Ein mögliches Szenario - völlig utopisch?

Die Schulden streichen!

von Ludger Vollmer

Der in der Diskussion entwickelte Bedingungsrahmen für eine Schuldenstreichung muß operationalisiert werden. Es wäre z.B. folgendes grobe Rahmenszenario denkbar:

Ab sofort wird ein Moratorium für die Rückzahlung von Krediten und Zinsen beschlossen. Es wird eine internationale Entschuldungskonferenz einberufen, in der gleichberechtigt Gläubiger- und Schuldnerländer, Regierung und Opposition, Banken und IWF vertreten sind.

Die Vertretungen der Industrieländer gestehen ein, daß ihre aggressive Wirtschafts- und Finanzpolitik die Verschuldung wesentlich mit verschuldet hat. Man einigt sich darauf, diese Mitschuld mit einem hohen Prozentsatz an den gesamten Auslandsschulden der "Dritten Welt" anzusetzen. Die Industrieländer erklären einen sofortigen Forderungsverzicht in dieser Höhe. Sie tragen das Problem der Verteilung der Kosten dieser Teilstreichung in ihre innenpolitische Diskussion.

Die Entwicklungsländerregierungen akzeptieren, daß der Restbetrag ihrer Mißwirtschaft geschuldet ist. Sie bitten trotzdem auch um Erlaß eines Großteils dieses Betrages, weil sie nicht in der Lage sind, ihn zurückzuzahlen, sich aber von der Last der Zahlungsverpflichtungen lösen wollen, um die Entwicklung ihrer Länder endlich neu beginnen zu können,

Die Industrieländer erklären sich grundsätzlich zu weiteren Forderungsverzichten bereit, wollen aber Sicherheiten für die Versprechungen der Schuldnerregierungen.

Es wird gemeinsam ein Plan entwickelt, wie Zug um Zug ein weiterer Teilschuldenerlaß und eine weitere Demokratisierung von Politik und Wirtschaft im Schuldnerland organisiert werden kann.

Die Konferenzteilnehmer werden sich einig, daß ein Rückfall in die Misere verhindert werden müsse. Sie akzeptieren deshalb erstens die prioritäre Orientierung der Volkswirtschaften der Entwicklungsländer auf·die Versorgung der Bevölkerung mit Grundbedarfsmitteln. Die Industrieländer sagen zu diesem Zweck eine Ausweitung ihrer Entwicklungshilfeleistungen zu. Zweitens verständigen sie sich auf ein Recycling von Fluchtkapital. Unproduktive Ausgaben in den Entwicklungsländern für Kriegsgerät sollen drastisch gedrosselt werden; die Industrieländer verzichten völlig auf Waffenexporte.

Beide Seiten werden sich einig, daß die weltwirtschaftlichen Strukturen einer tiefgreifenden Neuordnung bedürfen, die in anderen Gremien forciert diskutiert werden muß. Die Neuordnung betrifft alle Felder der Finanz- und Währungs-, der Handels- und Investitionspolitik, die nach Kriterien von Solidarität und Gerechtigkeit ausgerichtet werden müssen. ·

Auf der Nicht-Regierungsebene intensiviert sich der Austausch zwischen den emanzipatorischen Strömungen in Süd und Nord.

(Auszug aus dem Artikel "Die Schulden streichen" von Ludger Vollmer in: E. Altvater/R. Bunzenthal/ W.Hankel u.a., Soll und Haben. Strategien und Alternativen zur Lösung der Schuldenkrise, Hamburg 1988, S. 149~168)

 

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