Der "KatholikInnentag von unten" vom 17.-20. Juni 1992 in Karlsuhe ärgerte wieder die Kirchenoberen

Die Mokassin der Anderen

von Hermann-Josef Tenhagen
Initiativen
Initiativen

Helmut Simon, Magadalene Bußmann, Wolfgang Thiesre, Siegfried von Kortzfleisch (v.l.n.r) bei der Veranstaltung "Kirche und Staat" des Kvu

Er bestreite niemandem das Recht, sich in Karlsruhe öffentlich zu äu­ßern, ließ der Sprecher des Zentralkomitees der deutschen Katholi­ken (ZDK) die Gläubigen und Ungläubigen in Karlsruhe wissen - aber bitte nicht in seinen Pressefächern. Dem Manne fällt sein Lapsus in einer weitgehend säkularisierten und demokratisierten Welt schon gar nicht mehr auf, uns aber zeigt er, wes Geistes Kind dieses letzte Zen­tralkomitee auf deutschem Boden ist.

Die Damen und Herren vom Zentralko­mitee rechneten es sich in Karlsruhe als Verdienst an, nicht jeden zu zensieren. Zensiert wird nur, was sich katholisch nennt. Den Bund der deutschen Katholi­schen Jugend (BDKJ) beispielsweise, der seine Pressemitteilungen nicht in den Fächern des Herrn Bolzenius ausle­gen darf.

Die innerkatholische Posse illustriert aber nicht nur den Charakter dieses ZDK - einer Institution des 19. Jahrhun­derts - sie illustriert zugleich die Not­wendigkeit eines "KatholikInnentags von unten".

Nicht alle Christinnen und Christen, auch nicht alle katholischen, finden sich in einem derartigen Gebahren wieder. Und weil das so ist und weil die Zen­surversuche 1992 nur Reminiszenzen einer altgedienten Zensurpraxis sind, fand auf dem Meßplatz im Karlsuher Osten Mitte Juni schon der sechste "KatholikInnentag von unten (Kvu) statt.

Entstanden ist dieser Alternativgipfel der unzufriedenen Laien in der Kirche nach dem Zentralkomiteefestival 1978 in Freiburg. Damals waren engagierte Menschen an der Basis so unzufrieden, daß nach einer institutionalisierten Al­ternative gesucht - und im Kvu eine ge­funden wurde. Seither wurde der Ka­tholikInnentag von unten zu einem Forum, auf dem kritische Christen die Themen für Kirche und Gesellschaft der achtziger und neunziger Jahre vordach­ten. Die organisierten Gruppen schlos­sen sich in einem lockeren Netzwerk zur Initiative Kirche von unten (IKvu) zu­sammen, und die IKvu-Gruppen misch­ten in der Friedensbewegung, in der Umweltbewegung, in Solidaritätsgrup­pen für die sogenannte Dritte Welt und bei Bürgerinitiativen und Bürgerrechts­gruppen mit. Sie forderten ein Mehr an Hoffnung und an Geld für die Menschen der Zwei-Drittel-Welt und eine Demo­kratisierung in der Kirche. Sie disku­tierten auf den KatholikInnentagen von unten ungeschminkt, was Christinnen und Christen auf den Nägeln brennt.

Karlsruhe 1992: Die Einleitung hat illu­striert, daß Kirche "von unten" notwen­diger denn je ist. Die Macherinnen und Macher des Kvu hatten sich in den ver­gangenen zwei Jahren den Kopf zerbro­chen, was denn 1992 die drängenden Themen sein könnten. Das Besuchser­gebnis gab ihren Überlegungen recht. Die 35.000 Gäste, die die Foren, Dis­kussionen und Großveranstaltungen des Kvu auf dem Meßplatz zwischen Bahn­damm, Automarkt und Ausfallstraße be­suchten, zeigten uns, daß wir zwar räumlich am Rand lagen, mit den The­men aber im Zentrum.

Bei uns stritt sich Eugen Drewermann mit Norbert Greinacher und Dorothee Sölle um die Möglichkeiten individuel­len persönlichen Wachsens und die Notwendigkeit von Kirchenstrukturen. Er brauchte sich eben nicht um sein Re­derecht streiten.

500 Jahre ist der Beginn des Völker­mords in den beiden Amerikas jetzt her, der Begriff Kolonisierung ist wieder in aller Munde und war uns Grund genug, die Fortdauer der politischen, ökonomi­schen und kulturellen Kolonisierung Lateinamerikas zum Thema zu machen. Im Dreischritt von Sehen, Urteilen und Handeln entstand in einer Veranstal­tungsreihe ein tieferes Bewußtsein über die herrschende Unterdrückung in La­teinamerika und anderswo. Christinnen und Christen demonstrierten vor den Karlsruher Filialen bundesdeutscher Großbanken, bei denen die lateinameri­kanischen Länder mit 65 Mrd. Mark in der Kreide stehen. Auf einer gemeinsa­men Open-Air-Veranstaltung mit dem BDKJ forderten die Jugendlichen mit dosiertem Applaus die kritische Ausein­andersetzung mit den gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen, aber auch mit der Rolle, die die Kirche bei Kolonisierung und Völkermord gespielt hat und noch spielt. Paulo Suess erinnerte an Kolum­bus` Tagebuch der Überfahrt, in dem sich 19 mal der Begriff Gott, aber 77 mal das Wort Gold findet. Und Burnet Charisol, Pater und Freund des haitiani­schen Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide, erinnerte daran, daß der Vati­kan der erste Staat sei, der diplomati­sche Beziehungen mit der Militärjunta in seinem Land pflege.

Schnell entdeckten wir in der Vorberei­tung des Kvu, daß die Kolonisierung nicht eine ist, die nur historisch ist oder beim Verhältnis von sogenannter Erster und sogenannter Dritter Welt stehen­bleibt. Vielmehr findet die Kolonisie­rung auch im Wegdrücken von Bürger- und Menschenrechten in der Kirche und der eigentümlichen Legitimationsfunk­tion statt, die die Kirche für staatliches Handeln hat. Am Morgen zelebrierte der Militärbischof und Rechtsausleger der deutschen Bischöfe, Dyba, einen Mili­tärgottesdienst und forderte die Soldaten auf, "mit Hand anzulegen". Gäste des Kvu protestierten gegen diese moderne Fortsetzung des Waffensegnens auf ihre Weise: Sie trugen einen toten Soldaten vor das Kirchenportal und begehrten Einlass - doch im Haus Gottes waren an diesem Morgen nur kriegstaugliche Sol­daten erwünscht.

Die Kirche kommt nicht nur vom Waf­fensegnen nicht los, sie ist auch weithin brave Nutznießerin des Staates. Der Staat treibt die Kirchensteuer ein und fi­nanziert kirchliche Einrichtungen - auch den offiziellen Katholikentag. Derweil feuert die Kirche schwangere Erziehe­rinnen aus den mehrheitlich staatlich fi­nanzierten Kindergärten, die das Un­glück haben, in einen geschiedenen Mann verliebt zu sein. Dieses krasse Missverhältnis, das sich auch an anderen Stellen im kirchlichen Arbeitsrecht wie­derfindet, animierte Besucherinnen und Besucher des Kvu zu einer gemeinsa­men Erklärung: Sie fordern von der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bund und Ländern, die Verfassung so zu ändern, daß die Subvention kirch­licher Einrichtungen mit solchem vor­demokratischen Arbeitsrecht unter­bleibt: keine Zuschüsse ohne ordentli­ches Arbeitsrecht auch bei Kirchen. "Das erste Mal, daß in einem solchen kirchlichen Rahmen ernsthaft über das Verhältnis Kirche und Staat nachge­dacht wird", freute sich Verfassungs­richter i.R. Helmut Simon an diesem Abend.

Katholische Amtskirche und auch das Zentralkomitee haben ein gestörtes Ver­hältnis zu Sexualität. Sexualität wird als Notwendigkeit gesehen, hinter der im­mer die Sünde droht. Lust und Freude kommen im Vokabular vieler Priester und der professionellen Laien des Zen­tralkomitees oft genug gar nicht vor. Kein Wunder, daß sich auf unserer Großveranstaltung zur kirchlichen Se­xualmoral und der anschließenden ernsthaften Debatte zum Paragraphen 218 mehrere tausend Frauen und Män­ner auf dem Kvu einfanden. Das Thema brennt Christinnen und Christen auf den Nägeln. Sie wollen sich das Sprechen über ihre Sexualität nicht mehr verbie­ten lassen. Sie glauben auch nicht mehr, daß der Staat mit dem Strafrecht dem Problem des Schwangerschaftsabbruchs gerecht werden kann. Ein beeindruk­kender Familienvater berichtete, wie er nach dem vierten Kind die Entscheidung für eine Sterilisation getroffen habe, und die Psychologin Neumann erinnerte alle, die gern schnelle moralische Ur­teile treffen, an die alte Indianerweis­heit: Bevor Du jemanden verurteilst, soll­test Du erst einen Monat in seinen Mo­kassin gehen.

Vielen der moralisch überheblichen Christen, die sich derzeit in der Debatte um den Paragraphen 218 äußern, wün­schen wir einen Monat in den Mokassin einer schwangeren Frau mit Einein­halbzimmerwohnung.

Lernen, urteilen und handeln: Viele Christinnen und Christen haben in den Tagen am Bahndamm in Karlsruhe Im­pulse für ein besseres Leben in dieser Welt mitgenommen. Weil wir aber we­nig Hoffnung auf baldige Reformen in der Kirche haben, werden wir uns 1994 wahrscheinlich zum KatholikInnentag von unten in Dresden wiedersehen.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Hermann-Josef Tenhagen, Pressesprecher des Kvu, arbeitet als Journalist in Berlin.