritualisierung von Arbeitsformen, die hermetische Ab­wehr neuer Mitgliedsorganisationen und eine strategische Unbeweglichkeit ge­kennzeichnet war. Mit diesem In­strumentarium wuchs eine zentrale Be­wegungsorganisation neuen Typs, die das konstituierende, identitäts- und sinn­stiftende Bewegungsmotiv der Basis­demokratie in Frage stellte.

Denn zu den Formprinzipien der Basis­demokratie gehört neben dem Element der Dezentralisierung, daß die weitge­hende Autonomie und den Einfluss der untersten Einheiten sichern soll, die Ab­sicht, gewählten Vorständen befristet pure Koordinationsaufgaben zu übertra­gen. Offenheit für alle Interessenten und das Verbot von Ämterhäufung sowie eine begrenzte Wiederwählbarkeit soll den gewünschten permanenten Wechsel in Funktionen begünstigen.

Das Leitmotiv der Transparenz aller Entscheidungen und des ungehemmten Zugangs der Öffentlichkeit rundete das anspruchsvolle Handlungsset der Basis­demokratie ab. Da der KA in diesen substantiellen Fragen oft das Gegenmo­dell von Basisdemokratie praktizierte, bleibt die Frage offen, wieso die zen­tra­le Bewegungsorganisation - trotz ge­le­gentlicher Kritik, eher zaghaftem Protest und einigen internen Krisen - den be­schriebenen rigiden Politikstil über Jah­re durchsetzen konnte?

Gleichzeitig steht aber außer Frage, daß die untypischen Entscheidungsstruktu­ren der Friedensbewegungsgremien ei­nen enormen Mobilisierungs- und Poli­tisierungsschub förderten, der sich durch seine nachweisbaren Erfolge von dezen­traler Organisation mit den zu­weilen un­effektiven Standards eindeutig abhob.

Gerade mit Hilfe der auf den Bonner Politikprozeß zugeschnittenen Organisa­tionsformen und Interventionskapazitä­ten des KA konnte sich die Friedensbe­wegung als Initiator und Impulsgeber für einen neuen Trend in der sicher­heits­heitspolitischen Diskussion entfal­ten und auch die Medien-Debatten nach­drücklich und wirksam popularisie­ren. Die Sensibilisierung der Bevölke­rung für Fragen der Friedenssicherung gehört zu den großen Erfolgen der Frie­dens­bewegung.

Mit der Vielfalt und der massenhaften Beteiligung an den Aktionen der Frie­densbewegung sowie der zunehmenden Akzeptanz des Zivilen Ungehorsams, wurden das Feld demokratischer Parti­zi­pationsformen entscheidend erweitert, die Protestkultur der Bundesrepublik nachhaltig belebt, und bezogen auf diese Erfolge Signale für zukünftige Bewe­gungen gesetzt.

Da sehr viele Organisationen und Initia­tiven erstmals trotz aller Widrigkeiten und Gegensätze zusammenarbeiteten und mit ihren Aktivitäten ein bürgerli­ches Protestpotential integrierten, wurde zudem das Erfahrungsfeld für eine neue, langfristig wirkende Bündniskultur er­weitert.

Zudem verschoben sich durch die au­ßer­gewöhnlich starke Beteiligung von Par­teivertretern in der Friedensbewe­gung die konfliktträchtigen Interakti­ons­mu­ster zwischen Parteien und Neuen Sozi­alen Bewegungen. Statt sturer Ver­fein­dung entwickelte sich zeitweise eine vorsichtige Verzahnung und begrenzte Kooperation.

Von diesen Entwicklungen, die zusam­men eine Öffnung der sicherheitspoliti­schen Dialoge sowie den Bruch des frü­her parteiübergreifenden sicherheitspo­li­tischen Konsens förderten und das ge­sellschaftliche Klima in der Bundesre­publik beeinflußten, profitierte in erster Linie die Sozialdemokratie, die im Windschatten der Friedensbewegung ihr sicherheitspolitisches Profil als Opposi­tionspartei ändern konnte. Dies führte dazu, daß auch in diesem Politikfeld die SPD, in Konkurrenz zu den Grünen, zeitweise Anliegen der Friedensbewe­gung frühzeitig in den parlamentarisch-politischen Prozess einspeiste und damit Motive der Friedensbewegung in den Handlungsradius der Parteien transfor­mierte.

Diese Veränderung der öffentlichen Diskurse zur Sicherheitspolitik hatten die Konsequenz, daß die Friedensbewe­gung ihr Protestmonopol einbüßte und durch die vielen, weitreichenden Abrü­stungsvorschläge u.a. Gorbatschows so­gar die Meinungsführerschaft auf die­sem Feld verlor und folglich auf dem hektischen, publizistischen Markt mit dem Nachrichtenwert des früheren Kreml-Chefs nicht mehr konkurrieren konnte.

Mit Blick auf die Geschichte der Frie­densbewegung und die einmalige Mo­bi­lisierungsfähigkeit in den achtziger Jah­ren, muß neben den Organisations­struk­turen auch der Faktor des "politischen Klimas", bzw. der "politischen Groß­wetterlage" stärker be­rücksichtigt wer­den. Der Antriebsmotor "Angst" vor möglichen Kriegsgefahren war zudem ein nicht zu unterschätzender Mobilisie­rungsfaktor.

Die Bewegungsforschung hat bis heute noch kein akzeptiertes Instrumentarium entwickelt, mit dem die Indikatoren der wechselhaften Mobilisierungskonjunk­turen angemessen analysiert und vergli­chen werden können. Bisher wurden überwiegend rationale Begründungsmu­ster angeführt, die emotionalen Motive gerieten folglich oft in den Hintergrund. Obwohl es auch heute genügend Un-Si­cherheit und kriegerische Auseinander­setzungen gibt, existiert keine wirksame bewegungsnahe Arbeitsstruktur, die ei­ne effektive Mobilisierung ermögli­chen könnte.

Niemand weiß genau, was aus den vor 10 Jahren noch im gesamten Land akti­ven Basisgruppen geworden ist. Die Mobilisierungskraft der Friedensbewe­gung war in einer historischen Phase der Bundesrepublik einmalig; einzigartig waren auch die gesellschaftlichen Rah­menbedingungen und das politische Kli­ma in den achtziger Jahren. Erinne­run­gen und Erfahrungen, die alle Bewe­gungsakteure beherzigen sollten.

Literatur zur Friedensbewegung der 70ger und 80ger Jahre

-     Thomas Leif, Die Professionelle Bewegung, Friedensbewegung von Innen, Forum Europa Verlag, Bonn 1985

-     Thomas Leif, Die strategische (Ohn-) Macht der Friedensbewe­gung, Kommunikations- und Ent­scheidungsstrukturen in den acht­ziger Jahren, Westdeutscher Ver­lag, 1990

-     Rüdiger Schmitt, Die Friedensbe­wegung in der Bundesrepublik Deutschland, Westdeutscher Ver­lag, 1990

-     Janning, Legrand, Zander (Hrsg.), Friedensbewegungen, Entwick­lungen und Folgen in der Bundes­republik Deutschland, Eu­ropa und den USA, Verlag Wis­senschaft + Politik, Köln, 1987

-     Helmut Zander, Die Christen und die Friedensbewegungen in bei­den deutschen Staaten, Beiträge zu ei­nem Vergleich für die Jahre 1978 - 1987, Duncker & Hum­blot, Berlin, 1989

-     Dieter Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland, von den Anfängen bis 1933, Sammlung Vanden­hoeck, 1985

 

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Thomas Leif ist nach dem Studium der Politikwissenschaft, Publizistik und Pädagogik jetzt TV-Journalist in Mainz. Er ist Mitherausgeber und Redaktions-mitglied der Zeitschrift "Forschungsjournal Neue Soziale Bewegung"