Konflikte im Sudan im Jahr 2009 zivil bearbeiten

Die Quadratur des Kreises

von Michael Hagenbach

Wer in Europa ‘Sudan’ hört, denkt meist an Darfur, eine Region im Westen des flächenmässig größten afrikanischen Landes. Erst vor kurzem ging der Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs gegen den sudanesischen Präsidenten durch die Presse. Es geht um seine Verantwortung für zahlreiche und grausame Menschenrechtsverletzungen in Darfur, wie gezielte Vergewaltigungen, Vertreibung im großen Stil und den Vorwurf des Genozids.

Prekäre Lage im Südsudan nach 4 Jahren Friedensabkommen
Wenige wissen, dass Südsudan seit 2005 eine vorübergehend teilautonome Republik ist. Anders als der mehrheitlich arabisch-muslimische Nordsudan, gehört die schwarzafrikanische Mehrheit im Südsudan christlichen bzw. traditionellen Glaubensrichtungen an. Nach mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg hat die sudanesische Regierung aufgrund internationalen Drucks mit der Rebellenarmee ‘Sudanese People’s Liberation Army’ ein Friedensabkommen (Comprehensive Peace Agreement, CPA) geschlossen, das einen ausgefeilten Zeitplan vorsieht u.a. für eine Volkszählung, nationale Wahlen und am Ende des sechsjährigen Übergangszeitraums 2011 eine Volkabstimmung über die Unabhängigkeit des Südsudan oder seinen Verbleib im Gesamtsudan.

Ungeklärt blieb der Verlauf der Grenzen zwischen Nord- und Südsudan und die Zugehörigkeit der sogenannten ‘transitional areas’, die in der Grenzregion liegen und zum Teil erhebliche Erdölvorkommen aufweisen. Bisherige Versuche einer einvernehmlichen Regelung scheiterten. Nur unvollständig erfolgte auch der vereinbarte Rückzug der Streitkräfte und der mit ihnen verbündeten Milizen aus dem jeweils gegnerischen Gebiet. Es klingt abenteürlich, aber viele Menschen hier glauben, dass die gesamtsudanesische Regierung die zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerungsgruppen im Süden –vorwiegend um Ressourcen – befördert wenn nicht sogar steuert. Es wird vermutet, dass die Regierung auch die nordugandisch-christliche Rebellenarmee Lords’ Resistance Army unterstütze. Diese plündert wieder vermehrt Dörfer im Südsudan und entführt Kinder und Frauen, um aus ihnen Kindersoldaten oder Sex-Sklavinnen zu machen. Mit der dadurch entstehenden Unsicherheit hoffe das sudanesische Regime, den Menschen im Südsudan zu suggerieren, dass ihre eigene Regierung unfähig sei, für Sicherheit zu sorgen und deshalb im Referendum der Verbleib des Südsudan unter gesamtsudanesischer Regierung die bessere Option sei.

Wenn ich mit Menschen hier im Südsudan spreche, höre ich drei wesentliche Überzeugungen:

  1. Wir wollen auf keinen Fall wieder Krieg. Mehr als 20 Jahre (und das war nur die letzte Kriegsphase, davor gab es knapp 10 Jahre relativen Frieden, der vorherigen kriegerischen Auseinandersetzungen von nochmals 20 Jahren gefolgt war) waren schon zu viel!
  2. Wenn wir eine bessere Zukunft für unsere Kinder wollen, mit sicherem Trinkwasser, soliden Wohnstätten und ausreichender Gesundheitsversorgung, brauchen wir Frieden. Nur dann wird eine Schulbildung für alle möglich, lässt sich der Hunger und die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe überwinden.
  3. Wir wollen den Süden regieren und nicht wieder dem Diktat der islamisch orientierten Regierung des Gesamtsudan unterworfen sein. Wir haben mehr als 20 Jahre lang gekämpft:  für Freiheit von Sklaverei und Unterdrückung, für Meinungs-  undReligionsfreiheit, für die Gleichberechtigung von Frau und Mann sowie die Rechte der verschiedenen Ethnien, besonders der schwarzafrikanischen. Und das lassen wir uns nicht wieder nehmen. Deshalb muss es entweder eine volle Autonomie für den Südsudan nach der Volksabstimmung geben (die laut CPA für 2011 geplant ist). Oder die südsudanesischen Parteien müssen die Macht im Gesamtsudan übernehmen, mit der Folge, dass die islamische Gesetzgebung (die bis zur Volksabstimmung, im Süden vorübergehend ausser Kraft gesetzt ist) für den Süden endgültig aufgehoben wird.
  4. Wenn wir die Unabhängigkeit Südsudans wollen, müssen wir uns auf Krieg einrichten. Dies klingt wie ein Widerspruch zum ersten Punkt, ist jedoch aus der Erfahrung der Südsudanesen heraus zu verstehen, dass die gesamtsudanesische Regierung sich mehrfach nicht an Vereinbarungen hielt und diplomatisch wie militärisch um sich zu schlagen pflegte, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlte. Sowohl ein Wahlgewinn für südsudanesische Parteien auf gesamtsudanesischer Ebene als auch ein Ergebnis des Referendums, das Südsudan die volle Autonomie gewähren würde, könnte eine solche Situation hervor rufen.

Konsequenz: Weit mehr als die Hälfte des südsudanesischen Budgets wird für militärische Sicherheit ausgegeben. Außerdem gelang es der südsudanesischen Regierung nicht,  ausreichend erdölunabhängige Staatseinnahmen zu entwickeln. Die Öleinnahmen, vom Norden verwaltet, sind aufgrund des Preisverfalls gesunken. Die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Krieg, vor allem für die in den abgelegenen Gebieten lebenden Bevölkerungsgruppen des Südsudan, wurde bitter enttäuscht. Für die meisten Menschen  hat sich an den Entbehrungen, die sie während des Kriegs gewohnt waren, nichts geändert. Der Unmut darüber richtet sich zunehmend gegen die eigene  südsudanesische Regierung, die durch Planungsfehler und Misswirtschaft zu dieser Entwicklung beitrug. Auch dies kann sich das gesamtsudanesische Regime, falls es tatsächlich zu Wahlen und /oder einem Referendum kommt, zu Nutze machen.

Angesichts dieser Lage könnte sich die Zivile Konfliktbearbeitung auf ziemlich verlorenem Posten sehen.

Begeisterung für gewaltfreie Konfliktbearbeitung
Was mich jedoch immer wieder erstaunt, ist die Begeisterung der SüdsudanesInnen über die Ideen vom konstruktiven Umgang mit Konflikten. In Kursen zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung versuchen sie mit Feuereifer eigene Alltagskonflikte im Rollenspiel konstruktiv zu lösen und die Bedürfnisse aller Beteiligten aufzunehmen. 

Vieles, was nach meiner Wahrnehmung in Europa eher als theoretisch vermittelt aufgenommen wurde, gründet für die Teilnehmenden hier stärker in ihrem persönlichen Erleben. Etwa die Behauptung, dass alle Konflikte damit beginnen, dass die Bedürfnisse eines oder mehrerer Beteiligter nicht befriedigt sind. Dies ist eine direkte persönliche Erfahrung hier, wo der Kampf ums Überleben bei der Konkurrenz um den Platz beim Anstehen am Wasserloch beginnt und mit dem Streit um ein Stück Land endet.

Die Teilnehmenden an Workshops und Trainings entdecken dabei, dass Eskalation durchaus unterbrochen werden kann und dass es manchmal nur kleiner Schritte dazu bedarf.  Dass oftmals  Zeit zum Heilen von Wunden und Gelegenheit zum “Ablassen von (seelischem) Dampf” notwendig ist, bevor an ein konstruktives Herangehen an den Konflikt selbst auch nur zu denken ist, können die Menschen hier, die sich mehrheitlich selbst als traumatisiert bezeichnen, aus ihrer eigenen schmerzvollen Erfahrung gut nachvollziehen. Eine andere Entdeckung, die auf persönlicher Ebene den Menschen sehr viel hilft, mit ihren Alltagskonflikten besser zu Rande zu kommen, ist der Perspektivenwechsel. Die andere Seite der Geschichte sehen zu können, die Wahrheit des Anderen, kann vielleicht einen Schlüssel für eine einvernehmliche Lösung des Konfliktes bieten.

Die Arbeit an eigenen Erfahrungen mit praktischen Übungen, mit Rollenspielen, Gruppenarbeit und viel körperlicher Bewegung ist in einem Kontext, in dem Viele aufgrund der langen Kriegszeit mit dem Lesen und Schreiben erhebliche Schwierigkeiten haben, m. E. die ideale Form des Lernens. Sie trägt zunächst einmal nur dazu bei, dass die Teilnehmenden für sich selbst neue Ansätze und Handlungsweisen zum Umgang mit Konflikten entdecken und ausprobieren können. In der Auswertung der Lernerfahrungen übertragen sie dann häufig ihre neuen Erkenntnisse auf die Ebene ihres Dorfes, ihrer Gemeinde oder ihrer ethnischen Gemeinschaft.

In Anbetracht der oben geschilderten Mehrheitsmeinungen im Süden scheint die zivile Bearbeitung des Konflikte zwischen den beiden Partnern des Friedensabkommens auf nationaler Ebene jedoch wie die Quadratur des Kreises.

Wenn Optionen ziviler Konfliktbearbeitung einen Unterschied zu machen sollten für die Frage nach Krieg oder Frieden zwischen der gesamtsudanesischen Regierung und dem Süden, müssten

  • Kapazitäten ziviler Konfliktbearbeitung im grossen Stil sudanweit auf allen Ebenen ausgebaut werden,
  • Effiziente und nachhaltige Konfliktregelungsmechanismen für Ressourcenkonflikte auf lokaler Ebene entwickelt und mit entschlossener internationaler Unterstützung umgesetzt werden;
  • die politischen “Friedens-Verderber”, die durch Falschinformationen und Waffenlieferungen Eskalation betreiben, davon überzeugt werden, dass sie von einer friedlichen Regelung lokaler Konflikte mehr profitieren als von ihrer Eskalation. Eine solche Politik muss – und das ist ein Dilemma angesichts der Kriegsverbrechen in Darfur - die strategischen Interessen des Nordens im Blick haben! 
  • Bedingungen dafür geschaffen werden, dass die politischen und diplomatischen Akteure innerhalb und ausserhalb sich durchgängig Vorteile davon versprechen können (Dilemma siehe oben!), eine nicht nur dauerhaft kriegsfreie sondern auch konstruktive Regelung der Süd-Nord-Gegensätze anzugehen.

Wie sich die politischen Kernkonflikte zwischen Nord und Süd um die Macht, verbrämt mit islamistischer Ideologie und um ökonomische Vorherrschaft (Öl) weiter entwickeln, hängt wesentlich davon ab, wieviel internationaler Druck auf beide Seiten zur weiteren Umsetzung des Friedensabkommens ausgeübt wird. Leider scheint es einstweilen, als ob das Engagement der internationalen Akteure für einen Frieden im Sudan bei der Versorgung ihrer eigenen strategischen (Eindämmung arabisch-islamischer Einflussgebiete) und ökonomischen Interessen (Öl) endet.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Michael Hagenbach lebt und arbeitet seit drei Jahren im Sudan.