Die Militarisierung der Inneren Sicherheit

von Martin Singe

Der Einsatz der Bundeswehr beim G-8-Gipfel hat im letzten Jahr krass verdeutlicht, wie die Militarisierung der Inneren Sicherheit voranschreitet. Soldaten, die das G-8-Gelände mit NATO-Draht abschirmen, Fennek-Spürpanzer allerorts, Tornados zum Ausspähen der Camps von Demonstrierenden. Die Kooperation zwischen Armee und Polizei wird schon wie selbstverständlich vollzogen. Dabei wird der Amtshilfe-Artikel des Grundgesetzes, Art. 35, rechtswidrig überdehnt, um Einsätze ohne eine Verfassungsänderung durchzusetzen. Bekanntlich darf die Bundeswehr - eigentlich - nur zur Verteidigung eingesetzt werden, und im Inneren höchstens im Katastrophenfall. Im Ausnahmefall - das haben die Notstandsgesetze möglich gemacht - allerdings auch zur Bekämpfung von bewaffneten Aufständen im Inneren. Also wurde die Bundeswehr verfassungswidrig eingesetzt; eine Verfassungsklage konkret gegen den Tornado-Einsatz ist noch anhängig. - Oder sollte man einfach dankbar zur Kenntnis nehmen, dass die Regierung mit dem Bundeswehr G-8-Einsatz die Aufstandsfähigkeit der globalisierungskritischen Bewegung anerkannt hat?

Zugleich geht die politische Auseinandersetzung um mögliche Bundeswehreinsätze im Inneren zur sog. Terrorbekämpfung weiter, vor allem am Lieblingsbeispiel aller Beteiligten, dem Abschuss eines von Terroristen entführten Zivilflugzeuges. Während auf SPD-Seite in einer solchen Situation aktuell schon der Kriegsfall als gegeben unterstellt wird, drängen die C-Parteien stärker auf eine Grundgesetzänderung, immerhin die ehrlichere Alternative.

Relativ unauffällig vollzog sich in jüngster Zeit der bundesweit dezentral gegliederte strukturelle Aufbau einer neuen Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit der Bundeswehr (ZMZBW) mit zivilen Behörden. Die neue territoriale zivil-militärische Wehrorganisation ist teilweise dem Heimatschutz-Konzept in den USA abgeguckt. Hier ergeben sich vielfältige neue Ansatzpunkte für Aktionen von Friedensgruppen vor Ort.

Der Artikel von Falco Werkentin zu der Diskussion um die Bundeswehrverwendung im Inneren in der Zeit der Notstandsgesetzgebung unterstreicht, wie bereitwillig herrschende Politik dieser Möglichkeit immer schon gegenüberstand und dass entsprechende Optionen nie ganz vom Tisch waren, trotz aller deutscher historisch besonderer Erfahrungen mit der Funktion von Militär im Inneren.

Unser Schwerpunkt will in erster Linie über die schleichende, aber immer rasanter werdende aktuelle Entwicklung der Militarisierung der Inneren Sicherheit aufklären. Unsere Analyse, dass die neuen Formen von Bundeswehr-Einsätzen im Inneren grundgesetz- bzw. verfassungswidrig sind, werden diese allerdings nicht aufhalten, wenn nicht zusätzlich zur Analyse politisch-öffentlich Einspruch erhoben wird. Dazu sollen die Analysen ermuntern.

Die folgenden Thesen zum Schwerpunktthema sollen einen Einstieg in das Thema bieten und zur Diskussion anregen.

Thesen zur Militarisierung der Inneren Sicherheit
1. Die Militarisierung der Inneren Sicherheit schreitet voran. Wesentliche Etappen sind: die vermehrten und intensivierten Bundeswehreinsätze im Inneren; die Diskussion um eine Grundgesetzänderung, der gemäß der Bundeswehreinsatz im Inneren prinzipiell möglich werden soll; die Verabschiedung des inzwischen aus verfassungsrechtlichen Gründen wieder aufgehobenen Luftsicherheitsgesetzes.

2. Die Terrorismusbedrohung wird argumentativ angeführt, um innenpolitische Szenarien zu konstruieren, die mit Polizeirecht und polizeilichen bzw. kriminalstrafrechtlichen Mitteln nicht mehr bewältigbar erscheinen. Ängste und Bedrohungsgefühle in der Bevölkerung werden genutzt, damit diese in die Außerkraftsetzung von Freiheitsrechten zugunsten vermeintlich erhöhter Sicherheit einwilligt. Dem dient auch die ständige Rede von der obsolet gewordenen Trennung von innerer und äußerer Sicherheit.

3. Im Kern geht es um eine zentrale verfassungsrechtliche Grenzverschiebung: das, was bislang nur im Krieg erlaubt ist, soll auch im Frieden erlaubt werden. Es geht also darum, per staatlicher Selbstermächtigung innenpolitisch in einem ansonsten verbotenen ethischen Koordinatensystem (Kriegsrecht) denken und handeln zu dürfen. In der Bundestags-Anhörung zum Luftsicherheitsgesetz wurde ausgeführt, dass man bei Geltung des Kriegsrechts ja leichter von "Kollateralschäden" sprechen könne.

4. Die verfassungsrechtliche Grenzverschiebung wird seit dem sog. Krieg gegen den Terror (9/11) forciert betrieben. Ein erster gravierender Schritt in Richtung kriegsrechtlichen Denkens und Handelns vollzieht sich in der Anwendung eines "Feindstrafrechtes" in den USA. Auch in anderen Rechtsstaaten wird die Diskussion um die Berechtigung eines Feindstrafrechtes verstärkt geführt.

5. Das Feindstrafrecht stellt Straftäter, schwerer Straftaten Verdächtigte und bestimmte Personengruppen außerhalb der strafrechtlich üblichen Rechtsordnung. Sie werden ihrer letzten Rechte beraubt. Die Guantanamo-Häftlinge gelten als "illegale feindliche Kombattanten", für die selbst die Gültigkeit der Genfer Konventionen (für Kriegsgefangene) offiziell außer Kraft gesetzt wird.

6. Der wesentliche Unterschied zwischen Anwendung staatlicher Gewalt im Inneren und Äußeren besteht in der Differenz zwischen Notwehr-/Nothilferecht und dem Kriegsrecht. Kriegsrecht geht systematisch über das (offiziell noch) am Notwehr- und Nothilferecht orientierte Polizeirecht hinausgeht, wo es um den Schutz von Menschenleben und die Menschenwürde als Grenzen staatlicher Gewalt geht.

7. Sowohl die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine Ermächtigung zur Kriegsführung überhaupt (ius ad bellum) als auch die völkerrechtlichen Regelungen für die Art und Weise einer Kriegsführung (ius in bello) gehen allesamt über Polizeirecht hinaus, sie stellen das Recht auf Leben und die personale Würde von Menschen prinzipiell zur Disposition.

8. Was völkerrechtlich für kriegerisches Handeln erlaubt ist (also worauf sich potentiell kriegführende Staaten geeinigt haben), ist ethisch noch lange nicht legitim, vor allem nicht für eine Friedensbewegung, die sich an menschenrechtlichen Prinzipien orientiert. Kriegsrecht setzt formal verfassungskonform (weil völkerrechtskonform) wesentliche Verfassungsprinzipien außer Kraft, sofern sich eine Staatsverfassung auf die Menschenrechte mit der Würde des Menschen als Kern stützt.

9. Im Krieg werden Menschen ihrer Würde beraubt, indem sie instrumentell zum Töten oder zum Getötetwerden (fremd)bestimmt werden. Die Kriegsrechtsregeln gaukeln einen menschenwürdekonformen Krieg nur vor. Die eigentlichen Kriegsregeln lauten im Kern: Das Töten von Feinden ist erlaubt bzw. geboten. Das Töten von Zivilbevölkerung/Nichtkombattanten ist erlaubt, sofern es für die Erreichung von Kriegszielen "nötig" und "verhältnismäßig" ist.

10. Um auch im Staatsinneren kriegerisch handeln zu können, also Leben und Würde von Menschen prinzipiell zur Disposition stellen zu dürfen, soll Kriegsrecht auch im Inneren anwendbar werden. Die diskutierten Varianten der Umsetzung - das Grundgesetz muss wegen der Beschränkung von Bundeswehreinsätzen auf den Verteidigungsfall geändert werden bzw.: Kriegsrecht ist im Fall terroristischer Gewalt schon jetzt anwendbar ("Quasi-Verteidigungsfall") - sind ethisch nur graduell unterschiedlich zu bewerten, da eine Grundgesetzänderung weiterreichende Konsequenzen mit sich bringen wird.

11. Die bereits übliche Vermischung polizeilicher und militärischer Einsatzformen im Ausland soll diese Vermischung auch im Inland immer selbstverständlicher erscheinen lassen. Die innenpolitische Gewöhnung wird scheibchenweise durchgesetzt. Mit dem Eindämmen von Oderfluten und Schneeschippen fängt es an, mit der Fußball-WM und dem G-8-Gipfel geht es weiter - bis irgendwann die Verhängung von Kriegsrecht im Inneren möglich und akzeptabel wird.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".